am 26. April 1882 in der Londoner Westminster Abbey zu Fu?en jenes Monuments, das dem bis dahin gro?ten Naturwissenschaftler galt: Sir Isaac Newton.
Welche Bedeutung haben im Vergleich zu solchen Neujustierungen der Welt schon politische Taten und Vertrage? Oder gar Schlachten, selbst wenn, wie im Oktober 1813 bei Leipzig, ganze »Volker« aufeinanderprallen? Haben sich territoriale Grenzziehungen jemals als so dauerhaft erwiesen wie gro?e Gedanken und fundamentale Erkenntnisse? Wenn der Grieche Heraklit (+ um 460 v. Chr.) behauptet, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei, dann erweist er sich als einer der Vorlaufer von Darwin und seiner Lehre vom »Kampf ums Dasein«, mit dem der gro?e Forscher den britischen Kolonialismus rechtfertigte.
Der 1,67 Meter kleine Zeitgenosse, der bei seiner Karriereplanung an der Wende zum 19. Jahrhundert noch auf Heraklit setzt, hat Charles Darwin auch nicht gekannt. Als er 1821 auf der Straflingsinsel St. Helena an Magenkrebs stirbt, ist der kleine Charles erst zwolf Jahre alt. Aber zwei Dinge hat er am Ende doch mit ihm gemein: Auch er nimmt gewaltigen Einfluss auf die Entwicklung seines Jahrhunderts. Und auch er entsteigt dem relativen Dunkel der Geschichte.
Denn dieser Napoleon Bonaparte ist ein geborener Nobody, der sich zu der Zeit, da Ludwig XVI. am Hofe von Versailles noch im letzten Glanz seines Sonnenkonigtums schwelgt, mit seinen sieben Geschwistern auf der kargen Felseninsel Korsika um den sparlich gedeckten Tisch drangt. Der Vater, ein eher schlecht situierter Advokat, ist ein gema?igter korsischer Salon-Revoluzzer, bereit, fur die Unabhangigkeit seiner Heimat zu kampfen, solange es gegen die schwachen Kaufleute aus Genua geht, die die Insel zu dieser Zeit besitzen; aber mit der schnellen Bereitschaft, sich den viel starkeren Machthabern zu beugen, als Korsika 1769 vom starken Frankreich kauflich erworben wird. Auch sein Sohn hat ein untrugliches Gespur fur die richtige Windrichtung, aus der die neue Macht weht. Schnell stellt der junge Napoleon fest, dass man »nach Paris gehen muss, um es zu etwas zu bringen«, wie er spater freimutig bekennt.
Eine clevere Entscheidung. Aus dem eigenbrotlerischen Kadetten der Militarakademie, der bei der einsamen Lekture uber Alexander den Gro?en im Stillen von Ruhm und Ehre traumt, wird in den Wirren der Franzosischen Revolution ein 24-jahriger Brigadegeneral, treu ergeben den radikalen Jakobinern und ihrem vernunftmorderischen Anfuhrer Robespierre.
Aber die Zeiten der Revolution sind gleichwohl unsicher. Mancher General, der eine Schlacht verliert, verliert danach auch seinen Kopf, wegen »Hochverrats«. Und als es eines Tages plotzlich Robespierre ist, der unter die Guillotine gelegt wird, tendieren auch die Karrierechancen seines Parteigangers schlagartig gegen null: Als Sympathisant des hingerichteten Revolutionsfuhrers wird Napoleon ins Gefangnis geworfen.
Wie so oft in der Weltgeschichte ist es jetzt der uberraschende Zufall, der zum »Vater der Geschichte« wird. Und wenn man Gluck hat, kennt man eben die richtigen Leute. Als sich das neue »Direktorium«, der funfkopfige Exekutivrat der Revolution, einer Bedrohung durch einen Aufstand junger Adliger gegenubersieht, wird Napoleon von einem Bekannten empfohlen. Als Mann furs Grobe.
Brutal lasst Napoleon den Aufstand zusammenschie?en, wird dafur rehabilitiert und erneut mit dem Generalsstatus belohnt. Tapfer ubernimmt er das Kommando einer eher klaglichen FreischarlerArmee, die den glorreichen Sieg der Revolution auch nach Italien tragen soll.
Eigentlich ein Himmelfahrtskommando, aber Napoleon erweist sich als begnadeter Motivator und genialer Stratege seiner Truppe. Insbesondere ist es die neue, revolutionare Kampftechnik, die sich als uberaus effektiv erweist: Sogenannte
So erobert er ganz Oberitalien - und sendet bei dieser Gelegenheit eine Reihe bedeutender italienischer Kunstwerke nach Paris. Diese Beutekunst fur den Louvre ist Teil seines Kulturprogramms und zeigt die andere Seite des brutalen Eroberers: Als Schongeist plant er innovative, volkspadagogische Ma?nahmen der Geschmackserziehung, die er spater auch mit Dutzenden Museumsgrundungen wirklich umsetzt. Anschlie?end zieht er gegen Osterreich und zwingt den schwachen Kaiser, alle deutschen Gebiete jenseits des Rheins abzutreten.
Jetzt noch gegen das machtige England anzugehen erscheint selbst einem Napoleon allzu gewagt. Aber England an seiner empfindlichsten Flanke zu schwachen ist ein Plan, der gelingen konnte. Das unter englischer Herrschaft stehende Agypten wird das neue Ziel des Unersattlichen, der sein gigantisches Ego nun auch mit religiosem Pathos unterfuttert und von »Vorsehung« spricht.
