im sogenannten Reichsdeputationshauptschluss, der letzten gro?en gesetzlichen Beschlussfassung des Heiligen Romischen Reiches Deutscher Nation, die Auflosung aller geistlichen Furstentumer vereinbart worden, also die Auflosung all jener Territorien, in denen seit der Zeit Karls des Gro?en die Bischofe wie landesherrliche Fursten regierten.

Der »Reichsdeputationshauptschluss« - eines der schonsten Wortungetume deutscher Sprache - beendet 1803 die weltliche Herrschaft der Kirche, den Staat im Staate. Dennoch bleiben »Thron und Altar« im Zeitalter der Heiligen Allianz verbundet, und noch Bismarck muss Zivilehe und staatliche Schulaufsicht gegen die katholische Kirche durchsetzen.

Gleichzeitig schrumpfte mit der Enteignung des Kirchenbesitzes die Zahl der vielen hundert Klein- und Kleinstfurstentumer in Deutschland, weil die kirchlichen Territorien als Entschadigung fur den Verlust der linksrheinischen Gebiete den weltlichen Fursten ubereignet wurden. Fur Kaiser Franz II. (1768-1835) bedeutete diese Entwicklung freilich eine weitere Schwachung seiner Stellung im Reich. Denn mit dem Verschwinden der zahlreichen geistlichen Furstentumer schrumpfte die Zahl der reichsunmittelbaren Herrschaftsgebiete von einigen hundert auf nur mehr 34.

So brachte Napoleons Vordringen nach Deutschland in der Bilanz drei Tendenzen hervor, die die Zukunft Deutschlands entscheidend gepragt haben: die Schwachung des alten europaischen Kaisertums, die Verminderung der zahllosen Kleinterritorien und die Vergro?erung der souveranen Gro?furstentumer.

Im selben Jahr, da sich Kaiser Franz II. zwangsweise zu Kaiser Franz I. von Osterreich herabstufen muss, geht Napoleon erfolgreich gegen den letzten starken Widerstandler Preu?en vor und versucht von hier aus eine Blockadepolitik gegen England. Er hofft, die Insel aushungern zu konnen, wenn er schon gegen die starke Seestreitkraft nicht ankommt. Bei Napoleons triumphalem Einzug in Berlin wird zwar offiziell ein Bundnis mit Preu?en verkundet, aber unterschwellig mit dieser Zwangsvermahlung zugleich schon der Keim gelegt zur franzosisch-preu?ischen »Erbfeindschaft«, die in den kommenden 150 Jahren noch viel schreckliches Blutvergie?en verursachen wird.

1809, nach der Schlacht bei Wagram, reitet Napoleon endlich auch in Wien ein, in das einstige Herz des europaischen Kaisertums. Er ist am Ziel. Vorlaufig. Franz muss gute Miene zum bosen Spiel machen und gibt dem neuen starken Mann seine Tochter zur Frau. Gezwungenerma?en. Denn wie wird sich der abgedankte Kaiser des Heiligen Romischen Reiches dabei wohl gefuhlt haben? Zu seiner politischen Ohnmacht gesellt sich jetzt noch die bittere Gewissheit, dass sich mit dieser Heirat 500 Jahre Habsburger Herrlichkeit mit dem Blut eines ehemaligen korsischen Habenichts vermischen mussen.

Aber wer fragt noch nach Blut, wenn es um einen politischen Supermann geht, der inzwischen ein Reich beherrscht, das gro?er ist als dasjenige Karls des Gro?en? Oder wie es der Zeitgenosse Goethe als politischer Beobachter einmal nuchtern - an den deutschen Adel adressiert - konstatiert hat: »Schuttelt nur an euren Ketten. Der Mann ist euch zu gro?!«

Andererseits ist die Weltgeschichte voller Paradoxien. Ein »gro?er Befreier« kann sich schnell als »gro?er Diktator« entpuppen. Politische Stimmungen konnen uber Nacht kippen. Ein Sieg mobilisiert oft Gegenkrafte, die sich auf lange Sicht als wirkungsvoller erweisen als der gro?te Triumph. Und plotzlich denken dann alle wie Beethoven.

Der erste hartnackige Widerstand durch den Freiheitskampfer und Viehhandler Andreas Hofer (1767-1810) in Tirol setzt trotz, oder gerade wegen, seiner Erfolglosigkeit nationale Krafte frei. Napoleons mitrei?ende Revolutionsverhei?ung weicht zunehmend einer Ernuchterung uber den rucksichtslosen Herrscher, der ein paar Jahre spater einmal dem osterreichischen Kanzler Furst von Metternich gestehen wird: »Ich bin im Felde aufgewachsen, und ein Mann wie ich schert sich wenig um das Leben von einer Million Menschen!«

An Napoleons Konsequenz scharft sich zunehmend die nationale deutsche Idee. Letztlich ist er es, dessen Taten bei vielen Deutschen die Sehnsucht nach eigener Identitat und nationaler Zusammengehorigkeit wecken und dessen imperiales Vorpreschen den lange vorherrschenden franzosischen Kultureinfluss mehr und mehr uberschattet. Die deutschen Dichter und Denker der Romantik beginnen den Schatz der deutschen Sprache zu heben und entdecken bisher vernachlassigte Traditionen und Geschichten, wie sie jetzt aus dem Dunkel der mundlichen Uberlieferung auftauchen, etwa mit der Marchenforschung der Bruder Grimm oder der Volksliedsammlung »Des Knaben Wunderhorn« von Clemens Brentano und Achim von Arnim. Deutschland beginnt sich im Lichte der napoleonischen Kriege als eigene Nation zu entdecken und seine Vergangenheit wertzuschatzen.

