uberrascht worden sein: Der setzte ihm, als er sich in der Peterskirche vom Gebet erheben wollte, unerwartet eine goldene Krone auf und erklarte ihn anschlie?end zum romischen Kaiser. Karl verstand sich von da an als Augustus Imperator Renovati Imperii Romani, als Kaiser des erneuerten Romischen Reiches.

Die Geschichte mit der Uberraschung, die von Karls Biografen Einhard verbreitet wurde, klingt wenig glaubhaft. Eher sind vorherige Absprachen mit einer Handvoll Eingeweihter zu vermuten. Au?eres Anzeichen dafur war allein schon der prachtige Purpurmantel, in dem Karl erschien. Er trug ihn statt frankischer Bundhose und Wams hier zum ersten und letzten Mal.

Mit dieser Zeremonie war aus dem Konig der Franken ein romischer Kaiser geworden, dessen Machtbereich sich uber weite Teile Europas erstreckte. Er war die genialische Herrschergestalt, die das mittelalterliche und damit auch das moderne Europa pragte. Das Kerngebiet seines neues Riesenreiches umfasste jene Lander, die rund 1150 Jahre spater die Europaische Wirtschaftsgemeinschaft grunden sollten: Frankreich, die Benelux-Staaten, Deutschland und Italien; hinzu kam Nordspanien.

Karl stammt nicht aus einem alteingesessenen Herrschergeschlecht. Seine Vorfahren waren aber erfolgreich als Heerfuhrer der Merowinger, hatten diese dann ausgeschaltet und sich selbst an die Spitze ihres Konigreiches gesetzt. Sein Gro?vater Karl Martell ist der Begrunder einer machtigen Dynastie; er hatte sich um Europa schon verdient gemacht, als es ihm gelang, im Jahr 732 den Vorsto? der islamischen Mauren bei Tours und Poitiers zuruckzuschlagen. Karl Martells Sohn Pippin III., Karls Vater, konnte das Reich durch Eroberungen stetig vergro?ern, was naturlich auch dem Papst nicht verborgen blieb. Der war auf der Suche nach einer Schutzmacht fur seine Stellung in Italien, und schon Pippin hatte ein sehr starkes Interesse an der Anerkennung durch die Kirche. Das passte. Und tatsachlich begab sich 754 Papst Stephan II. nach Saint-Denis, um mit Pippin ein Bundnis zu schlie?en. Der kaum sechsjahrige Karl war bei dieser Begegnung dabei, sie wurde fur ihn zum Schlusselerlebnis und war die Basis fur die dauerhafte Verbindung seiner Familie mit der Kirche. Sie fuhrte auch dazu, dass er sich sein ganzes Leben als Herrscher dazu berufen sah, die Botschaft der Bibel, die Gesetze Gottes zu verbreiten. Und er war davon uberzeugt, Kriege gegen die Heiden fuhren zu mussen, fur seinen Glauben toten zu durfen.

Das bekamen vor allem die Sachsen zu spuren, deren Gebiet Karl christianisieren und seinem Reich einverleiben wollte. Seine Krieger brachten in dem viele Jahre andauernden Unterwerfungskrieg Zerstorung, Tod und Elend in die Dorfer und erzwangen die Umsiedlung Zehntausender Menschen, die fur immer ihrer Heimat beraubt wurden. Auch die Vernichtung der Irminsul, des zentralen Heiligtums der germanischen Stamme, konnten die sachsischen Gotter nicht verhindern.

Besonders ein Ereignis warf Schatten auf das Bild des gro?en Herrschers Karl: die brutale Massenhinrichtung von uber tausend gefangenen Sachsen (sachsische Chronisten sprechen von 4500 Opfern) bei Verden an der Aller (782), deren Wasser sich vom Blut der Getoteten rot gefarbt haben soll. Schon zu seinen Lebzeiten regte sich Kritik an Karls Racheakt, heute erinnern in Verden 4500 im Jahr 1935 - ganz im Geiste der damaligen Zeit - gesetzte Steine an das blutige Geschehen.

Dreizehn Jahre dauerte der Krieg gegen Widukind, den Anfuhrer der Sachsen, und seine Aufstandischen, die sich weder dem christlichen Glauben noch der politischen Herrschaft der Franken unterwerfen wollten. Schlie?lich uberzeugten die kirchlichen Berater Karl davon, einen friedlichen Weg einzuschlagen und mit den Sachsen zu verhandeln. Karl stimmte zu, verlangte aber im Gegenzug die Taufe Widukinds. 785 war es so weit. Der kriegsmude Widukind kam mit einer Gefolgschaft nach Attigny in die Residenz des Konigs der Franken und sprach das christliche Glaubensbekenntnis.

Die Taufe Widukinds war ein gro?er Erfolg Karls. Obwohl es noch fast zwanzig Jahre bis zur vollstandigen Unterwerfung Sachsens dauern sollte, war er sich recht schnell sicher, dass er nun endlich sein Ziel erreicht hatte: ein christliches Reich mit lauter Christen unter einem christlichen Herrscher.

