Hewlitt atmete tief durch und versuchte, sich moglichst kurz und einfach auszudrucken, als er sagte: »O'Mara! Sie irren sich alle, und das in zweifacher Hinsicht. Keiner der Wirtskorper der Virenkreatur ist infiziert oder hat irgendwelche Samen, Eier oder Embryos eingepflanzt bekommen. So funktioniert das nicht. Das Wesen ist eine intelligente, organisierte Virenansammlung, ein einzigartiges und sehr egoistisches Individuum, das niemals die Abtrennung eines Teils von sich freiwillig zulassen wurde, weildadurch die Leistungsfahigkeit und Intelligenz des Gesamtwesens verringert werden wurden. Meine Probleme wahrend und nach meiner Pubertat wurden durch den Umstand verursacht, da? die Virenkreatur zwar die Notwendigkeit des Absonderns von Korperausscheidungen verstehen konnte, doch die Aussto?ung von gesundem, lebendem Material wie Samenflussigkeit vollig fremd fur sie war, weil sie sich damals einfach nicht vorstellen konnte, da? sich irgendein Wesen fortpflanzen wollte, anstatt allein weiterzuleben. Sie hat noch immer Probleme damit, die Vorstellung zu akzeptieren, da? wir zum Uberleben der eigenen Art zig Millionen Samen opfern.

Auf Etla, auf der Erde und hier im Orbit Hospital bestand also nie das Risiko einer zusatzlichen Infektion. Falls sich die Plane der Virenkreatur verwirklichen lassen, dann ist sie vielleicht in ferner Zukunft in der Lage, sich zu teilen, aber bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg, und selbst dann wurde das fur uns keine Gefahr bedeuten. Zur Zeit kann sie nur einen Wirtskorper gleichzeitig bewohnen, und diesen hinterla?t sie nicht im erkrankten Zustand, sondern stattet ihn bis zu seinem Lebensende mit einem hohen Ma? an korperlicher Gesundheit aus, die alle ehemaligen Wirtskorper wie eine organische Signatur sofort erkennen konnen.

Dies tut sie aus Dankbarkeit fur das Wissen und die Erfahrungen, die ihr vom Wirt vermittelt wurden. Sie bezeichnet sich selbst als eine Art Untermieter, der seine Miete bezahlen mu?.«

Die mit geoffnetem Kuppeldach bereitstehenden Quarantane- G- Schlitten wurde von zwei wuchtigen hudlarischen Arztinnen und acht bewaffneten Angehorigen des Monitorkorps begleitet, die nach terrestrischen Ma?staben sehr kraftig gebaut waren. Die Gesichtsausdrucke der Anwesenden verrieten eine Mischung aus Verlegenheit und Entschlu?kraft, und Hewlitt beeilte sich noch mehr als zuvor.

»Glauben Sie mir, weder die Foderation noch deren Burger haben von der Virenkreatur irgend etwas zu befurchten. Aus den zuvor genannten Grunden ist sie, mit Ausnahme der Telfis, an keiner Spezies der Foderation mehr interessiert, da sie fur ihre Verhaltnisse viel zu kurzlebig sind. Auchwenn die Vollendung dieses Projekt etliche unserer Lebensspannen benotigen wird, ist ihr unumsto?liches Ziel, einen Stern nach dem anderen zu besiedeln, und sie will mit der telfischen Heimatsonne beginnen, da diese nach astronomischen Ma?staben immer alter und kranker wird. Auch wenn die Moglichkeit besteht, da? sie sich bei diesem Versuch selbst vernichtet, so will sie dieses Risiko auf jeden Fall eingehen. Eine Sonne zu bewohnen, der sie Intelligenz und Stabilitat vermitteln und deren samtliche inneren Vorgange sie steuern kann, ist das erklarte Endziel der Virenkreatur.

Ein intelligenter Stern ware das langlebigste Wesen, das man sich vorstellen kann«, beendete Hewlitt seine Ausfuhrungen.

Jetzt waren die Diagnostiker Conway, Prilicla und Thornnastor an der Reihe, ein Gesprach miteinander zu fuhren, wahrend die beiden Hudlarerinnen und die Monitoreskorte darauf warteten, welche Entscheidung man fur das weitere Vorgehen treffen wurde. Eine ganze Weile schienen der Padre und Hewlitt in Vergessenheit geraten zu sein, wahrend der Krisenstab in O'Maras Buro diskutierte, ob man Lonvellins Reisen vor seiner damaligen Einlieferung ins Orbit Hospital zuruckverfolgen konnte, um so den Herkunftsplaneten der Virenkreatur ausfindig zu machen. Sollte man dort die Vorfahren dieses Wesen entdecken – vermutlich nicht intelligente Virenstamme -, mu?te man diese untersuchen und sie mit Hilfe von Zellkultivierung zu vermehren versuchen. Naturlich ware fur solch ein Forschungsprojekt die Mitarbeit ehemaliger Wirte der Virenkreatur von unschatzbarem Wert. Alle notwendigen Vorsichtsma?nahmen mu?ten getroffen werden, und es gabe eine Menge Probleme zu bewaltigen, doch sollte man erfolgreich sein, lie?e sich absehen, da? die Burger der galaktischen Foderation in ferner Zukunft lediglich mit einem Virus infiziert werden mu?ten, um ansonsten vollig frei von Krankheiten zu sein. Fur die arztliche Zunft bliebe dann nichts weiteres zu tun, als die Behandlung von Unfallopfern und die Versorgung chirurgischer Notfalle zu gewahrleisten. Wie nicht anders zu erwarten war, blieb es dem Chefpsychologen vorbehalten, ungeduldig das Schlu?wort zu ergreifen.»Genug jetzt, werte Kollegen! Ihre zukunftigen Probleme werden wir in den nachsten Minuten auch nicht klaren konnen, zumal sie auf rein hypothetischen Uberlegungen basieren. Und Sie, Padre Lioren und Hewlitt, konnen sich erst mal entspannen. Wir haben entschieden, da? es kein Sicherheitsproblem mehr darstellt, wenn Morredeth auf Kelgia landet und die Telfigestalt mit ihrem neuen Freund auf ihren Heimatplaneten zuruckkehrt. Die bewaffnete Eskorte kann abtreten, aber sie beide werden sich sofort auf den Weg machen, und zwar nicht, um auf der Isolierstation der Pathologie zu landen, sondern um sich hier im Buro einigen noch ungeklarten Fragen zu stellen… «

Hewlitt gab einen leisen, unubersetzbaren Laut von sich, den nur der Padre horen konnte, und Lioren flusterte ihm zu: »Machen Sie sich keine Sorgen, mein Freund. Das Buro des Majors ist mit einem Essensspender ausgestattet, und wenn man uns nicht erlaubt, etwas zu essen, dann werden wir auch nicht reden.«

»… und mit einem von einer Hudlarerin gelenkten G-Schlitten werden Sie noch eher hier sein, als wenn Sie zu Fu? gehen«, fuhr O'Mara fort. »Gibt es sonst noch irgendwas, was Sie mir vorher sagen mussen?«

Hewlitt war sich nicht sicher, ob das, was ihm durch den Kopf ging, die Folge von Erschopfung, unbandigem Hunger oder purer Erleichterung war. Jedenfalls lachte er nur und antwortete: »Mich plagt noch ein kleines psychologisches Problem: Aus mir scheint ein ehemaliger Hypochonder geworden zu sein, dem absolut nichts fehlt und der trotzdem unbedingt in einem Krankenhaus bleiben mochte. Ich habe einfach keine Lust mehr, terrestrische Schafe zu huten.«

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