Und wie lost sich am Ende der Knoten? Im Grunde ganz einfach. In gewisser Weise besiegt Napoleon sich selbst. Denn brennender Ehrgeiz kann zur scharfsten Selbstmorder-Waffe werden, die sich denken lasst.

1812 ist das Jahr, in dem das Blatt sich wendet. Napoleon zieht mit 700 000 Mann die bis dahin gro?te Armee aller Zeiten zusammen, um noch Russland in die Knie zu zwingen. Der vorgegebene Anlass fur den gewaltigen Uberfall ist eher nichtig: Angeblich treibt Russland Handel mit England und sabotiert damit die Blockadepolitik. Der geplante militarische Triumphzug nach Moskau aber gerat zum militarischen Fiasko. Die Strategie der Russen ist immer dieselbe. Schon Peter der Gro?e hat so die Schweden im Nordischen Krieg besiegt, und 140 Jahre spater wird sich auch Hitler die Zahne daran ausbei?en: Die Russen lassen ihr unendlich weites Land fur sie kampfen.

Was sind schon 700 000 Mann in einem Reich, das vierzigmal gro?er ist als Frankreich und gut ein Sechstel des Festlandes der Erde ausmacht? Die russische Taktik der verbrannten Erde verhindert, dass sich die heranruckende Armee aus den Bestanden der eroberten Landstriche ernahren kann. Erst als Napoleon endlich vor den Toren Moskaus steht, kommt es zur gro?en Schlacht von Borodino, die fur Napoleon zwar sieg-, aber zugleich mit 80 000 Toten au?erst verlustreich ausgeht. Als seine Truppen Moskau besetzen, ist die Stadt leer und steht bald schon in Flammen. Und was ist zu tun, wenn der Zar, der nun eigentlich ehrerbietig die Waffen strecken sollte, sich nicht einmal zeigt?

Der Ruckmarsch durch den russischen Winter und die ausgeplunderten Landstriche besiegelt das Schicksal der Grande Armee endgultig, spatestens als bei der Uberquerung des vereisten Flusses Beresina Kosaken uber die geschwachte Truppe herfallen. An der Memel, beim Eintritt in das preu?ische Reichsgebiet, wird klar, dass kaum funf Prozent der Soldaten diesen Feldzug des Schreckens uberlebt haben. Napoleon selbst hat sich bereits verkleidet in einem Bauernschlitten nach Paris abgesetzt und bastelt an dem Plan, wiederum Abertausende neuer Soldaten zu rekrutieren, um den Verlust an Menschenmaterial schnell wieder wettzumachen.

Doch sein Stern ist gesunken. In der Welt, aber auch in Paris. Was ist ein Sieger, der nicht mehr siegt? Einer, der uber Hunderttausende von Leichen geht? Die Gegner wittern Morgenluft. Zuerst ist es Preu?en, das plotzlich mit Russland gegen Napoleon paktiert. Nach kurzer Atempause schlie?t sich Osterreich an, Schweden und England sind auch dabei. Mit der dreitagigen Volkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 findet die Herrschaft Napoleons in Deutschland ihr Ende. Ein halbes Jahr spater ziehen der russische Zar und der preu?ische Konig in Paris ein. Nach einem vergeblichen Selbstmordversuch dankt Napoleon am 6. April 1814 ab.

Unter dem osterreichischen Kanzler Clemens Wenceslaus Lothar Furst von Metternich (1773-1859) beginnt die Ruckabwicklung, die Einebnung von zwanzig Jahren europaischer Geschichte. Ziel auf dem Wiener Kongress (1814/15) ist die Wiederherstellung der vorrevolutionaren Verhaltnisse. Die Siegermachte gehen dabei durchaus klug und behutsam vor. Denn Europas Machtgefuge ist so sensibel wie eine Apothekerwaage. Um Frankreich nicht vollends zu destabilisieren und damit Russland allzu viel Gewicht zu uberlassen, werden die alten Grenzen von 1792 zugestanden. Napoleon darf seinen Kaisertitel behalten und mit 800 Getreuen auf der winzigen Mittelmeerinsel Elba »residieren«. Der Bruder des hingerichteten Bourbonen-Konigs Ludwig XVI. besteigt jetzt als Ludwig XVIII. den franzosischen Thron.

Alles auf Anfang. Das Gleichgewicht der europaischen Machte ist wieder sorgfaltig austariert. Und noch einmal startet der Adel mit der vom russischen Zaren angeregten »Heiligen Allianz« den letzten Versuch, das Gottesgnadentum aller Monarchen gegen den revolutionaren, agnostischen Trend der Neuzeit abzuschotten: Jesus Christus sei der wahre Souveran aller europaischen Volker; die Monarchen seien die gottgewollten Familienvater ihrer gehorsamen Untertanen; und das Christentum sei Grundlage aller Politik.

Es konnte so schon sein. Aber dieser Bund von Thron und Altar fallt bereits hoffnungslos gegen die Realitaten der aufgeklarten Zeit zuruck, beschert Europa gleichwohl jene lange und etwas langweilige Friedenszeit, die als Epoche des Biedermeier in die Geschichtsbucher eingegangen ist.

Nur noch einmal wird Napoleon mit militarischem Geschick ein Comeback versuchen und Europa aus seinem beginnenden bieder-meierlichen Schlaf kurzzeitig aufschrecken. Uber hundert Tage hinweg kann er, als er im Marz 1815 uberraschend in Sudfrankreich landet, erneut das europaische Gleichgewicht bedrohen. Denn unter den

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