Mohammed ist ein heiterer, lebensfroher Mensch. Er heiratet die 15 Jahre altere Khadija, lebt zwanzig Jahre mit ihr monogam zusammen und hat sieben Kinder mit ihr. Er lebt in Mekka und opfert an der Kaaba den Gottern seiner Sippe. Als er vierzig Jahre alt ist, gerat er jedoch in eine tiefe Lebenskrise. Er vernachlassigt seine Pflichten und irrt wie ein Kranker umher: fiebrig, verwahrlost und in zerrissenen Kleidern. Er stellt alle Sitten und Gebrauche seiner Umgebung in Frage. Auf dem Tiefpunkt seines Ausstiegs trifft ihn jedoch ein religioses Erweckungserlebnis: Er sieht in einer Vision den Engel Gabriel, der ihm ein beschriftetes Seidentuch hinhalt und ihn, den Analphabeten, auffordert zu lesen. Eine Stimme spricht ihn als Gesandten Gottes an.

In volliger Verwirrung zieht Mohammed sich zuruck. Er sieht sich selbst als von Damonen besessen. Schlie?lich akzeptiert Mohammed jedoch seinen Zustand und interpretiert ihn als gottliche Berufung. Er beginnt, als Verkunder gottlicher Weisungen aufzutreten. Seine Ausspruche werden von Freunden auf Papyrus, Palmenholz oder Tierhauten niedergeschrieben. Diese Aufzeichnungen bilden den Grundstock des Koran (wortlich: Vorlesetext).

Die glaubigen Muslime sind uberzeugt, dass Allah Autor der Spruche und Gedanken ist, die Mohammed als Medium im Zustand seelischer Trance empfangt. Der Text des Koran gilt als »Wort Gottes«, ahnlich wie in der christlichen Inspirationstheorie die Bibel als unmittelbare gottliche Offenbarung. Fur den glaubigen Muslim ist es selbstverstandlich, dass Allah sich der arabischen Sprache bedient und Mohammed sein endgultiger Prophet ist, der - nach Moses und Jesus - die Offenbarung vollendet.

Mohammeds Verhaltnis zum Christentum ist ambivalent. Der Koran sieht in Jesus einen Vorlaufer des Propheten. Jesus ist der Messias, der kunftige Weltenrichter, einer der gro?en Gesandten Allahs. Aber er ist nicht Gottes Sohn, weil Gott nicht gezeugt wurde und nicht gezeugt hat. Auch die Vorstellung von einem Gott in drei Personen ist dem Koran fremd. Er sieht darin einen Ruckfall in die Vielgotterei. Maria ist fur ihn ein »Zeichen fur die Menschheit« -die Mutter Jesu, aber nicht die Mutter Gottes.

Mohammeds Verhaltnis zum Judentum ist ebenfalls ambivalent und hat sich im Lauf seines Lebens ins Negative entwickelt. Ursprunglich sieht Mohammed in den Juden seine naturlichen Verbundeten, weil die »Kinder Israels« fur ihn die Einzigen neben ihm sind, die an den einen Gott glauben und denen die Vielgotterei ein Grauel ist. Im Koran werden die Kinder Israels vierzig Mal erwahnt. Mohammed sieht sich selbst in der Tradition der gro?en Propheten Israels und identifiziert sich mit Noah, Abraham und Moses. In Abraham sieht er den Urahn auch der Araber, einen wahren Muslim, der sich seinem Gott ruckhaltlos unterwirft und sogar bereit ist, seinen eigenen Sohn als Opfer darzubringen.

Mohammed denkt aber nicht nur in religiosen Dimensionen. Er denkt immer auch politisch. Er geht lange davon aus, dass die Juden von Medina, wohin er ausgewandert ist, den Glauben ihrer Vater aufgeben und sich ihm anschlie?en werden. Erst als seine Erwartungen sich nicht erfullen, beginnt er, sich von den Kindern Israels zu distanzieren. Er andert die Gebetsrichtung der Muslime von Jerusalem nach Mekka. Am Ende entledigt er sich der Juden von Medina aus politischen Grunden - er sieht in ihnen ein Sicherheitsrisiko und vertreibt sie aus der Stadt. Er lasst ihre Palmen niederhauen als Zeichen der Endgultigkeit.

