politischer Okonomie, das uns besonders heute interessieren sollte.

Es ist ein verhangnisvoller Automatismus, der zuletzt tatsachlich in die soziale und wirtschaftliche Katastrophe fuhrt. Um im Ausland mehr Waren zu verkaufen, muss man die Preise niedrig halten. Gewiss, die Kolonien mit ihren Rohstoffen kann man zu diesem Zwecke ausbeuten, ohne dafur zur Rechenschaft gezogen zu werden. Aber konkurrenzfahige Erzeugerpreise bedeuten auch: Die Lohne der heimischen Arbeiter mussen geringfugig bleiben. Null Prozent Lohnsteigerung! Damit sich die Arbeiter aber bei niedrigen Lohnen mit ausreichenden Nahrungsmitteln versorgen konnen, muss man die Preise fur Agrarprodukte auf geringem Niveau einfrieren. Der Binnenhandel ist damit preisstabil, aber undynamisch. Die Deckelung der Lebenshaltungskosten hat zur Folge, dass die Agrarproduzenten, also die Bauern und damit die gro?e Mehrheit des Volkes, vom Aufschwung des Exports in keiner Weise profitieren. Sie durfen von Staats wegen nur niedrige Erzeugerpreise verlangen, die teilweise unter den Produktionskosten liegen. Bei ihnen und bei den Verbrauchern kommt der Aufschwung nicht an. Die Bauern verarmen, nur die reichen Exporteure werden noch reicher. Die Schere zwischen Arm und Reich offnet sich dramatisch, weil die Exportgewinne in nur wenige Taschen flie?en. Und dann vernichten noch Ludwigs Kriege riesige Summen des Volksvermogens, insbesondere der zwolf Jahre wahrende Konflikt um die spanische Erbfolge. Denn Soldaten und Waffen verbrauchen reichlich Wirtschaftsguter, ohne neue zu schaffen.

Mit der Einfuhrung von Papiergeld versucht man den Staatsbankrott gerade noch abzuwenden - und scheitert mit diesem Dunnbrettbohrer-Konjunkturpaket. Frankreich ist schlie?lich bankrott, zumal da der reiche Adel immer noch keine Steuern zahlen will. Angesichts einer Finanzkrise, die den uberwiegenden Teil der Bevolkerung ins Elend sto?t, verzichtet der Adel auf kein einziges seiner Privilegien. 74 Jahre nach Ludwigs Tod wird er dafur eine blutige Quittung bekommen.

  

28. Konig sein ist schwer - »erster Diener« noch viel mehr

Dass er sein Schloss Sans souci, »Ohne Sorge«, nannte, war reines Wunschdenken. Er, der nur ungern irgendetwas aus der Hand gab und sogar die Entwurfe fur sein Schloss selbst zeichnete, hat nur wenige Tage seines Lebens ohne Sorgen zugebracht: Friedrich der Gro?e (1712-1786). Daran muss man unweigerlich denken, wenn man heute durch die hubsch restaurierten Barockraume des Schlosses Sanssouci bei Potsdam schlendert.

Als Jugendlicher war er nur knapp der Hinrichtung durch den eigenen Vater entgangen. Als Erbe der koniglichen Macht hatte er sich damit gequalt, Philosophie und Militarismus unter einen Hut zu bringen. Als Feldherr uberlebte er die vielen dramatischen Jahre auf blutigen Schlachtfeldern nur knapp. Und als desillusionierter Misanthrop war er zuletzt in dem abgewetzten Lehnsessel im Arbeitszimmer ebendieses Schlosses am 17. August 1786 gestorben. Kinderlos und einsam, verbittert, aber tolerant wie kein anderer Herrscher seiner Zeit. Gro?en Respekt hatte er sich erworben, nicht aber immer Zuneigung. Was der Dichter Christoph Martin Wieland kurz vor dem Tod des Monarchen schrieb, war vielen Zeitgenossen aus der Seele gesprochen: »Konig Friedrich ist zwar ein gro?er Mann, aber vor dem Glucke, unter seinem Stocke zu stehen, bewahre uns der liebe Herrgott!«

Dabei hatte er alles versucht. Zeitlebens wollte er mehr sein als blo? ein gefurchteter Despot. Wollte Philosoph und Kunstler sein. Diener seines Staates. Vater seiner Untertanen. Aber heute fragen wir noch viel skeptischer, als es damals die Zeitgenossen taten: Konnen Moral, Kunst und Liebe mit Politik uberhaupt zusammengehen?

Vom preu?ischen Konig Friedrich II. dem Gro?en, dem »Alten Fritz«, wurde gesagt, er habe alle Talente besessen. Philosophisch gebildet, begabt Flote spielend und sogar Symphonien komponierend, den schonen Kunsten allgemein zugeneigt, schaffte er Folter, Zensur und Zwei-Klassen-Justiz ab, verstand es aber auch, als Konig von Preu?en seinen Staat in den Rang einer europaischen Gro?macht zu katapultieren.

Schon als Jungling schrieb dieses spatere Idol ganzer PolitikerGenerationen: »Mein Sinn ist auf die Philosophie gerichtet.« Und stand damit in heftigem Widerspruch zu seinem Vater, dem ruppigen Soldatenkonig Friedrich Wilhelm I., von dem ein Zeitgenosse berichtet, dass es an »seinem Hofe von Kriegsleuten nur so wimmle« und »alle Gelehrten sich beim Konig verachtlich gemacht« hatten. Von Friedrich II. hingegen stammen so hubsche Grundsatze wie »Der Herrscher ist der erste Diener seines Staates« oder »Jeder soll nach seiner Facon selig werden.« Und sogar: Der Furst sei »ein rechter Mann, dessen souverane Macht eine Stutze fur Recht und Gesetz ist und nicht ein Mittel, um ungestraft Verbrechen zu begehen«. Schone Worte.

