gebracht hatte. Anders die Chronisten von Heinrich, der weitgehend wieder im Besitz seiner Handlungsfahigkeit war: Sie stellten das Ganze als einen genialen Schachzug ihres Monarchen dar, der dem Konigshaus der Salier das Uberleben sicherte.
Wie auch immer: Heinrich kehrte nach Deutschland zuruck und erwartete die ihm zugesagte Unterstutzung durch die Fursten. Doch die hatten eigene Plane und Rudolf von Rheinfelden inzwischen zum Gegenkonig ernannt. Er sollte in den nachsten Jahren Heinrichs gefahrlichster Gegner werden, und es kam zu diversen kriegerischen Zusammensto?en zwischen den feindlichen Lagern, die aber keine Klarheit brachten. Auch Papst Gregor blieb in der Konigsfrage unentschieden und hoffte auf eine Vereinbarung der Fursten, die aber nie zustande kam. Erst am 7. Marz 1080 auf der »Fastensynode« gab Papst Gregor VII. seine abwartende Haltung auf, sprach erneut eine Bannung uber Heinrich aus und erklarte Rudolf zum rechtma?igen Konig. Hatte die erste Exkommunikation 1076 das konigliche Lager auseinanderbrechen lassen, bewirkte der erneute Bann das Gegenteil. Durch konigstreue Bischofe unterstutzt, lie? Heinrich im Juni 1080 auf der Synode in Brixen ein kanonisches Verfahren gegen Gregor einleiten und au?erdem einen Gegenpapst wahlen. Sein Name war Wigbert, seit 1072 Erzbischof von Ravenna, der sich nun Clemens III. nannte.
Zu Heinrichs Gunsten entwickelten sich auch die Geschehnisse im Oktober 1080. Bei einer neuerlichen Schlacht gegen Rudolf von Rheinfelden an der Wei?en Elster in Thuringen wurde dieser todlich verletzt. Zwar war der Widerstand der Fursten damit noch nicht ganz gebrochen, aber Heinrich ging nun sein Ziel, Kaiser zu werden, aggressiver an. Trotzdem brauchte er noch einige Jahre und zwei kriegerische Anlaufe, um Rom zu besetzen und sich und seiner Gemahlin Bertha am Ostersonntag 1084 von Clemens III., der ebenfalls inthronisiert wurde, die Kaiserkrone aufsetzen zu lassen. Gregor VII. starb verbittert und zuruckgezogen am 25. Mai 1085 in Salerno.
Wieder zu Hause, lie? Heinrich seinen Sohn Konrad 1087 in Aachen zum Konig kronen, um der salischen Dynastie die Nachfolge zu sichern. Was eigentlich gut gemeint war, stellte sich in den nachsten Jahren allerdings als Ungluck heraus. Als Heinrich sich 1090 wieder einmal in Italien aufhielt, bildeten deutsche und italienische Fursten eine Koalition und versperrten ihm die Ruckkehr nach Deutschland. Vollig uberraschend fiel im Fruhjahr 1093 auch Kon-rad von ihm ab, und im Jahr darauf floh seine zweite Gemahlin Adelheid - Bertha war 1087 verstorben - in das Lager der italienischen Gegner. Konrad wurde in Mailand zum Konig von Italien gekront und nahm Kontakt zu Papst Urban II. auf, der ihm die Kaiserkrone in Aussicht stellte.
Heinrich war tief getroffen, achtete Konrad und lie? seinen zweiten Sohn Heinrich in Aachen zum Konig wahlen. Zwar erledigte sich die erste Vater-Sohn-Tragodie bald durch Konrads fruhen Tod 1101, dafur nahm die zweite nun ihren Lauf: Es dauerte nicht lange, bis auch dieser Sohn, Heinrich V., sich gegen seinen Vater stellte, ihn gefangen nahm und seine Abdankung erzwang (1105). Ein Jahr spater starb Heinrich IV. im Alter von 55 Jahren in Luttich. Seine letzte Ruhe fand er im Dom zu Speyer.
Einige Jahre mussten ins Land gehen, bis sich Heinrich V. und Papst Calixt II. 1119 endlich wegen der Investiturstreitigkeiten zu Verhandlungsgesprachen trafen. Das Ergebnis war das »Wormser Konkordat« von 1122, mit dem eine vorlaufige Einigung erzielt wurde. Heinrich V. akzeptierte den kirchlichen Anspruch auf die Investitur der Bischofe und Abte in ihr geistliches Amt. Sie wurden aber nach wie vor in ihre weltlichen Herrschaftsrechte vom Kaiser eingesetzt. Dieser Kompromiss beendete zwar den lange andauernden Streit, aber die Einbu?en fur das Kaisertum und seine sakrale Aura waren unubersehbar. Die Staufer sollten spater versuchen, ihm neue Konturen zu geben. Trotzdem blieb das problematische Verhaltnis zwischen Kirche und Reich noch jahrhundertelang bestehen.
