englischen Rechtsprechung gelten. In Frankreich hingegen konnte Sonnenkonig Ludwig seine Untertanen ganz nach Belieben einkerkern und hinrichten, ohne dafur irgendwie Rechenschaft leisten zu mussen. In England bedeutete spatestens die beruhmte
Seine zentrale Uberzeugung war gepragt durch das urchristliche Gemeinschaftsideal, wie es in der Apostelgeschichte im Neuen Testament beschrieben wird. Politisch ubersetzt klang aus dem Munde Cromwells diese Bibeldeutung im Jahre 1647 ungemein modern: »Die hochste Gewalt liegt beim Volk. Ihm gehort sie vom Ursprung an. Und vom Volk wird sie auf seine Vertreter ubertragen.« So ahnlich, wenn auch viel kurzer, haben es noch vor ein paar Jahrzehnten die DDR-Burger vor dem Mauerfall skandiert: »Wir sind das Volk!«
Wie gegensatzlich klingt da doch das Wort, das der Sonnenkonig Ludwig XIV. in Frankreich gesprochen haben soll: »L’etat c’est moi!« - Der Staat - das bin ich! Und wenn er das auch im wirklichen Leben nicht genau so gesagt hat, wie man es ihm spater in den Mund legte, so hat er es doch auf jeden Fall so gemeint. Denn sein Recht auf absolute Herrschaft war in seinen Augen gottgewollt, und das Gottesgnadentum seines Regiments berechtigte ihn zu knallharten Schlussfolgerungen: »Es ist der Wille Gottes, dass man, wenn man als Untertan geboren wird, dem Herrscher willenlos zu gehorchen hat.« Basta! Die Anwesenheit Gottes in der Politik mundet eben nicht selten in hemmungslose Aufwertung der eigenen Person.
Aber ganz im Gegensatz zu England funktionierte im Frankreich des 17. Jahrhunderts dieser Absolutismus ziemlich problemlos. Und das lag an zweierlei.
Zum einen daran, dass sich Frankreich im Jahre 1643, als der viereinhalbjahrige Ludwig auf den prachtigsten Thron Europas klettert, zum machtigsten Staat seiner Zeit aufschwingt. Befriedung und relativer Wohlstand sind eingekehrt nach den Wirren der Hugenottenkampfe, den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten. Deutschland als mogliche konkurrierende Macht existiert zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sondern besteht aus einem Konglomerat Hunderter Ministaaten, verheert durch den Drei?igjahrigen Krieg.
Brandenburg ist noch nicht das spatere Preu?en. In Italien gibt es seit romischen Zeiten keinen einheitlichen Herrschaftsraum mehr, und der Kirchenstaat ist intensiv mit sich selbst, den notwendigen Reformen und dem Schock der konfessionellen Spaltung beschaftigt. Ludwig wird zeitlebens sich selbst als Oberhaupt der franzosischen Katholiken verstehen und es nie zulassen, dass seine »gallikanische Kirche« den Einflussen des politisch schwachen Papstes unterliegt.
England geht seinen eigenen »puritanischen« Inselweg, ganzlich verschont von den Graueln des Drei?igjahrigen Krieges, aus denen Frankreich als politischer Profiteur hervorgegangen ist.
Die hinterwaldlerischen Russen haben gerade Iwan den Schrecklichen hinter sich gebracht und vegetieren nun geknechtet und leibeigen am unteren Ende der Kulturskala. Erst ein halbes Jahrhundert spater wird der Modernisierer Zar Peter der Gro?e kommen und durch die Ubernahme westlicher Technik und Wissenschaft versuchen, den europaischen Standard inklusive Gro?machtstraum auch fur Russland zu verwirklichen.
Die weltpolitische Bedeutung der osterreichischen Habsburger ist mit dem schwindenden Einfluss auf die deutschen Gebiete nach dem Drei?igjahrigen Krieg und dem Westfalischen Frieden von 1648 deutlich zuruckgestutzt, und Spanien hat mit den abtrunnigen Niederlanden genug Probleme und ist endgultig auf dem absteigenden Ast, als es 1659 im Pyrenaenfrieden die Ubermacht Frankreichs formell anerkennen muss.
