tatsachlich jetzt einen ausmachen. Es gibt da etwas, was Friedrich von all seinen Vorgangern unterscheidet: Friedrich erkannte die Fragwurdigkeit seines Handelns und machte seine Skrupel sichtbar - sich selbst gegenuber wie seinen Mitmenschen. »Ich hoffe«, so schreibt er bereits 1743, »die Nachwelt wird bei mir den Philosophen vom Fursten zu unterscheiden wissen und den Ehrenmann vom Politiker. Ich muss gestehen: Wer in das Getriebe der gro?en europaischen Politik hineingerissen wird, fur den ist es sehr schwer, seinen Charakter lauter und ehrlich zu bewahren.« Der Mann spricht Klartext. Und weiter: Die »politische Kunst erscheint, wie ich gestehe, vielfach als das Gegenteil der Privatmoral. Sie ist aber die Moral der Fursten, die immer nur das tun, was ihnen den Vorteil erheischt...«. Da ist Friedrich, der ehemals gluhende Anti-Machiavellist, als Realpolitiker dann doch wieder bei Machiavelli angekommen, dem skrupellosen Politiker-Coach des 16. Jahrhunderts.

Der Unterschied freilich liegt darin, dass Friedrich die politische Unmoral transparent macht. Sie bewusst durchdringt. Und daran leidet. Mit dieser Zweiteilung im Herzen kann man dann wohl nicht anders, als im Alter resignativ, bitter, sarkastisch und von der Menschheit im Ganzen enttauscht zu sein. Man beschaftigt sich dann lieber mit Tieren als mit Menschen. So wie der Alte Fritz mit seinen geliebten Windhunden. »Aufgeklarter Absolutismus« nennt sich diese Form einer vernunftigen, aber dennoch traditionell-monarchischen Regierungsarbeit, die bei Friedrich in weltanschaulichem Pessimismus endete.

Immerhin: Einer seiner letzten gro?en Wunsche ging doch noch spat in Erfullung, als man endlich 1991 seine sterblichen Uberreste auf die Hohenterrasse von Schloss Sanssouci umbettete. Jetzt musste er nicht mehr neben seinem ungeliebten Vater in der Potsdamer Garnisonkirche liegen, sondern war in ersehnter Nachbarschaft: neben seinen besten Freunden, seinen Hunden. An der schonen Weinbergterrasse konnen Sie den dreien einen Besuch abstatten.

Nur zwei Jahre nach dem Tod Friedrichs wird in Danzig ubrigens ein gewisser Arthur Schopenhauer (1788- 1860) geboren, der ebenfalls Hunde fur die besseren Menschen halt und seinen eigenen Pudel bei Unartigkeiten mit dem Schimpfwort »Du Mensch!« belegt. Schopenhauer wird an seinem aufgeklarten Pessimismus aber nicht leiden, sondern eine moderne Philosophie daraus machen. Sein Welt-Skeptizismus wird weit bis ins 21. Jahrhundert ausstrahlen und Teil unserer westlichen Lebensart werden.

Aber noch einmal im Buch der Geschichte zuruckgeblattert: Wie kam es zur preu?ischen Erfolgsstory? Wie wurde Konig Friedrich II. ein »Gro?er«?

Als Preu?en noch Brandenburg hei?t und im Jahre 1640 der Kurfurst Friedrich Wilhelm I., den man spater »der Gro?e Kurfurst« nennen wird, ans Regierungsruder gelangt, hat diese »unfruchtbarste Streusandbuchse des Reiches« eine ziemlich unbedeutende Geschichte unter der 200-jahrigen Herrschaft der Familie Hohen-zollern hinter sich. Der Boden des Landes ist wenig ertragreich, Rohstoffe sind hier nicht zu finden, das Geld ist knapp, weil auch die Steuer zahlenden Untertanen knapp sind und weil zu dieser Zeit das Wort »Steuergerechtigkeit« noch bedeutet, dass der Adel von allen Steuerpflichten befreit ist und nur Kriegsdienst leisten muss. Nach dem Drei?igjahrigen Krieg ist das Heilige Romische Reich Deutscher Nation nur noch auf dem Papier existent. »Kaiser« ist blo? noch ein Ehrentitel. Jedes Furstentum muss und will nun sein eigenes Suppchen kochen. Brandenburg zahlt territorial immerhin zu den gro?ten unter ihnen, neben Sachsen, Bayern und Osterreich.