Bei unserer Reise durch die Weltgeschichte haben wir immer wieder erlebt, wie es herausragende Personlichkeiten mit oft aberwitzigem Sendungsbewusstsein verstanden haben, die eher tragen Massen mitzurei?en. So auch diesmal in besonders selbstbewusster Ausfuhrung: »Alle menschliche Anstrengung gegen mich ist nutzlos, denn alles, was ich unternehme, ist bestimmt zu gelingen!« Solch himmelschreiende Suggestionen Napoleons verfehlen ihre offentliche Wirkung nicht, selbst wenn die Realitat ganz anders aussieht: Zwar kampft Napoleon 1798 eine erste erfolgreiche Schlacht gegen Englands Landstreitkrafte, aber vor dem agyptischen Abukir rammt die Seemacht England unter Admiral Nelson die franzosische Flotte fast vollstandig in den Grund.
Fur den sieggewohnten Napoleon ein Motiv, um seine wenig erfolgreiche Truppe umgehend zu verlassen und nach Paris zu gehen, wieder in die Stadt, »in der man es zu etwas bringt«. In einer Art Staatsstreich setzt er sich als »Konsul« an die Spitze der schwachelnden Regierung, denn in politisch unruhigen Zeiten haben Volksvertreter zwar die starken Worte, Generale aber die starkeren Waffen. Und das Volk liebt nun mal den Erfolgreichen umso mehr, je anschaulicher er sich in Szene zu setzen vermag. Sogar das neue Gesetzbuch wird jetzt mit dem Namen des bejubelten Putschisten ausgestattet:
Kennen Sie jemanden in Ihrer Umgebung, der sich wie ein »kleiner Napoleon« auffuhrt? Es gibt diese Zeitgenossen uberall, auch wenn sie heute nicht mehr so erfolgreich sind wie das Original. Es sind Menschen, die von allem alles wollen. Denen nie etwas genug ist. Die nie innehalten in ihrer aufreibenden Lebenshatz. Die wie scharfmaulige Leguane automatisch nach allem schnappen, was entfernt nach Beute aussieht. Zwar ist Napoleon jetzt bereits »Konsul auf Lebenszeit«. Aber das reicht ihm nicht. Er will Kaiser werden, macht sich 1804 selbst dazu und muss zu diesem Zwecke nicht einmal, wie es noch Karl der Gro?e im Jahr 800 tat, nach Rom pilgern. Der zukunftige Konig von Italien bestellt kurzerhand den Papst zur Kaiserkronung nach Paris ein.
Wer so viel atemberaubende Starke demonstriert, muss sich nicht wundern, wenn der Rest der Welt dagegen aufbegehrt. Im Bundnis gegen Napoleon vereinen sich die, die sich sonst spinnefeind sind: Preu?en, Osterreich, Russland, Schweden, naturlich auch England. Andererseits sympathisieren viele kleine Furstentumer mit dem revolutionaren Befreier; denn gerne geht der Schwache mit dem Starken ein Bundnis ein, und es gilt das Sprichwort: »Wenn du einen Feind nicht besiegen kannst, dann mach ihn zum Freund!« Gro?e Teile des aufgeklarten deutschsprachigen Burgertums sehen in Napoleon immer noch den revolutionaren Wirbelwind, mit dem Freiheit, Gleichheit und Bruderlichkeit auch in deutsche Lande hereinwehen sollen. Ein modernes Genie wie Beethoven (1770-1827) widmet dem franzosischen »Prometheus« gar seine Dritte Symphonie, die »Eroica«, macht diese Widmung aber wutend ruckgangig, als Napoleon sich zum Kaiser kront. Fruher als viele andere erkennt Beethoven: »So ist der auch nicht anders als ein gewohnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Fu?en treten, nur seinem Ehrgeize fronen.« Damit hatte der hellsichtige Beethoven den Nagel durchaus auf den Kopf getroffen.
Mit dem Sieg bei Austerlitz 1805 gegen die Alliierten wird ein Jahrzehnt der gigantischen Schlachten eingelautet. Es ist zugleich die schier unglaubliche Erfolgsstory einer einfachen korsischen Familie. Denn Napoleon verteilt die eroberten Herzogtumer, Grafschaften und Konigreiche unter seine Verwandten: Sein Schwager erhalt einen Teil von Deutschland, sein Stiefsohn Italien, ein Bruder Neapel, ein anderer Holland, die Schwester ein Herzogtum in Italien, sein Bruder Joseph wird Konig von Spanien, ein weiterer Konig von Westfalen.
Hatten sich diese Familienmitglieder zwanzig Jahre zuvor je ausmalen konnen, dass sie einstmals zu Beherrschern Europas aufsteigen wurden? Zu Fursten, Konigen und Kaisern, damals, als sie wie Hungerleider am Rande der zivilisierten Welt in der schroffen Bergwelt Korsikas hausten, jener Insel vor der italienischen Kuste, die eher zufallig in den Besitz Frankreichs geriet?
Jetzt ist es dieser kleine Korse, der auch noch das tausendjahrige Heilige Romische Reich Deutscher Nation endgultig zu Fall bringt. 1806 sieht Kaiser Franz II. den politischen Realitaten ins Auge und legt den uralten Kaisertitel unter dem Druck Napoleons ab. Damit bricht der geschichtlich gewachsene Bruckenschlag zwischen Antike und Neuzeit unwiderruflich ab. Bereits 1803 war unter dem massiven Drangen des antiklerikalen Frankreich