25. Zum Teufel mit der Tinte
Es gibt ihn nicht, und es hat ihn nie gegeben, auch wenn viele Wartburg-Besucher noch immer nach ihm fahnden: jenem Fleck an der Wand, den das Tintenfass hinterlassen haben soll, das der gro?e Reformator Martin Luther alias Junker Jorg, wie sein Pseudonym wahrend der zehn Wartburg-Wochen lautete, kraftvoll und zielgenau nach dem Teufel warf. Oder nach dem Schattenriss, der Silhouette des Teufels, wie andere Quellen behaupten. Wie auch immer! Da das viel beschworene Indiz - das ominose Mal an der Wand - fehlt und keine Tatzeugen uberliefert sind, durfte auch der Wurf selbst in das Reich der Fantasie gehoren.
Dabei ware es so schon gewesen, ein bisschen zu spekulieren. Etwa uber die Frage, woher der Leibhaftige denn gekommen ist. Ob der Reformator ihn moglicherweise, eben um ihn zu treffen, selber herbeizitiert, ihn quasi - wie hei?t es so schon - an die Wand gemalt hat. Oder ob vielleicht jene Flammenschrift, jenes Menetekel, das einst dem babylonischen Herrscher Belsazar erschien und es bis in die Bibel schaffte, im Hintergrund der Wartburg- Legende herumgespukt hat. Aber warten Sie es ab, Sie werden die Erklarung des umstrittenen Volltreffers noch kennenlernen. Und sie hat zwei Vorzuge. Sie klingt nicht nur uberzeugend, sie ist auch wahr.
Auf unserer Zeitreise sind wir schon ein paarmal in Rom vorbeigekommen. Und bei dieser Gelegenheit haben Sie sicherlich gesehen, wie gigantisch gro? und sehr bedeutend der Petersdom ist. Wenn Sie jetzt das kleine Kammerchen oben links auf der Wartburg betreten, werden Sie bemerken, wie eng und klein es dagegen ist. Aber lassen Sie sich nicht von Au?erlichkeiten blenden: Dieses Kammerchen im ersten Stock ist viel bedeutender. Geschichtlich gesehen.
Anders gesagt: Diese zwolf Quadratmeter Wartburg sind im 16. Jahrhundert deswegen so beruhmt geworden, weil eigentlich die Peterskirche beruhmt werden sollte, der Schuss aber nach hinten losging. Fur das katholische Mammutprojekt »Peterskirche« wurde namlich damals so viel Geld ausgegeben, dass der Unmut derer wuchs, die dafur zur Kasse gebeten wurden. Und das waren die einfachen Menschen. Das »Volk«, das sich nun massenhaft von der prunksuchtigen, mehr und mehr entfremdeten Papstkirche abwandte. Im bescheidenen Wartburg-Zimmerchen hingegen wurde ohne jeden Kostenaufwand eine Bibelubersetzung angefertigt, die vielen Menschen die christliche Botschaft in verstandlichen Worten nahebrachte und unsere Welt wirklich verandert hat.
Was die Dinge wert sind, lasst sich eben nicht immer auf den ersten Blick sagen.
Luther ware auch nicht Luther, wenn es die Tinte nicht gabe. Davon war schon die Rede. Den ominosen Klecks haben bereits in fruherer Zeit viele Wartburg-Besucher so schmerzlich vermisst, dass der Realhistorie schlie?lich ein wenig Nachhilfe zuteil und die Wand sozusagen kunstlich »befleckt« wurde. Aber inzwischen verzichten die Museumsleute darauf, den beruhmten Fleck an der Wand immer wieder nachzupinseln. Jahrhundertelang haben unzahlige Touristen sich Stuckchen fur Stuckchen tintigen Mauerwerks als Erinnerung herausgepult. Flei?ig haben die Burgverwalter immer wieder nachgemalt. Aber irgendwann war damit Schluss.
Die Museumsfuhrer werden nicht mude, Ihnen und den anderen Besuchern immer wieder zu erklaren, dass Luther eigentlich niemals mit dem Tintenfass geworfen habe, sondern dass »mit Tinte den Teufel vertreiben« nur symbolisch gemeint war. Mit seinen vielen Flugschriften, die ein halbes Jahrhundert nach Erfindung des Buchdrucks in hoher Auflage rei?enden Absatz fanden, und mit seiner bahnbrechenden Bibelubersetzung habe er »den Teufel« vertrieben - und das meinte damals, Sie werden es ahnen, keinen anderen als den Papst! Mit Tinte also, gewiss. Aber niemals mit dem Tinten/ass!
