was Staat ist. Es ist ein Konzept, dem heute alle Werbestrategen huldigen, ohne die Qualitat dieses Symbols auch nur annahernd zu erreichen: Ludwig ist der Markenartikel schlechthin. In ihm werden alle Traume, Sehnsuchte und Wunsche lebendig. Ludwig ist die Projektionsflache fur alles, was das Leben schon macht.

Und er ist ein politisches Talent. Genial, wie der 23-Jahrige gleich nach dem Tod seines fuhrenden Ministers Mazarin auf eine Neuernennung verzichtet und im Handstreich dessen Macht ubernimmt. Mutig und voller Selbstvertrauen die Entscheidung, alle ubrigen Minister zu Laufburschen zu degradieren und ihnen mit klaren Worten ihren Job zu erklaren: »Sie werden mich mit ihrem Rat unterstutzen, wenn ich Sie befrage. Ich untersage Ihnen, irgendetwas, und sei es auch nur einen Pass, ohne meinen Befehl zu unterzeichnen.« Klug die Einsetzung von drei?ig begabten Beamten, sogenannten »Intendanten«, von niedrigem Stand, aber mit umso hoherer Begabung. Raffiniert, den gesamten Adel des Landes dadurch von Unzufriedenheit, Rebellion und Intrige abzuhalten, dass man den Dienst bei Hofe zu seiner einzigen und abendfullenden Beschaftigung macht. Und ebenso fantasievoll wie frech, alle Macht zusammenflie?en zu lassen in einem gro?artigen, zentralen Symbol, das in der Kulturgeschichte so oft vergottlicht worden ist und hier nun einzig der Selbstvergoldung des Herrschers dient: das Bild der Sonne, die mit ihren Strahlen alles erwarmt, was ihr nahekommen darf. Denn streben wir nicht alle nach einem Platz an der Sonne?

Die Konsequenz dieses Symbols hat Ludwig voll ausgelotet: Sogar der konigliche Tagesablauf entspricht dem Lauf der Sonne. So ist das morgendliche Lever um acht Uhr, die Erhebung des Konigs vom Nachtlager, schon einer der Hohepunkte des Tages und unterliegt einem exakten Ritual. Ebenso wie das Zubettgehen. Wer, wann, wie dem Konig das Nachthemd, die Perucke oder gar die Halsbinde reicht (es gibt da einen koniglichen Halsbandverwahrer von hochstem Adel), ist bis ins kleinste Detail geregelt.

Es ist wie eine gigantische Theaterauffuhrung, bei der das Publikum »interaktiv« ist. Und was kann man uns Menschen Schoneres geben als das Gefuhl, auch eine wichtige Rolle zu spielen? Die Macht des gro?en Symbols, die Macht der sinnlichen Anschauung und die Macht der rationalen Ordnung gestalten diesen Staat.

Und nicht zuletzt auch der Flei? seines durchaus pflichtbewussten Monarchen. Denn Ludwig arbeitet wirklich. Nach der ausgedehnten Toiletten-Performance und dem Fruhstucksritual sitzt er am Schreibtisch. Die »Staatsraison«, die er selbst erfunden hat, erfordert das. Nahezu alles regelt er selbst. In seinem letzten Regierungsjahrzehnt ist seine beratende Ministerriege auf gerade mal drei Personen zusammengeschrumpft. Und dass Ludwig durchaus seine eigene Klugheit zum wichtigsten Berater ernennt, beweist der Brief, den er an seinen Enkel schreibt, als der sich zum Konig von Spanien aufschwingen will:

»Richte alle Deine Aufmerksamkeit auf Deine Regierungsgeschafte. Vernachlassige sie niemals um des Vergnugens willen, schaffe Dir eine Lebensordnung, die genau die Zeit bestimmt, die der Erholung und Zerstreuung dienen soll. Begunstige niemals die Menschen, die Dir am meisten schmeicheln, sondern halte etwas auf die, die um des Guten willen Dir zu missfallen wagen. Hore im Anfang moglichst viel zu, bevor Du entscheidest. Sei freundlich zu jedermann und sage niemandem etwas Krankendes.«

