gelang es Byzanz, die Gefahr unter anderem durch den Einsatz des sogenannten »griechischen Feuers« - einer militarischen Brandwaffe, einer Vorform des Flammenwerfers - abzuwenden.
Die Araber stellten in der Folgezeit keine wirkliche Bedrohung mehr dar, dafur zeigten sich an den nordlichen Grenzen in Gestalt der vordringenden Slawen neue Feinde. Aber auch sie wurden nicht nur aufgehalten, sondern Byzanz konnte sogar Teile der von ihnen in Griechenland besetzten Regionen zuruckgewinnen. Doch auch jetzt kam der Balkan nicht zur Ruhe: Die Bulgaren kamen ins Spiel und sollten in den nachsten Jahrhunderten mit ihrer aggressiven Expansionspolitik Byzanz immer wieder in Bedrangnis bringen.
Wir ersparen Ihnen jetzt einige Kapitel und Ereignisse, die Byzanz allerdings nicht erspart blieben: Wechsel der Dynastien, die sich teilweise gewaltsam vollzogen; innenpolitische Zwistigkeiten (etwa der zermurbende Bilderstreit, ausgelost durch Leo III., der Ikonen als heidnisch deklarierte und verbot); Kampfe zwischen christlichen Gruppen; Streitigkeiten mit dem Papst in Rom um die Vormachtstellung. In der Zusammenschau all dieser Erschutterungen und Bedrohungen ist es mehr als verwunderlich, dass Ostrom immer noch existierte. Und nicht nur das: Unter den Kaisern der makedonischen Dynastie im zehnten und fruhen elften Jahrhundert erreichte Byzanz noch einmal den Status einer Gro?macht.
Fur diesen vorubergehenden Erfolg waren mehrere Faktoren verantwortlich: Die territorialen Einbu?en waren zwar schmerzlich, machten aber auch mehr Einheitlichkeit moglich. Es gab einen stabilen Beamtenapparat, eine effiziente Verwaltung, eine gemeinsame Sprache - das Mittelgriechische hatte Latein abgelost. Der nach wie vor florierende Handel wurde unterstutzt durch eine ansehnliche Flotte. Reformen des Heerwesens sorgten fur eine kalkulierbare und kostensparende militarische Stabilitat.
So schien sich unter Basileios II. (957-1025) Byzanz tatsachlich wieder zu einem Gro?reich zu entwickeln. Seine Vorganger hatten den ostromischen Einfluss bereits bis nach Syrien und kurzzeitig sogar bis Palastina ausdehnen konnen; Basileios gewann nun wahrend seiner Regierungszeit Suditalien zuruck und sicherte zudem die Grenzen auf dem Balkan: Er eroberte in jahrelangen Kampfen das erste bulgarische Reich, was ihm den Beinamen
Doch die Blutezeit war nicht von langer Dauer. Basileios’ Nachfolger kummerten sich nicht mehr um die Armee. Das stehende Heer musste durch unzuverlassigere Soldner ersetzt werden, was eine erhebliche militarische Schwachung bedeutete. Und au?enpolitisch geriet das Reich durch neue Eindringlinge in Bedrangnis: Die Normannen holten sich Suditalien Anfang des elften Jahrhunderts, und gegen dessen Ende fiel ein Gro?teil Kleinasiens an die Seldschuken, die 1071 das byzantinische Heer in der Schlacht von Manzikert in Ostanatolien vernichteten.
Alexios I. konnte in seiner Regierungszeit (1081-1118) zwar durch eine Reihe militarischer Erfolge die Katastrophe gerade noch einmal abwenden. Er war aber auch derjenige, der mit seinem Ruf nach westlicher Hilfe gegen die Muslime 1097 den ersten Kreuzzug ins Land brachte - langfristig mit schrecklichen Folgen! Die von Anfang an nicht gerade entspannten Beziehungen zwischen den selbstbewusst und eigenstandig agierenden Rittern und den Ostromern zeigten zunehmend eine aggressive Qualitat. Beim vierten Kreuzzug kam es Anfang des dreizehnten Jahrhunderts schlie?lich zur Katastrophe: Auf Betreiben von einflussreichen venezianischen Machthabern eroberten und plunderten die Kreuzfahrer nicht etwa muslimische Stellungen, sondern Konstantinopel. Sie toteten brutal Tausende von ostromischen Christen und zerstorten - wenn sie nicht zu transportieren waren - unwiederbringliche Schatze: Bilder, Heiligenreliquien und ganze Bibliotheken, raubten und stahlen alles, was kostbar schien, und brachten es nach Venedig oder in andere Gegenden Westeuropas, wo man bereit war, viel Geld dafur zu bezahlen.
Konstantinopel sollte sich von diesem Desaster nie mehr erholen. Jahrhundertelang war es Schutzschild gegen die Islamisierung Westeuropas gewesen. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet nach dem Auftritt christlicher Kreuzfahrer konnte es diese Funktion nun nicht mehr wirksam wahrnehmen. Obwohl der ostromische Kaiser Michael VIII. die Stadt im Jahr 1261 zuruckeroberte, war der Untergang nicht mehr aufzuhalten. Dem inzwischen machtigen osmanis-chen Reich hatten selbst die klugsten und geschicktesten Kaiser nichts mehr entgegenzusetzen. 1326 fielen die bedeutende Stadt Bursa - etwa neunzig Kilometer sudlich von Konstantinopel - und die zweitgro?te byzantinische Metropole Adrianopel an die Turken. Das einst so machtige Ostromische Reich bestand Anfang des 15. Jahrhunderts schlie?lich nur noch aus Konstantinopel.