Bleibt noch Holland, der Zusammenschluss der fortschrittlichen, protestantischen Niederlander, die zwar dem Zwanzig-MillionenVolk der Franzosen mit seinem machtigen stehenden Heer (dem ersten in Europa!) noch nicht gleichwertig Paroli bieten konnen, aber auf dem Sprung sind, mit freiheitlicher Kreativitat und viel burgerlichem Geschaftssinn zur uberseeischen Welthandelsmacht aufzusteigen. Holland wird zur gro?ten Herausforderung des absolutistischen Frankreichs werden, auch und gerade was sein alternatives, liberales und motivierendes Regierungsmodell angeht.
Zum anderen: Ludwig hat auf dem Weg zur absoluten Herrschaft geniale Vorarbeiter. Kardinal Richelieu (1585-1642) ist ein passionierter politischer Schachspieler. Als erster Minister Frankreichs schafft er es, durch geschickte Taktik den Einfluss des Adels immer mehr zuruckzudrangen. Den Hugenotten, also den franzosischen Protestanten, die aufgrund ihrer
Und Richelieus Nachfolger Kardinal Mazarin (1602-1661) perfektioniert als Vormund und Berater des jungen Ludwig noch weiter den Ausbau der koniglichen Macht gegen den schwindenden Einfluss der drei Stande, in die man das Staatswesen traditionell einteilt: Adel, Geistlichkeit und Dritter Stand, d. h. das Volk, das von diesem Zeitpunkt an noch genau 180 Jahre braucht, um endlich »Liberte, egalite, fraternite« (Freiheit, Gleichheit, Bruderlichkeit) zu rufen.
Zu dieser Zeit besteht das Volk noch zu neunzig Prozent aus Bauern, von denen der Schriftsteller La Bruyere berichtet, dass sie mit der Erde eins seien, »die sie mit unermudlicher Hartnackigkeit durchwuhlen: schwarz, fahl und sonnenverbrannt. Und nachts ziehen sie sich in ihre Schlupfwinkel zuruck, wo sie ihr Leben von schwarzem Brot, Wasser und Wurzeln fristen ...«.
Die einen leben im Schatten, die anderen leben im Licht. Besser gesagt: im Glanz des »Sonnenkonigs«, als den sich Ludwig XIV. gerne bezeichnen lasst - seit genau dem Tage, da er als lieblich hergerichteter 14-Jahriger in dem »Ballett der Nacht« in der Rolle des Sonnengottes Apoll vor seinem begeisterten Hofstaat uber die Versailler Buhne tanzelt. Das ist ganz bestimmt ein besonderer Geschmackstest fur Gourmets gewesen, an dem wir als Zeitreisende liebend gern leibhaftig teilgenommen hatten.
27. Ein Mann, ein Staat
'Was fur ein Bild! Was fur ein Mannsbild! Was fur ein Bild von einem Mann! Und welch eine Perfektion kultureller Verfeinerung. Allein schon fur dieses Portrait des Malers Hyacinthe Rigaud lohnt Ihre Reise nach Versailles, lieber Leser.
Und dieser Staat zeigt selbstbewusst Bein. Wei?bestrumpftes Bein, das den Einblick fast bis in den Schritt erlaubt, ein Zeichen hochsten Adels. Die blutroten Haken an den Schuhen sind ubrigens keineswegs blo? eine Art modischer
Bei dieser Prasentation wird alles aufgefahren, was uns einen Menschen zum Idol macht. Alle sind angezogen von diesem SuperMagneten, alle wollen diese Installation uberirdischer Kultur leibhaftig sehen, ja sie vielleicht sogar irgendwann einmal beruhren durfen. Und wie bei einem originalen Kunstwerk, fur das man Millionen zu zahlen bereit ist, anstatt sich mit einer wenige Euro teuren Reproduktion zu begnugen, so ist es auch mit diesem Ludwig: Die tatsachliche Begegnung mit dem Original verhei?t eine Art Funkensprung des Gottlichen. Dieser Staat als Mensch garantiert seinen Untertanen bei jedem seiner Auftritte eine wohlige Gansehaut und das physische Erlebnis eines Staates. Und wie sehnsuchtig selbst heute noch nach diesem Gluck der imperialen Anschauung gestrebt wird, beweisen uns die hohen Einschaltquoten bei koniglichen Hochzeiten.
Solche Performance ist keineswegs eitel. Sie ist politisches Programm. Mit so was macht man erfolgreich Weltpolitik. Die Idee des Zentralismus ist dabei eine totale: Wie am Hof von Versailles der franzosische Adel zusammengeballt wird, um damit besser kontrollierbar zu sein, so versammelt sich in der Gestalt Ludwigs alles,