In seiner Treue zur eigenen Staatsraison ist Ludwig kompromisslos. Und wenn hundert Jahre spater der preu?ische Konig Friedrich II. sehr fortschrittlich von sich sagen wird: »Ich bin der erste Diener meines Staates«, so konnte Ludwig mit Fug und Recht von sich behaupten: »Ich bin der erste Diener meiner selbst!«

Ein besonders krasses Beispiel dafur ist die Ergebenheit, mit der er dem medizinischen Fitnessprogramm seiner Arzte Gehorsam leistete, wenn es darum ging, die konigliche Glorie, seine gloire, zu erhalten: Nicht ganz unberechtigt sah man in dieser Epoche, in der Mundhygiene noch ein Fremdwort war, die Zahne als Hauptubeltater fur viele chronische Leiden und korperliche Gebrechen an. Der Satz: »Nur die Schmerzen des Todes sind schlimmer als die der Zahne« war ein geflugeltes Wort. Um nun die Schaffenskraft des Monarchen ungebrochen zu erhalten, erschien es notwendig, spatestens mit dem 50. Lebensjahr dem Konig die Zahne zu ziehen. Sein Leibarzt Dr. Daquin notiert in sein Tagebuch, die Empfehlung dieser »Zahnkur« habe dem Konig zwar nicht besonders gefallen, aber: »Fur seine konigliche Glorie sei er zu allem bereit, sogar zum Sterben.«

Dr. Daquin macht sich also ans Werk und zieht dem pflichtgetreuen 49-Jahrigen zunachst ohne jede Betaubung alle Zahne des linken Oberkiefers, was allerdings zu einem eiternden Abszess und einer Knochengewebsentzundung fuhrt. Die darauf folgende Behandlung ist radikal: Dr. Daquin zieht alle restlichen Zahne des Oberkiefers, durchbricht dabei aber bedauerlicherweise das Gaumenbein zum Nasenraum. Mit arztlicher Korrektheit notiert der Mediziner, dass er ganze 14-mal das Loch im Gaumen mit einem gluhenden Eisen ausgebrannt habe. Und sicher ist sicher: Bald danach folgt die Extraktion samtlicher Unterkieferzahne. Mit einem kleinen malheur allerdings: Der Kiefer zerbricht.

Ein arztliches Missgeschick erzeugt das nachste: Die Tatsache, dass Ludwig in seinen letzten Lebensjahrzehnten alle Speisen un-zerkaut herunterschlucken muss, fuhrt zu chronischen MagenDarm-Problemen. Kein Wort taucht in Dr. Daquins Tagebuch so oft auf wie das Wort vapeur - Blahung. Das zweithaufigste Wort ist »Klistier«: Fast taglich werden dem Sonnenkonig Einlaufe aus einem Gemisch von Eibischwurzeln, Wollkrautblattern, Leinsamen, Rosenwasser und su?em Mandelol verabreicht. Und was der Konig vormacht, machen alle nach. Einlaufe a la Louis Quatorze sind bald gro? in Mode. So sehr, dass im Februar 1673 ein gewisser Jean-Bap-tiste Poquelin, besser bekannt unter seinem Kunstlernamen Moliere (1622-1673), in Paris ein Theaterstuck auffuhrt, das spater ein Welterfolg wird, weil es den ungesunden Gesundheitswahn der Zeit aufs Korn nimmt: »Der eingebildete Kranke«.

Schon ein paar Tage nach der Urauffuhrung aber ist auch er, der ironischste Vertreter einer Gesundheitsreform, tot. Doch die Erkenntnis, die wir fur uns aus dieser ganzen Geschichte ziehen konnen, ist recht trostlich: Lieber ein europaischer Habenichts im 21. Jahrhundert sein als ein Sonnenkonig im 17.

