Adjutanten Reichsfuhrer=SS.

Dr. S. Rascher

Seine Arbeit im Wintergarten war fertig, und die Regale standen bereit, gefullt zu werden. Nun wurden die Gartner kommen, um die Launen des Kommandanten zufriedenzustellen.

In der folgenden Nacht schlief Daniel sehr wenig, es plagte ihn, nicht zu wissen, was sie mit ihm vorhaben konnten. Vielleicht wurde er in die Tischlerwerkstatt zuruckkehren, aus der sie ihn aufgrund seiner sorgfaltigen Arbeit geholt hatten, um im Haus zu arbeiten; doch es konnte auch geschehen, dass sie ihm einen harteren Arbeitsplatz zuwiesen, je nach Bedarf und nach Sauckels Ermessen. Er hatte Gesprachsfetzen mitbekommen, in denen von weiteren Projekten die Rede war; aber wer wusste schon, ob Er ihren Anblick beim Haus nicht bereits satt hatte! Er wollte ihre Arbeit genau prufen, und soweit sie es verstanden hatten, wurde er sie, sollte er zufrieden sein, nicht in den Steinbruch schicken.

Am nachsten Tag geschah zunachst nichts Au?ergewohnliches, alle vier wurden in die Werkstatt zuruckbeordert. Stets war es besser, unauffallig zu bleiben, und von Vorteil, wenn niemand deine Nummer schrie. Im Pavillon wurde ein Fest gefeiert, das hatten sie mitbekommen, weil sie drei Mithaftlinge, die Musiker waren und die sie gut kannten, geduscht und sauber gekleidet dorthin gehen sahen. Am Nachmittag betrat Doktor Rascher mit einem Kollegen, den sie nie zuvor gesehen hatten, die Werkstatt. Sie arbeiteten weiter, gru?los und ohne den Blick zu heben, so wie es der Vorschrift entsprach. Die Besucher schwiegen ebenfalls und beschrankten sich darauf, den Mannern beim Hobeln, Sagen und Verleimen zuzusehen. Daniel machte es sehr nervos, er hatte den Eindruck, dass sie nur ihn musterten, und so schrammte er sich die Hand auf, doch kein Schrei entfuhr seiner Kehle. Es hatte gerade noch gefehlt, dass ich mir meine Hande verstummele, dachte er und zwang sich, mit gesenkten, auf seine Aufgabe gehefteten Augen weiterzuarbeiten. Trotz der Kalte nassten Schwei?tropfen seine kurzgeschorenen Haare uber der Stirn. Die Arzte befreiten sie schlie?lich wortlos von ihrer bedruckenden Anwesenheit.

Sicherlich waren sie auf dem Weg ins Haus des Kommandanten, er hatte sie wohl zur Feier mit kammermusikalischer Umrahmung eingeladen. Das Monster liebte gute Musik und guten Wein, spielte selbst manchmal Geige, und das gar nicht ubel, die Musiker sagten, er hatte eine gute Intonation, wenn auch sein Spiel kuhl klang. Das Fest schien sich in die Lange zu ziehen, es war anzunehmen, dass hubsche Madchen daran teilnahmen.

Am Abend, als Daniel gerade damit beschaftigt war, einen Fensterrahmen fertig abzuschleifen, spurte er plotzlich eine schwere Hand auf seiner Schulter:

»Marsch, ins Haus des Sturmbannfuhrers!«

Besorgt eilte er, so schnell er konnte, dorthin. Was mochte dieser von ihm wollen? Offenbar nur eine Kleinigkeit, denn ein Adjutant zeigte ihm murrisch einen geringfugigen Schaden an einer der Turen, den er ohne Schwierigkeiten reparierte. Aus der Ferne horte er die gro?artige Musik des Trios. Und plotzlich alarmierende Schreie des Kommandanten. Was fur eine unerwartete Anwandlung von Mut brachte ihn dazu, den Salon zu betreten? Das viele Licht, der Geruch nach gutem Essen, die Furcht und der Tabakqualm verursachten ihm Schwindelgefuhle. Er stockte einen Augenblick, dann erfasste er rasch die Lage: die Geige, das schreckensbleiche Gesicht Bronislaws, ein Musiker, den er sehr gut kannte und der fruher ein angesehener junger Solist gewesen war, Sauckels drohend erhobener Zeigefinger, die schadenfrohe Grimasse Raschers. Dennoch wich er nicht zuruck. Nein, er wurde ihnen kein grausames Vergnugen gonnen. Er stand stramm, salutierte und sagte mit dunner Stimme:

»Es ist nicht seine Schuld. Die Geige hat einen Riss in der Decke. Ich kann sie reparieren.«

Der Kommandant blickte ihn verblufft an, schien aber uber die Moglichkeit erfreut, dass das Instrument wieder hergerichtet werden konne. Ein Gast, den er nie zuvor gesehen hatte, fragte ihn mit gutigem Blick:

»Du kannst das also in Ordnung bringen, sagst du? Dann hat er nicht schrill gespielt, um unsere Ohren zu beleidigen.«

Daniel nahm die Geige aus den Handen des eingeschuchterten Bronislaw, so als wurde er nach einer Rose greifen, zeigte dem Gast den kleinen Riss und verga? dabei ganz, dass er sich im Haus des Feindes befand. Er sprach uber seinen Beruf auf Jiddisch mit einem Selbstbewusstsein, das ihm uber lange Zeit, seit sie ihn zu einem gefangenen Untermenschen gemacht hatten, abhandengekommen war. Dann wich er ein paar Schritte zuruck. Das Gesprach zwischen dem Gast mit den gutigen Augen, dem Kommandanten und Rascher verlief nun leise und zu schnell und lebhaft fur ihn. Der andere Arzt und die Madchen sagten nichts. Er hatte die dunkle Ahnung, dass es in diesem angeregten Gedankenaustausch um ihn und den beschimpften Musiker ging. Eines der Madchen fullte die feinen Kristallglaser mit Wein, und schlie?lich rief Sauckel einen Adjutanten herbei, sprach mit ihm, wahrend er auf Daniel deutete, und kritzelte ein paar Worte auf ein Stuck Papier. Er will sich nicht dazu herablassen, mit mir zu reden, dachte der Geigenbauer, aber er hat bereits eine Entscheidung getroffen und wird mich gewiss wieder bestrafen.

