Gluck der Welt ihren Ursprung nehmen«, so kommentiert Maximilien Robespierre (1758-1794), einer der radikalsten Anfuhrer der Jakobiner. Aber auch er wird erfahren, dass die entfesselte Revolution am Ende ihre Kinder frisst: Am 28. Juli 1794 fallt auch sein Kopf in den Korb des Henkers.

Der junge Rechtsanwalt Robespierre ist der Beweis dafur, zu welchen Exzessen auch die Aufklarung fahig ist. Mit gro?er Rednergabe, einem messerscharfen Verstand und der eiskalten Logik eines Killers ausgestattet, errichtete er ein Terrorregime sondergleichen. Ein Mann, der Satze sagte wie: »Wir wollen in unserem Land den Egoismus durch Sittlichkeit ersetzen, den Glanz durch die Wahrheit«, ist zugleich fahig, Tausende dem Henker zu uberantworten und »jeden mit dem Tod zu strafen, der in der Revolution auch nur passiv ist«. Die von ihm inszenierten Konvent-Ausschusse tragen so wohlklingende Namen wie »Wohlfahrtsausschuss«, sind aber in Wirklichkeit Menschenvernichtungsmaschinen. Er selbst lasst sich als der »Unbestechliche« feiern. Das mag sogar stimmen, unbestechlich in Hinblick auf seine rationale Grausamkeit. Als exklusiver Verwalter des Volkswillens betrachtet er alle seine Entscheidungen uber Tod und Leben als unfehlbar.

Die ursprungliche Hoffnung, im scharfen Verstand endlich ein Mittel gefunden zu haben, um das Leben menschlicher zu gestalten, als es in den dunklen Zeiten des Mittelalters war, wird mit der Person Robespierres schon fruh ad absurdum gefuhrt. Es zeigt sich bereits hier, was 150 Jahre spater in Nazi-Deutschland noch einmal deutlich werden wird: Der Primat des Verstandes schutzt keineswegs vor einer todbringenden Koalition von menschenverachtender Politik und Geist. Gerade die Naturwissenschaften haben damals der Einbindung in den Terror nicht widerstehen konnen.

Ganz im Gegenteil. Sie haben die Todesmaschinerie geradezu organisatorisch optimiert.

Wie machtvoll die Kraft ist, die von dem Versprechen ausgeht, dass Menschen sich als selbstverantwortliche Individuen frei entfalten konnen, zeigt sich in der Schlacht von Valmy 1792, als zum ersten Mal das franzosische Heer auf die hochgerusteten Koalitionstruppen sto?t. Ahnlich wie die alten Romer, deren Militar seinen Gegnern so uberlegen war, weil freie romische Burger ihren selbstbewussten, eigenen Kampf kampften, so erweisen sich jetzt die Revolutionare als hochmotivierte, effektive Soldaten. Mit ihrem Marschlied, der »Marseillaise«, ziehen sie in einen Kampf, den sie zutiefst als den ihren empfinden. Unterstutzung, auch psychologische, finden sie uberall dort, wo die Bevolkerung mit den Idealen der Revolution sympathisiert, etwa im Rheinland.

Fur den nachhaltigen Erfolg der Revolutionstruppen sorgt letztlich aber noch etwas anderes: die Uneinigkeit unter den Gegnern. So nutzt Russland den westeuropaischen Konflikt zum ungestorten Vormarsch in Polen, und auch Preu?en ist eher daran interessiert, sich noch ein Stuck vom polnischen Kuchen abzuschneiden, als standig gegen das ferne Frankreich zu marschieren. Die gewaltsame Aufteilung Polens unter Russland und Preu?en generiert den Sonderfrieden mit Frankreich. Und nach dem Triumph der Franzosen uber Osterreich steht jetzt nur noch England im Kampf gegen das Mutterland der Revolution.

  

32. Der Kuss des Leguans

Das Faszinierende an Geschichte ist, dass es oft ganz kleine Dinge sind, die vollig unerwartet gro?e Bedeutung erlangen.

Konnten Sie denn auf Anhieb auf einem Globus die kleine Ansammlung von Vulkan-Atollen zeigen, die sich gute tausend Kilometer vor der Kuste Ecuadors ausbreitet und die den Namen Galapagos tragt? Vor 200 Jahren hatte wohl kaum jemand auch nur mit dem Namen der Inselgruppe etwas anfangen konnen. Und niemand hatte damals geahnt, dass ein 26-jahriger Arztsohn, der auf ebendieser abgelegenen Inselgruppe im Herbst 1835 wochenlang Singvogel und Leguane beobachtet, einmal das Weltbild der Menschheit so revolutionieren wurde, dass man ihn noch heute auf die Liste der zehn wichtigsten Manner der Geschichte setzt? Die Weltgeschichte besteht aus einer einzigen Kette von Uberraschungen.