Mohammed versteht sich also nicht nur als Medium gottlicher Offenbarung und als gesellschaftskritischer Prophet. Er handelt auch politisch und ubernimmt militarische Verantwortung. Als am 21. Marz des Jahres 625 vor den Toren Medinas ein starkes mekkan-isches Heer auftaucht, um ihn und seine Anhangerschaft zu vernichten, ergreift Mohammed die Rolle des militarischen Fuhrers. Er reitet mit 700 Mann der Ubermacht entgegen. Die Mekkaner sind, wenn die Quellen richtig zahlen, mit 3000 Mann zu Fu?, 3000 Kamelreitern und 2000 Reitern zu Pferde angeruckt. Die Schlacht am Berg Uhud ist blutig. Mohammeds Streitkrafte behalten die Oberhand, verfolgen die Gegner aber nicht bis nach Mekka. Mohammed benutzt nur die Gelegenheit, mit seinen innenpolitischen Gegnern, vor allem den Juden, abzurechnen.

Mohammed schafft jetzt ein Herrschaftssystem, das sich als Gottesstaat definiert und sehr bald despotische Zuge annimmt. Jede Kritik oder Infragestellung wird unterbunden. Politik und Religion werden fest ineinander verflochten. Was gegen die Religion versto?t, ist auch gegen den Staat gerichtet und umgekehrt. Mohammed wachst in die Rolle eines absolut regierenden Staatsoberhauptes. Mit den Worten der modernen Staatslehre kann man sagen: Mohammed vereinigt in seiner Hand die Legislative, die Exekutive und die Judikative, aber daruber hinaus auch die oberste Priesterschaft. Es gibt keine von der Staatsgewalt unabhangige Justiz und auch keine unabhangige religiose Autoritat. Die Trennung von religioser und profaner Wirklichkeit, von Religion und Staat ist dem Islam immer fremd geblieben.

Als Mohammed am 8. Juni 632 stirbt, ist die Trauer unter seinen Anhangern unermesslich. Viele Glaubige waren uberzeugt, der Prophet werde niemals sterben. Jetzt wird die ganze historische Dynamik seiner religiosen und gesellschaftlichen Weltsicht offenbar. Bereits 25 Jahre spater gehoren Syrien, Agypten und Nordafrika bis nach Marokko zum Islam. Einhundert Jahre danach stehen muslimische Truppen in Zentralasien, im Indus-Tal, im heutigen Pakistan, Buchara und Samarkand. Die Kalifen (Mohammeds »Stellvertreter« oder »Nachfolger«) haben mit ihren Heeren aus arabischen Beduinen ein Gebiet von Spanien bis Indien erobert.

Was ist der Grund fur die rasante militarische Ausbreitung des Islam? Gesellschaftliche Systeme, deren wirtschaftliche Grundlage vor allem durch kriegerische Raubzuge gesichert wird, verlieren den Nachbarn als Beuteobjekt, wenn dieser muslimisch wird. Da es verboten ist, gegen Glaubensbruder kriegerisch vorzugehen, gehort ein Nachbar, der den muslimischen Glauben angenommen hat, zum Inneren der Glaubensgemeinschaft, der Umma. Erst jenseits seiner Grenze darf wieder Beute gemacht werden. Also muss man die Grenze zu den Unglaubigen so schnell wie moglich uberschreiten, weil nur so noch Reichtumer zu gewinnen sind.