Der 29. Mai gilt auch heute noch bei den Griechen als Ungluckstag. Es ist der historische Moment, in dem die Reichshauptstadt Konstantinopel - nach fast zweimonatiger Belagerung - von den Truppen Mehmeds, dem siebten Sultan des osmanischen Reiches, gesturmt wurde. Der letzte byzantinische Kaiser Konstantin XI. starb wahrend der blutigen Kampfe.
Nach Einnahme der Festung lie? sich der turkische Triumphator die Gelegenheit nicht entgehen, sich an markanter Stelle in die nach oben offene Skala der mittelalterlichen Scheu?lichkeiten einzutragen: Mehmed lie? allen byzantinischen Adligen verkunden, sie wurden in ihre alten Rechte eingesetzt, wenn sie sich meldeten. Diejenigen, die dem Aufruf folgten, lie? er zusammen mit ihren Familien enthaupten. Mit den Kopfen der jungsten Opfer - Leser unter 18 Jahren, bitte weiterblattern! - wurden die Flammen der in den Kirchen brennenden Kerzen ausgeloscht. Sultan Mehmed gilt dennoch als einer der gro?en, weitsichtigsten Herrscher des osman-ischen Reiches.
Die siegreichen Eroberer sahen sich nach dem Zusammenbruch als legitime Nachfolger der byzantinischen Kaiser. Aber auch in Russland reklamierten die Patriarchen ihren Anspruch. Moskau bezeichnete sich bald als Drittes Rom, eine staatsrechtliche Fortsetzung fand das Reich allerdings nirgendwo mehr.
Inzwischen unbestritten sind die Verdienste von Byzanz als Vermittler von Werten und Wissen der Antike. Sie waren der Antrieb fur eine gro?e Bewegung in Westeuropa: Ohne sie ist eine Entfaltung der Renaissance und der sich anschlie?enden Aufklarung gar nicht denkbar.
18. Das Kreuz und das Schwert
Sie konnen ihm nicht ausweichen, ihn nicht verfehlen, warum sollten Sie es auch? Hat er doch wie kein anderer der Idee eines vereinten Abendlandes, eines europaischen Reiches Auftrieb gegeben, das antike Erbe, die christliche Religion und die germanische Gedankenwelt unter seiner Herrschaft zusammengefuhrt. Ja, von ihm, von Karl dem Gro?en ist die Rede. Fast funfzig geschichtliche Gestalten verzeichnet das Lexikon unter dem Namen »Karl«, aber immer werden Sie ihn an erster Stelle finden.
In Aachen begegnen Sie ihm auf Schritt und Tritt. Lassen Sie es am besten schon bunt beginnen und betrachten zuerst das Fresko im Kronungssaal des Aachener Rathauses, das Karl auf dem Hohepunkt der Auseinandersetzung mit den heidnischen Sachsen zeigt. Nehmen Sie dann das Wunderwerk des Kaiserdoms, des im Jahr 805 geweihten Aachener Munsters, ins Visier, das Ihnen schon beim Verlassen des Rathauses entgegenblickt. Im Zentrum des Doms, der achteckigen Pfalzkapelle, geht dann kein Weg mehr an ihm vorbei: dem Erzstuhl des Reiches, etwas schlichter auch Konigsoder Kaiserstuhl genannt.
Sechs steinerne Stufen fuhren zum Thron des romischen Kaisers deutscher Nation, dem Sitz des ersten Mannes im Heiligen Romischen Reich, dem Erbe des alten romischen Imperiums. Dieser Thron im Oktogon des Aachener Doms steht fur die historischen Zusammenhange der deutschen und der europaischen Geschichte.
Der Thronsessel ist ein Ort gro?er Symbole. Die Marmorplatten, aus denen er gefugt ist, und auch die Stufen stammen nach neueren Mutma?ungen aus der Grabeskirche in Jerusalem. Er steht auf der Westempore der Pfalzkapelle, die als symbolisches Abbild das himmlische Jerusalem darstellt. Sie ist nach Osten ausgerichtet, dem irdischen Jerusalem entgegen. Wer auf diesem Thron Platz nimmt, um die Kronungsinsignien zu empfangen, halt mit dem Reichsapfel das Sinnbild des Erdkreises und des Himmelsgewolbes und mit dem Zepter das Symbol der hochsten Gewalt in den Handen.
Diese Zeichen kaiserlicher Wurde sind Karl dem Gro?en bei seiner Kronung noch nicht verliehen worden. Verschiedene Gegenstande, zu denen auch Schwert, Mantel, Kreuz und Lanze gehoren konnten, wurden erst ab dem dreizehnten Jahrhundert fur die Zeremonie bedeutsam. Sie hatten auch zu der Inszenierung, die am Weihnachtstag 800 in Rom stattfand, nicht gepasst. Angeblich soll Karl der Gro?e namlich durch Papst Leo III.