Dem Englander Charles Robert Darwin (1809-1882) war keineswegs schon an der Wiege gesungen, dass er den Fortschritt der Menschheit starker beeinflussen wurde als alle Politiker und Feldherrn des 19. Jahrhunderts zusammen. Als funftes von sechs Kindern eines Arztes im hinterwaldlerischen Shrewsbury geboren, sollte er wie der Vater Arzt werden. Das halbherzig begonnene Studium konnte ihn aber nicht faszinieren. Au?er in Chemie fiel ihm die Begeisterung fur das Lernen schwer. So sattelte er um auf Theologie, empfand aber auch diese Beschaftigung insgeheim als Zeitverschwendung. Sein Gro?cousin ermunterte ihn, die Langeweile des Studiums in Cambridge mit gelegentlichen Exkursionen in die Umgegend zu vertreiben. Da gab es nun in der Natur vieles zu sehen und zu entdecken, was ihn an seine Jugendzeit erinnerte und sein Interesse an Fragen der Naturwissenschaft erneut weckte. Denn schon als Kind hatte er mit Begeisterung Kafer gesammelt und im »Labor« seines alteren Bruders, einem alten Schuppen, »Naturentdecker« gespielt.

Charles Darwin wurde zwar ein unglaubiger Theologe, aber dafur ein Naturforscher allererster Gute. Auf den Spuren und in der Tradition des gro?en weltreisenden Naturentdeckers Alexander von Humboldt (1769-1859) wandelnd, uberbot er dessen Erkenntnisse mit seiner »Evolutionstheorie« in weltbewegender Weise. Von seiner fast funfjahrigen Erkundungsfahrt auf dem Segelschiff Beagle (Dezember 1831- Oktober 1836) sagte er am Ende seines Lebens, dass diese Weltreise, die ihn auch zu den fur seine Forschungen so bedeutenden Galapagos-Inseln fuhrte, »das bei Weitem bedeutendste Erlebnis in meinem Leben war«. In Wirklichkeit aber hatten die dabei gewonnenen Erkenntnisse noch viel gro?ere Bedeutung.

Fur die Menschheit war es das vielleicht folgenschwerste Ereignis des 19. Jahrhunderts. Denn Darwins Entdeckung, dass die Entwicklung aller lebendigen Wesen auf naturlichen Einflussen beruhe und nicht auf einem einmaligen Schopfungsakt Gottes, schlug wie eine Bombe in alle Bereiche der damaligen Gesellschaft ein. Hatte man bisher den biblischen Schopfungsbericht weitgehend als verbindliche Dokumentation der Welt-, Tier- und Menschwerdung akzeptiert, so kamen mit Darwins wissenschaftlich-peniblen Beobachtungen die gro?en alten Wahrheiten ins Wanken. Dass es eine gemeinsame Abstammung und damit einen biologischen Zusammenhang zwischen allen Lebewesen gebe, war fur die meisten Menschen des 19. Jahrhunderts ganz unglaublich. Und dass Gott die unterschiedlichen Lebewesen nicht mit einem einzigen himmlischen Paukenschlag geschaffen habe, sondern dass ihre Entwicklung sich durch kleinste graduelle Veranderungen vollziehe und als ein andauernder, dynamischer Prozess zu verstehen sei, stie? auf energisches Kopfschutteln. Dass die naturliche Auslese dabei der bedeutendste Mechanismus der Evolution sei - diese Vorstellung erschreckte die Gemuter und stellte den Willen Gottes in Zweifel. Und dass gar eine nahe Verwandtschaft des Menschen mit dem Affen bestehe, entsetzte oder belustigte die Offentlichkeit.

Sigmund Freud hat ein halbes Jahrhundert spater in Hinblick auf Darwins Entdeckung von einer gewaltigen »Krankung der menschlichen Eigenliebe« gesprochen, dadurch ausgelost, dass »die biologische Forschung das angebliche Schopfungsvorrecht des Menschen zunichtemachte, ihn auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Untilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies«. In der Tat: Fast kein Bereich des menschlichen Lebens blieb davon unberuhrt, dass Darwin das Woher unserer Existenz unter Auslassung der Religion entschlusselte. Nicht nur das Menschenbild wurde in dieser Sternstunde der Wissenschaft vollig verandert, sondern auch unsere Sicht auf die Welt, auf das Tierreich, auf die okologischen Zusammenhange. Die Verantwortung fur alles Leben wurde von hier aus auf eine ganz neue Grundlage gestellt und der Mensch erneut ein Stuck weiter aus dem Zentrum der Welt herausgeruckt.

Um es sportiv auszudrucken: Wie einen jener siegesgewissen Radfahrer, die bei den beruchtigten Bergetappen der Tour de France uber lange Zeit einsam die Spitze bilden, dann aber kurz vor dem Ziel vom Hauptfeld eingefangen und wieder verschluckt werden, holte Darwin den Menschen vom Podest der Schopfung und schickte ihn zwecks Wiedereingliederung zuruck in den Zoo. Die Sonderstellung des Homo sapiens war dahin.

Wahrend Darwin ein Erdbeben ausloste, sind viele andere Wissenschaftler dieses Jahrhunderts am starrkopfigen Beharrungsvermogen ihrer Epoche geradezu zerbrochen. Es sei hier nur exemplarisch an den Wiener Arzt Ignaz Philipp Semmelweis (1818-1865) erinnert, der mit der Erfindung der Hygiene (zur Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten) die wohl effektivste medizinische Ma?nahme aller Zeiten anstie?, aber von den Standeskollegen verlacht wurde und in geistiger Umnachtung starb. Im Gegensatz dazu wurde die Bedeutung Darwins am Ende seines Lebens von seinen Zeitgenossen weitgehend anerkannt. Man bestattete den 73-Jahrigen

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