Aber Letzteres sagte Friedrich, als er noch Kronprinz war und noch gar nicht regieren musste. Und wir wissen: Wer sich seinen Pelz nicht waschen muss, der muss ihn bekanntlich auch nicht nass machen. Nach ihrer eigenen »Facon selig werden« wiederum sollten die Untertanen in Preu?en doch nur in Hinblick auf ihre Religion. Der Spruch ist in erster Linie ein Reklameversprechen, mit dem religios verfolgte Talente ins Land gelockt wurden. Individuelle Freiheit im modernen Sinne bedeutete das keineswegs. Niemand im preu?ischen Staat konnte sich etwa dagegen wehren, wenn staatlich beauftragte Kaffee-Schnuffler durchs Land zogen, um in Privathausern jene kaffeetrinkenden Ubeltater auszumachen, die wertvolle Devisen verschleuderten, indem sie verbotenerweise dieses teure Auslandsprodukt konsumierten. Gegen preu?ische Hausbeobachtung ist Google Street View geradezu ein Witz. Und der beruhmte Satz vom »Herrscher als erstem Diener seines Staates« ist bei genauem Hinsehen gar nicht so weit weg von dem markigen »Der Staat - das bin ich« des franzosischen Sonnenkonigs Ludwig. Es kommt nur drauf an, was man draus macht.

Denn wie von ihm selbst gedient wird und wie alle ihm Untergeordneten dienen sollen, das bleibt doch auch bei Friedrich eine Sache seiner alleinigen, souveranen Entscheidung. Erster Diener zu sein hei?t zunachst nichts anderes, als ganz nach Belieben schalten und walten zu konnen, unter der Vorgabe, alles diene dem Allgemeinwohl. Hinter dem Wort »Erster Diener« konnte ein raffinierter Etikettenschwindel stecken.

Friedrichs Uberfall auf das osterreichische Schlesien etwa, gleich nach seinem Regierungsantritt 1740, war objektiv eine brutale politische Attacke nach absolutistischer Gutsherrenart, die nur ein einziges Ziel hatte: sein Herrschaftsgebiet und seinen politischen Einfluss zu erweitern. So hat er es spater auch selbst zugegeben. Aber entsprach dieses Machtgelust denn auch den Interessen seines Volkes? Wollte das Volk wirklich zu jenem erfolgreichen Kriegerstaat aufsteigen, den Friedrich und sein Vater aus ihm gemacht haben?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Gefragt wird in dieser Zeit sowieso nicht. Gewiss, einem Volk bekommt es nicht schlecht, »Weltgeltung«, oder was man dafur halt, zu erlangen. Aber wei? das Volk uberhaupt davon? Profitiert es? Hat der Kleinbauer im Brandenbur-gischen etwas davon, wenn sich sein Land den Status einer europaischen Gro?macht zulegt? Immerhin: Jetzt muss er Kartoffeln anbauen und lernt sie schatzen. In der Realitat erlebte der gehorsame Untertan die »gro?e Politik« doch nur so, dass er mit seiner eigenen Haut drei Kriege abwettern musste, darunter gar einen furchtbaren siebenjahrigen, der ihm hochste Entbehrungen abverlangte und lange aussichtslos schien.

Nein, die Staatspolitik dieser Zeit verlauft zwar »aufgeklarter«, zwar rationaler als in den Jahrhunderten der Glaubenskriege. Aber sie ist keineswegs eine Umsetzung des Volkswillens. Burger und vor allem Bauern bleiben bei der politischen Meinungsbildung au?en vor. Politik ist immer noch das exklusive Spiel einer adeligen Elite, die sich nach eigenem Gusto am Volksvermogen bedient, zu dem auch die Korper der Menschen zahlen. Allein siebzig Prozent des Staatsetats lenkt Friedrich in den preu?ischen Militarhaushalt. Und im europaischen Machtpoker dieser Zeit nutzt er zudem jede Moglichkeit zum Falschspiel. Friedrich begreift schnell, dass Politik ein schmutziges Geschaft ist, und bedient als preu?ischer Konig kaltblutig und routiniert die Hebel der Macht. Schon ganz zu Anfang, kurz bevor er in Schlesien einfallt, lasst er von seinen Winkeljuristen eine staatsrechtliche Begrundung fur den geplanten Uberfall zusammenschustern. Als er dieses diplomatische Feigenblatt zu Gesicht bekommt, ruft er aus: »Bravo, das ist das Werk eines tuchtigen Scharlatans!«

Aber damit war auch er selbst zum Scharlatan geworden. Er, der noch ein paar Jahre zuvor als feuriger Jungling einen gluhenden »Anti-Machiavell« verfasst hatte, war in eine moralische Schieflage geraten, hatte fadenscheinige Vorwande gesucht und gefunden, um mit Waffengewalt durchzusetzen, was allein ihm nutzte. Und die zeitweilige Schwache Osterreichs verleitete zu diesem politischen Schnappchen.

Aber wenn Sie, lieber Leser, an Fortschritt im Zuge der menschlichen Geschichte glauben, dann konnen Sie

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