Ein anderer wichtiger Faktor des gewaltigen Eroberungszuges war, dass die Muslime es den Besiegten leicht machten, sich zu unterwerfen, wenn diese wie sie selber an einen Gott glaubten und heilige Schriften besa?en. Das war vorrangig bei Juden und Christen der Fall. Ihre Religionen galten als verwandt mit dem Islam. Gegen Zahlung einer Steuer konnten sie weiter ihrem Glauben anhangen und standen unter dem Schutz der Kalifen.

Gleichwohl sieht die monotheistische Dogmatik des Islam in der eigenen Religion die absolute Wahrheit. Neben Allah kann deshalb keine andere Gottheit geduldet werden. Wer nicht an Allah und nicht nur an Allah glaubt, versagt ihm den schuldigen Respekt und versundigt sich. Deshalb darf die Anerkennung des Universalherrschers und seines Propheten im Prinzip auch mit Gewalt erzwungen werden. Die historische Realitat des Eroberungszuges kannte aber sehr wohl auch Beispiele der Toleranz.

Ohne den religiosen Ansporn, der die Araber vorantrieb, ware ihr Sturmlauf uber drei Kontinente allerdings nicht moglich gewesen. »Setzt euch ein fur die Sache Allahs«, hatte Mohammed befohlen. An diesem Einsatz fur die Verbreitung des Islam teilzunehmen, war deshalb eine heilige Pflicht. Wer sich dem Zug anschloss, erhielt beim Sieg ein Stuck von der Beute. Wer im Kampf fiel, auch das hatte Mohammed gelehrt, auf den warteten die Wunder des Paradieses. Diese Motivation feuerte die Araber an.

Wie die militarische Ausbreitung begann auch der Sklavenhandel sehr bald nach dem Tod des Propheten. Den religiosen Vorschriften entsprechend war die Rekrutierung von Sklaven naturlich nur au?erhalb der Grenzen der islamischen Glaubensgemeinschaft moglich. Im Jahr 652 zwang der Emir Abdallah ben Said den nubischen Konig Khalidurat, jahrlich 360 mannliche und weibliche Sklaven zur Verfugung zu stellen. Seither wurden, nach seriosen Schatzungen, bis ins 20. Jahrhundert etwa 17 Millionen Afrikaner Opfer des arabischen Sklavenhandels.

Zu den Grunden fur die rasche Ausbreitung des Islam gehort auch die Tatsache, dass die damaligen Nachbarn der islamischen Staaten keine ebenburtigen Gegner mehr waren. Sie waren politisch und militarisch geschwacht. Byzanz zum Beispiel war gelahmt durch die innerchristlichen Auseinandersetzungen um das Wesen Christi: ob Jesus ein Mensch oder Gott oder beides sei.

Auch die in Spanien herrschenden Westgoten waren durch innere Konflikte zerrissen. Sie hatten deshalb den von den Arabern islamis-ierten Berberstammen (Mauren), die ab 711 von Nordafrika auf die Iberische Halbinsel vordrangen, nichts entgegenzusetzen. Zwar wurde ihr Versuch, auch Gebiete nordlich der Pyrenaen zu erobern, in der Schlacht von Tours und Poitiers (732) vom frankischen Hausmeier Karl Martell abgewehrt, aber der gro?te Teil des heutigen Spanien geriet unter islamische Herrschaft.

Jahrhunderte hindurch sorgten die Mauren fur eine funktionierende Landwirtschaft, ein vielseitiges Handwerk und ein intensives geistiges Leben, an dem auch Christen und Juden teilhatten. Vor allem von Cordoba und auch von Granada aus, wo im 13./14. Jahrhundert mit der Alhambra eines der gro?artigsten Zeugnisse islamischer Baukunst entstand, strahlte der Glanz der arabischen Kultur in das abendlandische Mittelalter. Spanien wurde so auch zur Schaltstelle fur den orientalisch-europaischen Wissens- und Wissenschaftstransfer, der nicht nur die arabischen Zahlen und die Algebra, sondern auch technische Innovationen und medizinischen Fortschritt an das Abendland

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