Der SS-Mann packte ihn rucksichtslos, offnete die Tur, und Daniel stieg die Stufen hinunter, noch bevor er von ihm hinuntergesto?en werden konnte. Wieder ertonten heitere Stimmen und Gelachter; die Musiker waren noch nicht herausgekommen. Er hatte aber mit einem verstohlenen Blick bemerkt, dass der Gesichtsausdruck des gefurchteten Arztes Enttauschung verriet, und wertete dies als gutes Zeichen.

»Du hast einen schweren Fehler begangen, Dreckskerl«, sagte der SS-Mann, als sie unten angelangt waren. »Hast den Salon betreten und mit dem Herrn Sturmbannfuhrer gesprochen, ohne um Erlaubnis zu fragen.«

Er machte eine Pause, so als wollte er Daniel Zeit geben, den Ernst seiner Lage zu erfassen: »Du hast es nur seiner Milde zu verdanken, dass man dich nicht bestraft, allerdings unter einer Bedingung: Du musst ihm morgen fruh die reparierte Geige abliefern.«

Erst jetzt bemerkte Daniel, dass der SS-Mann das Instrument mitgenommen hatte.

»Und wie soll ich das machen?«

»Schweig und hor mir zu, bloder Hund! Ab in die Werkstatt, du hast die ganze Nacht Zeit, daran zu arbeiten. Wenn du sie morgen nicht fertig hast, und zwar zu seiner Zufriedenheit, verscharfter Arrest mit Peitschenhieben vorher und nachher. Du fallst namlich schon zum zweiten Mal auf.«

Er schnaufte, als ob ihn diese lange Erklarung angestrengt hatte – Worte waren nicht ublich, die Strafen hagelten normalerweise ohne gro?es Wenn und Aber. Gut, dachte Daniel, als er sah, dass er ihn geradewegs zur Werkstatt brachte, ich werde durchhalten und trotz des qualenden Hungers auf das Abendessen verzichten mussen. Er hatte noch von fruhmorgens ein Stuckchen Brotrinde in der Tasche versteckt – das tat er manchmal, um den Nachmittag besser uberbrucken zu konnen. Der SS-Mann trug noch immer die Geige in der Hand und zeigte das Papier einem schweigsamen und ubelgelaunten Aufseher, dessen Laune noch schlechter wurde, als er kommentarlos die Notiz las. Man schaffte ihn hinein, ubergab ihm die Geige, und einmal drinnen, nur mehr zu zweit, setzte sich der Aufseher uber das Verbot hinweg, zundete sich eine Zigarette an und blies Daniel den Rauch ins Gesicht. Als dieser husten musste, war der Aufseher endlich zufrieden, setzte sich auf einen Stuhl und uberwachte gelangweilt die Arbeit des Geigenbauers. Bald horte er zu rauchen auf und nickte ein.

Der Zigarettenstummel lag auf dem Boden, aber Daniel wagte es nicht, sich danach zu bucken. Nichts war zu horen, nur das Schnarchen des Kapos, eines jener oft so grausamen Mithaftlinge mit grunem Winkel auf der Kleidung, und vereinzelte nachtliche Vogelschreie, die aus der Ferne, vom gro?en Fluss heruberkamen – von drau?en, wo Baume wuchsen und es auch andere Farben gab als Grau und Wei?. Er kannte den ursprunglichen Namen des gro?en Flusses. Ein Barackenkamerad, ein als Sozialist inhaftierter Professor aus Krakau, der einem schlimmeren Los entgangen war, weil er in den Listen als Backer gefuhrt wurde – er war der Sohn eines Backers und verstand es, Teig zu kneten und in den Ofen zu schieben -, hatte ihm jedoch einen ungewohnlicheren Namen gegeben: Acheron.

Er konzentrierte sich wieder auf die Geige. Nein, er war nicht zu optimistisch gewesen, er hatte die Situation richtig eingeschatzt: Der Riss war nicht tief, die Rander lie?en sich mit ein wenig Druck zusammenfugen, sie waren nicht ausgesplittert, gepriesen sei Jahwe. Dann sah er sich um, ob ihm irgendeiner der kleinen Keile, die sie bei der Tischlerarbeit verwendeten, nutzlich sein konnte. Glucklicherweise hielten sie die Werkzeuge immer in Ordnung. Er fand zwei ma?gerechte, glatte Stucke, die er nicht abschleifen musste. Knochenleim gab es keinen, wohl aber ziemlich guten Fischleim, den sie fur die Feinarbeiten im Pavillon des Tyrannen zuruckbehalten hatten. Er zundete den kleinen Kocher an, erhitzte den Leim vorsichtig und achtete darauf, dass er nicht zu dick wurde.

Er war wieder er selbst, keine Nummer, keine Zielscheibe des Spotts: Er war Daniel, von Beruf

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