Sie werden sich vielleicht fragen, ob der kriegerische Karl nicht auch andere Seiten hatte. Er hatte. Mit der Eroberung der Lombardei - seit 774 trug er den Titel Rex Francorum et Langobardor-um (Konig der Franken und Langobarden) - war sein Interesse an antiker Kultur und Wissenschaft geweckt worden, und er brachte eine Art Bildungsreform auf den Weg. Zahlreiche Gelehrte, vor allem Monche und Kleriker, wurden an seinen Hof gerufen, sie kamen aus allen Teilen Europas. Mit der Bibel und Gottes Wort als Basis gelang ihnen gleichsam eine Wiedergeburt der lateinischen Welt (eine Karolingische Renaissance), die in den Jahrhunderten zuvor in den Wirren von Kampfen und Volkerwanderungen ihre Konturen fast ganz verloren hatte.

Aber Karl forderte mit viel Energie auch die Entwicklung einer altfrankischen Volkssprache, der lingua theodisca (zum Volk gehorig), aus der die althochdeutsche Form diutisc hervorging, die sich allmahlich zu dem spateren Wort »deutsch« wandelte. Einer sollte schreiben wie der andere, alles sollte von allen gelesen werden konnen. Karl hatte einen politischen Raum geschaffen, der nun auch zu einem gemeinsamen Sprachraum wurde und das Bewusstsein von Einheit ermoglichte. Tatsachlich war seine gro?e Leistung die Durchsetzung des Wortes »deutsch«. Er legte damit den Grundstein fur eine gemeinsame Kultur, fur das Entstehen von Literatur: Eine Sprache, eine Schrift waren fur die Formung seines Imperiums von unschatzbarer Bedeutung. Uberall im Reich entstanden Kloster, Bibliotheken und Schulen, die von ihm gefordert wurden. Die Schrift, die wir heute noch verwenden, geht auf diese Reform zuruck: Die karolingische Minuskel war das Vorbild unserer Kleinbuchstaben.

Was Sie vor diesem Hintergrund naturlich nicht vermuten: Karl der Gro?e selbst war Analphabet. Noch als alter Mann soll er in schlaflosen Nachten muhsam versucht haben, endlich lesen und schreiben zu lernen.

Nach der Integration des sachsischen Gebiets in sein Imperium, nach der Taufe Widukinds, uber dessen weiteres Schicksal wenig bekannt ist, konzentrierte sich Karl auf andere Projekte, vor allem auf die Etablierung eines festen Regierungssitzes. Karl wahlte Aachen. Mit seinen warmen Quellen und ausgedehnten Waldern, gelegen im Kerngebiet des Imperiums, sollte es zur prachtigsten Stadt seines Reiches werden. Er lie? eine riesige Anlage errichten (Baubeginn vermutlich 793/94). Sie umfasste Regierungsgebaude, Raume fur die konigliche Familie, Garnisonsunterkunfte, einen Gerichtssaal und ein Studienzentrum mit Bibliothek. Geistlicher Mittelpunkt war die Pfalzkapelle, heute der Aachener Dom. Er galt schon bei den Zeitgenossen als der prachtigste Kirchenbau diesseits der Alpen. Spater haben sich 33 deutsche Herrscher auf Karl berufen und wurden hier zwischen dem Ende des neunten Jahrhunderts und dem Jahr 1531 gekront.

Mit seiner eigenen Kronung 800 in Rom hat Karl der Gro?e Geschichte geschrieben, sie erregte schon zu seiner Zeit hochste Aufmerksamkeit, galt als Sensation. Zum ersten Mal wurde ein Kaiser, der zudem aus einem anderen Reich als dem romischen stammte, von einem Papst in sein Amt gesetzt, der allein die Befugnis dazu beanspruchte. Deshalb musste Karl ihn als sein geistliches Oberhaupt anerkennen. Umgekehrt gewahrte der Kaiser der romischen Kirche Schutz, auch gegen die byzantinische Vorherrschaft. Entsprechend war es die Pflicht des Stellvertreters Petri, ihm als seinem weltlichen Herrscher zu huldigen.

Damit erfullte sich fur Karl den Gro?en eine Vision: die Allianz zwischen Papst und Herrscher, zwischen Reich und Kirche, zwischen Religion und Volk, eine Verbindung von Schwert und Kreuz. Die Kronung Karls begrundete das mittelalterliche Kaisertum, das tausend Jahre lang als Heiliges Romisches Reich Deutscher Nation Bestand haben sollte, bis 1806.

Gleichzeitig wurde mit diesem Akt der Kronung, mit dem sich der Kaiser an die Zustimmung und Segnung durch den Papst in Rom band, ein jahrhundertelanger Konflikt angelegt, der spater der »Investiturstreit« genannt werden wird. Es ging um die Frage: Wer ist der Starkere? Der Papst oder der Kaiser?

Dieser Kampf zwischen der kirchlichen und der weltlichen Macht pragte vor allen Dingen das spate elfte Jahrhundert. Seine Zuspitzung erfuhr er 1076 mit dem Streit zwischen dem deutschen Konig Heinrich IV. und Papst Gregor VII. Sie waren die Hauptprotagonisten in einem dramatisch angelegten Szenario, das fur immer verbunden sein wird mit dem Namen eines Ortes, einer Burg: Canossa.

  

19. Wer ist der Gro?te im ganzen Land?

Nach Canossa gehen wir nicht.« Es war Kanzler Otto von Bismarck, der am 14. Mai 1872 im Deutschen

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