Und auch die Fursten hatten weiterhin ein Wort mitzureden. Ein Regieren ohne ihre Unterstutzung sollte auch fur die zukunftigen Kaiser nicht moglich sein. Sie schufen damit die Basis fur die politische Gestalt des heutigen Deutschland: Die foderale Struktur, also die Aufgliederung in Bundeslander, ist ohne die Prasenz und Potenz der Furstentumer noch weit uber das Mittelalter hinaus nicht denkbar.
Der noch immer schwelende Konflikt zwischen Kreuz und Schwert zeigte sich schon bald nach dem Konkordat von Worms: Papst Boni-faz VIII. (1294 -1303) erneuerte mit seiner Bulle »Unam Sanctam« von 1302 den Anspruch auf eine Uberordnung des Papsttums uber alle weltlichen Gewalten. Hintergrund dieser Bulle war ein Streit um Geld mit Konig Philipp IV. von Frankreich, dem neuen weltlichen Machtzentrum in Europa. Philipp (1285 -1314), genannt der Schone, weigerte sich, Gelder aus einer Klerikersteuer nach Rom abzufuhren. Als Reaktion exkommunizierte Bonifaz den Monarchen. Der war wenig beeindruckt, berief die
Die Macht und das Ansehen des Papstes sollten im Spatmittelalter ihren Tiefpunkt erreichen. Nach einem kurzen Pontifikat des unmittelbaren Nachfolgers von Papst Bonifaz erzwang Philipp der Schone die Wahl des franzosischen Kardinals de Got zum Papst. Er wurde nicht mehr in Rom, sondern in Lyon gewahlt. Als Clemens V. verlegte de Got 1309 seinen Sitz nach Avignon, also in den Herrschaftsbereich der franzosischen Krone. Ein gewaltiger Palast mit glanzender Hofhaltung konnte jedoch nicht daruber hinwegtauschen, dass die Papste zu Dienern Frankreichs geworden waren. Fast siebzig Jahre mussten die Papste in dieser »Babylonischen Gefangenschaft« verbringen und ihren Pflichten von Avignon aus nachkommen, was sie unter uppiger Prachtentfaltung und zum Vorteil der franzosischen Konige taten. Der Name der provenzalischen Stadt wurde zum Synonym fur Luxus, Laster und Verschwendung.
20. Die Macht und die 8
Viele Wege fuhren zu den Staufern. Zwei wollen wir Ihnen empfehlen. Der langere von beiden endet in der Nahe von Barletta in Suditalien, wo Friedrich II. von 1240 bis 1250 ein geheimnisvolles Schloss, das Castel del Monte, errichten lie?, in dem sich alle Proportionen nach der Zahl 8 richten.
Der zweite und kurzere Weg bringt Sie nach Thuringen auf den waldigen Bergrucken des Kyffhauser. Dort soll im Gipsgestein der sogenannten Barbarossahohle Kaiser Rotbart alias Friedrich I. einen langen Schlaf tun, um dann, wenn es die Zeit erfordert (aber tut sie das nicht immer?), ans Tageslicht zuruckzukehren und die Welt wieder einzurichten.
Der rotbartige, aus Sandstein modellierte, sechseinhalb Meter gro?e Friedrich konnte allerdings nicht verhindern, dass ihn seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ein riesiger, in neubarocken Formen gekupferter Wilhelm I. hoch zu Ross uberragt und fast zur Fu?note degradiert. Er konnte sich auch nicht dagegen wehren, dass in nachster Nahe am 6. Mai 1939 ein Hindenburg-Denkmal geweiht wurde und dass er schlie?lich auch noch als Deckname fur den deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg herhalten musste.
Selbst die Hauptrolle in der Kyffhausersage lasst sich dem bartigen Kaiser noch streitig machen. Denn in ihren ersten Uberlieferungen im 14. und 15. Jahrhundert wird zumeist nur der Name Friedrich genannt. Und ihr Anlass war mit hoher Wahrscheinlichkeit der plotzliche Tod Friedrichs II., der wegen heftiger Leibschmerzen einen Jagdausflug in Apulien abbrechen musste und dann auf Schloss Fiorentino gebracht wurde. Dort fand er gerade noch Zeit, seine testamentarischen Anweisungen zu geben, ehe er verstarb. Die Frage, ob dies ein »naturliches« Ende war, hat morderische Fantasien ausgelost, die von Vergiftung bis Tod durch Ersticken - genauer gesagt: Ersticktwerden - reichen und bis heute gelegentlich wieder aufflammen.
Lassen wir also Barbarossa noch eine Zeitlang weiterschlafen und wenden wir uns seinem Enkel zu. Der Papst war einmal sein Vormund gewesen. Aber jetzt war er mundig und sprach fur sich selbst: er, Konig von Sizilien, deutscher Konig und Kaiser des Heiligen Romischen Reiches, Friedrich II., der Staufer. Gebildet, in vielen Sprachen bewandert, interessiert an allen Wissenschaften, mit Vorrang fur Mathematik und Philosophie, Verfasser volkstumlicher Verse sowie eines Buches uber die Falkenjagd, eines Meisterwerks der fruhen Naturkunde, war er eine Ausnahmeerscheinung unter den Herrschern des Mittelalters.