Gesamtpolitisch betrachtet geht es mit der »Europaischen Gemeinschaft« in diesen Tagen ubrigens deutlich bergab: Nur noch einmal, namlich im Jahre 1683, wird es gelingen, sich in gemeinsamer europaischer Solidaritat zusammenzuraufen, um in einer konzertierten Aktion die Turken vor Wien zu verjagen. Die Angst vor dem Einbruch der Muselmanen nach Mitteleuropa schwei?t ein letztes Mal Protestanten, Katholiken, gesamtdeutsche Truppen, den polnischen Konig sowie die Kassenwarte des Papstes zusammen, um in der Schlacht am Kahlenberg die 200 000-Mann-Macht des Pascha Kara Mustafa zu brechen. Europaische Solidaritat im Sinne gemeinschaftlicher Ziele werden wir erst wieder 270 Jahre spater erleben, als sich nach dem Trauma des Zweiten Weltkriegs die ersten europaischen Staaten auf gemeinsame wirtschaftspolitische Ziele einigen und in atemberaubender Kurze innerhalb von nur sechzig Jahren die Konstruktion unserer Europaischen Union mit 27 (!) Mitgliedsstaaten gelingt - eine politische Gro?tat im Turbotempo.

Wie weit hingegen Anfang des 18. Jahrhunderts die zunehmende Isolierung der europaischen Staaten untereinander gediehen ist, zeigen zwei interessante Fakten. Zum einen: Der Konflikt zwischen England und Frankreich spielt sich langst woanders ab, namlich in Ubersee, genauer in Indien und Kanada. Es geht jetzt um mehr als um die Sicherung heimischer Territorien. Es geht um weltweite Dominanz. Die Kampfarenen weiten und technisieren sich - eine Fruhform der Globalisierung.

Zum anderen: Jeder hat so seine eigenen Probleme, um die er sich alleine kummern muss. Vollig unbeeinflusst voneinander konnen auf europaischem Boden zwei gro?e Kriege parallel stattfinden. Sudwestlich der bereits erwahnte Spanische Erbfolgekrieg (1701-1713), nordostlich der gro?e Nordische Krieg (1700-1721). In diesem Konflikt kampft Zar Peter der Gro?e gegen den schwedischen Konig Karl XII., um Russland mit der neuen Hauptstadt St. Petersburg einen Zugang zur Ostsee zu schaffen. Das ist die wichtigste Voraussetzung, um das Land aus seinem Dornroschenschlaf zu wecken. Denn der agile Zar, auf dessen Siegel steht: »Ich bin ein Lernender, und Lehrer suche ich«, will kulturell und politisch zu Europa aufschlie?en und Russland modernisieren. Nach der Niederlage der Schweden, die er mit viel taktischer Raffinesse 1709 durch die russischen Weiten bis hinab ins ukrainische Poltawa gelockt und dort besiegt hat, wird ihm dies auch gelingen, trotz aller Widerstande gegen die Neuerungen. Aber das ist jetzt noch Zukunftsmusik.

Im Jahr 1640 schlaft der russische Bar noch, und fur einen Kurfursten wie den von Brandenburg zahlt nur eins: sein eigenes Furstentum. Und das mochte er vergro?ern. Dabei hat Friedrich Wilhelm I. viele gute Ideen: Zunachst einmal braucht er Menschen. Steuer zahlende, arbeitende Menschen. Die Gelegenheit ist Schmied seines Glucks: Aus dem katholischen Frankreich Ludwigs fliehen Tausende protestantische Hugenotten, zumeist flei?ige Handwerker und clevere Kaufleute. Der Kurfurst wird gut 20 000 von ihnen mit offenen Armen empfangen.