Gezweifelt an der Kompetenz seiner Arzte hat Ludwig ubrigens nie, auch nicht, als sie ihm spater in einer abenteuerlichen Operation ein Geschwur am Enddarm herausschnitten. Gezweifelt hat der Sonnenkonig ohnehin kaum. Am ehesten noch am Ende seines Lebens, als er mit einer schmerzhaften Blutvergiftung im Bein auf dem Sterbebett lag. Im Gesprach mit seinem Urenkel und Nachfolger zog er Bilanz und gestand doch einen Kardinalfehler ein: »Ich habe den Krieg zu sehr geliebt. Ahmen Sie mich darin nicht nach!«

Damit hatte er ebenso richtig wie selbstkritisch den schwachsten Punkt seiner Regierung getroffen. Seine vielen Kriege und das stehende Heer verschlangen tatsachlich Unsummen und fuhrten letztlich doch nicht zur angestrebten Vorherrschaft in Europa. Gegen Spanien und Holland hatte Ludwig langwierig, aber am Ende ohne gro?en Erfolg gekampft, aber die »Reunionsversuche«, also die angestrebte Ruckfuhrung von Gebieten, auf die Frankreich mit Hinweis auf graue Vorzeiten abenteuerlichste Anspruche erhob, brachten immerhin das Elsass mit Stra?burg ein. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg, in dem es um die Neubesetzung des vakanten spanischen Throns ging, wird mit dem Utrechter Frieden 1713 ein ganz neues Kapitel politischer Konfliktlosung in Europa aufgeschlagen. Zum ersten Mal spielen nicht mehr dynastische Anspruche der Herrscherhauser die erste Geige bei der politischen Neuorientierung, sondern der Vertrag soll, wie es ausdrucklich hei?t, »zur Herstellung des Gleichgewichts zwischen den Machten« dienen. Das altertumliche »Recht des Blutes« tritt jetzt zuruck hinter die vernunftgesteuerte, rational begrundete Gestaltung von Politik. Ein Fortschritt, dem sich selbst Frankreich nicht verschlie?en kann.

Zumal da es pleite ist. Die Kriege hatten die Okonomie au?er Kurs gesetzt.

Dabei ist es eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet im absolutistischen Frankreich die Idee einer vernunftigen Marktwirtschaft ihren Anfang genommen hat.

Jean-Baptiste Colbert (1619-1683) hei?t der Mann, der die Theorie des Merkantilismus entwickelt. Er erkennt mit klarem kaufmannischen Sachverstand, dass das okonomische Gluck eines Staates hauptsachlich von einem Faktum abhangt: Ein Staat muss einfach mehr ausfuhren, als er einfuhrt. Diese Vorgabe, der heutzutage unsere deutschen Politiker immer noch zielstrebig nacheifern, wahrend andere Staaten, wie etwa die USA, sie regelrecht in den Wind schlagen, soll laut Colbert der ultimative Schlussel zu mehr Wohlstand sein.

Die erste gro?e okonomische Erkenntnis ist keine Milchmadchenrechnung: »Wer durch seiner Hande Arbeit mehr Werte schafft, als er selbst verbraucht, wird uber kurz oder lang in wachsendem Wohlstand leben«, so lehrt Colbert. Und wir nicken eifrig.

Die Wirtschaftspolitik unter Ludwig folgt zunachst auch erfolgreich diesem schlussigen Konzept. Der Staat nimmt massiv Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung. Um verkaufbare Produkte im eigenen Lande herzustellen, bedarf es in erster Linie vieler Rohstoffe. Die ersten Kolonien entstehen jetzt, in Nordamerika, Vorderindien, Indochina, Madagaskar. Eine eigene Handelsflotte lauft vom Stapel, eine machtige Kriegsflotte entsteht zu deren Schutz. Zum ersten Mal wird ein regelrechter Staatshaushalt aufgestellt, und man folgt dem Finanzplan Colberts, dem es tatsachlich gelingt, einen Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben zu erwirtschaften. Warum aber dieses ebenso clevere wie zunachst auch erfolgreiche Konzept am Ende doch nicht aufgeht, das ist ein Lehrstuck in

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