genannte »Philosoph auf dem Konigsthron«, der jetzt allmahlich der »Alte Fritz« wird, im Kriegssattel zugebracht: Strategisch geschickt und auch von Feinden hochgelobt und bewundert, mutig, planvoll und intelligent hat er die schlagkraftigste Armee seiner Zeit gegen eine Ubermacht gelenkt, die zuletzt zwanzigmal so viele Einwohner hinter sich vereinte wie sein kleines Funf-Millionen-Volkchen. Das ehrgeizige Ziel ist erreicht, wenn auch zuletzt unter gnadiger Mithilfe des Schicksals: Das Reich ist aufgemobelt, Preu?en ist zur europaischen Gro?macht aufgestiegen und kann diesen Status halten.

1772 fuhrt die Teilung Polens nochmals zu einer territorialen Erweiterung des Reiches. Mit dem neuen Westpreu?en ist endlich auch der Anschluss geschafft zwischen dem bis dahin noch unverbundenen Brandenburg und Preu?en. Auch in diesem Falle gilt: Au?enpolitisch wird selbst in aufgeklarten Zeiten nach absolutistischer Manier verfahren. Die drei Gro?machte Russland, Osterreich und Preu?en verteilen das polnische Territorium unter sich, und keine Instanz ist da, die dieses volkerrechtliche Kriminalstuck verhindert.

Noch einige Handvoll wichtiger ziviler Ma?nahmen sind es, die Friedrich in den Augen von Freund und Feind zu einem »Gro?en« gemacht haben: vor allem die fortschrittliche Siedlungspolitik nach den Zerstorungen des Siebenjahrigen Krieges, bei der gut 300 000 Bauern in 900 neuen Dorfern eine Heimat finden. Oder etwa die kluge Forderung des Kartoffelanbaus Anfang der 1770er-Jahre, mit der die Ernahrung der Bevolkerung auf eine neue, solide Grundlage gestellt wird. Oder Friedrichs bestandiger Flei? und die Sorgfalt bei der Beobachtung aller staatlichen Tatigkeiten, die ihm den volkstumlichen Titel »Konig Uberall« eintragen. Nicht zuletzt auch die Ernennung des genialen Newcomers Immanuel Kant zum Professor in Konigsberg, dem seinerzeit fortschrittlichsten Trendsetter in Sachen Aufklarung.

Die gro?e Unubersichtlichkeit in den Zeiten massiver Umbruche und politischer Neuorientierung hatte Friedrich glanzend gemeistert, zum Vorteil Preu?ens, das fur die Zukunft Deutschlands nun die entscheidende Rolle spielen sollte. Friedrich hatte einen neuen Weg gefunden, au?en- wie innenpolitisch, in einem Europa, das in dieser Zeit eigentlich einem politischen Tollhaus glich.

Halten Sie es fur Zufall, dass in solchen Zeiten die Kunst all das vernachlassigt, was in den Jahrhunderten zuvor noch Ebenma?, Harmonie und Uberschaubarkeit bedeutete? Und stattdessen die Turbulenz der Geschichte sich in wilden und uberschwanglichen Formen abbildet? Je wirrer die Zeiten, desto mutiger die Kunst, Sie haben sich das vermutlich schon gedacht. In den Werken der Maler, Baumeister und Musiker des 17. und 18. Jahrhunderts regieren Uberraschung, Irritation, Bewegung, Fluss und Unuberschaubarkeit. Barock hat man spater treffend diese Kunstepoche zwischen 1600 und 1750 genannt, abgeleitet vom portugiesischen barocco, der Bezeichnung fur eine wunderschone, aber naturhaft unberechenbar geformte Perle.

Der Zugriff der Kunstler ist machtig und total: Alle Sinne wollen sie zugleich aufrutteln. Der Betrachter soll gleichsam absorbiert werden von einer uberwaltigenden Performance verschlungener Formen und Farben.

In Italien war es bereits im 17. Jahrhundert Lorenzo Bernini (1598-1680), der spatere Baumeister am Hofe Ludwigs XIV., gewesen, der die strengen Formen zum Flie?en brachte und Architektur, Plastik und Malerei in seinen Bauwerken zu uberwaltigenden Gesamtkunstwerken vereinte. An der Prachtentfaltung von Versailles hatten sich danach alle Fursten Europas gemessen und sogar versucht, diese Leitkultur noch zu verfeinern und zu uberbieten. Auch Friedrich war mit seinem preu?isch-bescheidenen Sanssouci diesem Vorbild gefolgt.

Mit der Erfindung des Porzellans in Sachsen 1709 eroffnet sich den Kunstlern dann noch einmal ein ganz neues, viel grazileres Arbeitsmaterial, das wiederum eine Verfeinerung und Verschnorke-lung des bereits Feinen und Verschnorkelten erlaubt: Die Zeit des Rokoko (etwa 1720-1780) kundigt mit seiner Miniaturisierung der barocken Formen- und Farbenexplosion dann schon das Ende dieser Epoche an, die den letzten Kunststil auspragt, dem ganz Europa einheitlich huldigt, so wie in der Schlacht vor Wien ein letztes Mal gemeinsam gekampft wird.