Dann tut er politisch etwas, was prima in die Zeit passt: Er unterstutzt politisch und militarisch mal diesen, mal jenen Machthaber, zeitweise sogar Frankreich. Diese Subsidienpolitik, auch spottisch Schaukelpolitik genannt, spult Geld in die Staatskasse. Friedrich Wilhelm kann seine Armee machtig vergro?ern: von klaglichen 3000 Mann bei Regierungsantritt auf 30 000 (!) bei seinem Tod 1688. Und statt dem unbegabten Adel die Amter der expandierenden Verwaltung nur der gewunschten Ehre wegen zuzuschanzen, wird eine effektive Beamtenschaft installiert. Jetzt schlagt die Geburtsstunde des deutschen Beamtentums: Als Adelsersatz entsteht mit der neuen Kaste ein starker Arm der Staatsmacht.

Diese preu?ische Einrichtung wirkt geschichtlich lange fort und ist spater auch oft karikiert worden. Wir erinnern uns, dass das am witzigsten der Schriftsteller Heinrich Mann gemacht hat in seinem Roman »Der Untertan«: Der deutsche Beamte soll weder schopferisch sein noch eigenstandig denken, sondern gehorsam, staatstragend, unbestechlich, sparsam und korrekt die ihm zugeteilten Aufgaben loyal abarbeiten. Dabei gleicht seine Identitat der eines Radfahrers: nach unten treten und nach oben buckeln.

Und dann eine ganz neue, pfiffige Idee: Da die Grundsteuer, die der Adel ja ohnehin nicht zahlt, nicht ausreicht, wird eine Verbrauchssteuer eingefuhrt, die erste Umsatzsteuer Europas.

Die abschlie?ende Kronung Brandenburgs, das sich seit damals nach seiner ostpreu?ischen, aus polnischer Lehnsherrschaft befreiten Neuerwerbung »Konigreich Preu?en« nennt, erfolgt 1701. Der Preis Friedrichs I. fur die Option auf die Konigswurde ist ein Hilfsversprechen im Spanischen Erbfolgekrieg: Wie der Sohn darf sich der Enkel des Gro?en Kurfursten, Friedrich Wilhelm I., Konig nennen.

Schon die Zeitgenossen haben ihn »Soldatenkonig« getauft. Und so sieht sich Konig Friedrich Wilhelm I. auch selbst am liebsten. Er ist der erste Monarch, der standig in einer Soldatenuniform herumlauft, und er setzt auf soldatische Tugenden: Unterordnung, Gehorsam und Pflichterfullung. Der Kultur, der Kunst und Philosophie ist er kaum gewogen. Es muss dem Staat schon etwas einbringen: Die »Wirtschaftslehre« wird durch ihn zur Universitatswissenschaft. Er fuhrt die allgemeine Schulpflicht ein, aber Padagogik ist nicht so sein Fach: Seinen Sohn, den spateren Friedrich den Gro?en, trau-matisiert er als 18-Jahrigen, als dieser versucht, mit Hilfe eines Freundes dem militarischen Drill bei Hofe zu entfliehen. Vor den Augen des Sohnes lasst er dessen getreuen Katte enthaupten.

Auch wirtschaftlich ist die Vorliebe des Soldatenkonigs fur Strenge und Gehorsam eindrucklich belegbar: Zwei Drittel des Staatshaushalts flie?en 1740 in die Armee. Preu?en ist ein Militarstaat. Dem Konig gelingt es sogar, dem Adel einzureden, dass sich die hochsten Tugenden des Menschen im »Werkzeug Soldat« abbilden. Der Dienst an der Waffe wird zu einer letztgultigen Frage der Ehre. Wie nachhaltig diese Einstellung bei der weiteren Entwicklung der Nationalstaaten gewirkt hat, zeigt die Betrachtung der »ritterlichen« Ehrenkodizes, die dann Anfang des 20. Jahrhunderts das Verhalten der gesamten europaischen Offizierskaste gepragt haben.

Uberhaupt: Wenig hat so intensiv auf die weitere deutsche Geschichte eingewirkt wie diese hundert

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