Der Sieg uber die Turken ist es hauptsachlich, der wie in einem gro?en Finale den Gemeinschaftssinn fur Gro?e und Macht des Abendlandes noch einmal kraftig anstachelt. Der kulturelle Schub, der von hier ausgeht, ist wie eine Ruckversicherung fur wiedergewonnene Starke und fur glanzvolles Selbstbewusstsein, vor allem in der Stadt des romisch-deutschen Kaisers, in Wien. Die Wiener Karlskirche, zwischen 1716 und 1737 erbaut vom genialen Baumeister Johann Bernhard Fischer von Erlach und seinem Sohn, hat nur dieses eine Ziel: wiedergefundene Gro?e zu demonstrieren. Die gigantische Komposit-Architektur vereint wie in einer Leistungsschau alle baulichen Highlights der Geschichte: die riesige Kuppel, die dem Petersdom in Rom nachempfunden ist; die saulenartigen Glockenturme, die an romische Siegessaulen erinnern sollen und als »Saulen des Herkules« auf die Grenzen der Welt hinweisen und den Machtanspruch der Habsburger markieren; die vorgesetzte begiebelte Saulenhalle, die an die Wurde griechischer Tempel gemahnt; die monolithischen Torbauten rechts und links, die wie antike Triumphbogen in den Himmel ragen.

Solch entfesselte Lust auf Reprasentation und selbstbewusste Prachtentfaltung ist das Erbe aus dem Sieg uber die Turken, das uberallhin ausstrahlt. Ein kleiner Rest dieser barocken Gro?mannsucht ist ubrigens noch in unserer heutigen Schrift aufzufinden: in der Gro?schreibung unserer Hauptworter und Anreden.

Friedrichs Schloss Sanssouci ist vielleicht der letzte gro?artige Gru? dieser Epoche, den der Wanderer durch die Geschichte auch heute noch ganz hautnah empfangen kann. Am Rokoko-Stil weigerte sich Friedrich zeitlebens bauliche Anderungen vorzunehmen, auch als gegen Ende seines Lebens 1786 langst der nuchterne Zeitgeschmack des Klassizismus vorherrschte und edle antike Klarheit allerorts die ausufernde Formen- und Farbenvielfalt verdrangte. Nur au?erst widerwillig erlaubte Friedrich selbst notwendigste Reparaturen an seinem »Weinberghauschen«, wie er seine Sommerresidenz liebevoll nannte. Seinen Staat hatte er mobliert, wahrend sein »Ohne-Sorge-Schloss« verfiel. Ganz vorsatzlich, denn es sollte mit ihm untergehen. So wie er es selbst wortwortlich bestimmte: »Es soll nur bei meinem Leben dauern!« Zum Gluck hat der Alte Fritz da mal nicht recht behalten.

  

30. Sternschnuppen und Geistesblitze

Haben Sie schon mal in der Nahe des Nordpols die Mittsommernacht erlebt? Oder das Wetterleuchten in Spitzbergen? Oder den Regen von Sternschnuppen in einer mondlosen Augustnacht in der Wuste? Nein? Macht nichts. Es geht auch zu Hause.

Die Rede ist von einem Gefuhl, das bestimmt schon die ersten Menschen kannten: Unter der Himmelskuppel in einer sternklaren Nacht oder auch ganz woanders kann namlich etwas Wunderbares passieren. Plotzlich werden wir uns bewusst, wie winzig und unbedeutend wir sind, und spuren doch das gro?artige Zusammenspiel allen Lebens mit dem Weltganzen. Fur Augenblicke scheint alles zusammenzugehen: wir, die Natur, das All, Gott.

Fur den Theologen Friedrich Schleiermacher war Anfang des 19. Jahrhunderts dieses Gefuhl der Ursprung einer jeden Religion. Ein solches existenzielles Erlebnis wurde in den Herzen der Menschen »ein Gefuhl schlechthinniger Abhangigkeit« auslosen, so war Schleiermacher uberzeugt. Diese hochindividuelle, sensitive Erfahrung der gottgewollten Ordnung, in der alle Dinge ihren richtigen Platz haben, sei der Schlussel zu wahrem Glauben.

Der Zauber einer sternklaren Nacht war im ausgehenden 18. Jahrhundert aber nicht nur etwas fur romantische Theologen. Auch fur den scharfsichtigen preu?ischen Aufklarer Immanuel Kant (1724-1804) war der Sternenhimmel ursprunglicher Antrieb all seiner Uberlegungen. Auf die Frage, was ihn denn eigentlich zum Nachdenken uber Gott und die Welt verleite, pflegte er zu antworten: »Der gestirnte Himmel uber mir und das moralische Gesetz in mir!«

Das gottgegebene Recht, nach der Ma?gabe des eigenen Verstandes zu handeln, ist in Kants Augen zugleich eine Pflicht. In seiner kleinen Broschure »Was ist Aufklarung?« appelliert er: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« Und mehr noch: Den Denkverweigerern, den faulen Couch-Potatoes, den Unterhaltungs- Berieselten, den Eventkultur-Fremdbestimmten gibt Kant eine eigene tiefe Schuld an ihrem unwurdigen Zustand, denn: »Aufklarung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmundigkeit.«

Solche Satze sind es, die die Welt in Bewegung bringen. Und fur die Neuerer der Zeit war es eine wunderbare Verhei?ung, im Instrument des Verstandes endlich das perfekte Mittel der gesellschaftlichen Verstandigung gefunden zu haben. Denn wenn nach den Gesetzen der Vernunft 1+1= 2 ist, dann liegt der Gedanke nah, dass auch alle Fragen und Probleme der Welt auf ebendieser Grundlage losbar sind. Wurde mit der konsequenten Benutzung

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