Das ist wohl richtig, aber nicht romantisch. Wir wunschen uns aber meistens, dass die Geschichten um Luther romantisch sein mogen. Besonders am 31. Oktober, am Reformationstag, wenn wir feierlich in der Kirche sitzen und mit Orgelgebraus »Ein feste Burg ist unser Gott« singen. Fur das Reformationspathos hat vor allem das 19. Jahrhundert gesorgt, damals, als wir Deutschen uns als Nation entdeckten. Als unsere Urururgro?vater stolz die deutsche Geschichte priesen und ihre Marchen und Mythen zu sammeln begannen. Als sie ihre Bauwerke in prachtvolle neugotische Gewander kleideten. Und als Luther zu einem nationalen Helden und Schopfer der deutschen Sprache gekurt wurde, mit GoldrandAbbildungen und kiloschweren Neuausgaben der Lutherbibel. Dabei war der Reformator Martin Luther (1483-1546) alles andere als ein Romantiker. Er war einfach ein Kind seiner Epoche, die als eine des »Grobianismus« bezeichnet werden kann: unaufgeklart, brutal, aberglaubisch, roh und einigerma?en unkultiviert.
Wie so oft spielt auch in der Geschichte von Luther und dem Papst das liebe Geld eine wesentliche Rolle. Weil die Papste, die um 1500 in Rom hauptsachlich ihrer Macht und Pracht fronten, die alte Konstantin-Basilika durch einen prestigetrachtigen Weltwunderbau, namlich den Petersdom, ersetzen wollten, benotigten sie eine uppige Finanzspritze.
Das Mal-, Bildhauer- und Architekturgenie Michelangelo hatte eine Kuppel von ungeheurer Dimension entworfen, der kein Architekturliebhaber widerstehen kann. Schon gar nicht ein Renaissance-Papst. So verwandelte Leo X. (1513-1521) das Ablasswesen, das seit dem fruhen Mittelalter eigentlich dazu gedacht war, den tapferen Teilnehmern der Kreuzzuge gottliche Vergebung ihrer Sunden zu garantieren, in eine sprudelnde Finanzquelle.
Ablassbriefe, die gegen Geld Absolution von allen Sunden gewahrten, uberschwemmten Anfang des 16. Jahrhunderts Europa wie haussierende Wertpapiere. »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel springt«, reimten die Ablasshandler sehr werbewirksam.
Der unbedeutende Augustinermonch Luther in Wittenberg, der schon als Novize seinen Beichtvater unablassig mit der Frage nervte, durch welche Bu?leistung er denn nun von seiner Sundhaftigkeit wirklich befreit werden konnte, ist entsetzt: Er will nicht akzeptieren, dass man ohne Reue, aber mit klingender Munze die Sundenvergebung erlangen konne. Seiner Meinung nach konne nur eines einen Sunder retten: die Gute Gottes. Und die sei nicht kauflich. Es komme vielmehr auf den rechten Glauben an. Auf den Glauben, dass es allein Christus sei, der mit seinem Tod am Kreuz die Erlosung der Menschen bei Gott erwirkt habe. Mit Geld lasse sich da gar nichts machen.
»Sola fide, sola scriptura, sola gratia, solus Christus«, also: nur durch den Glauben, nur durch die Heilige Schrift, nur durch die Gnade Gottes, Christus allein (durch seinen Opfertod) - mit diesen vier Grundsatzen ist die Essenz der lutherischen Theologie umrissen.
In der Konsequenz steckt in diesen vier Prinzipien aber nichts weniger als eine Kriegserklarung an die katholische Kirche! Denn nicht nur, dass Luther mit dem »sola fide« das Individuum mit seiner ganz personlichen Entscheidung in den Mittelpunkt des christlichen Glaubens ruckt und die »Institution Kirche« damit zur Nebensache erklart - mit dem Hinweis auf die Bibel als die allein selig machende Richtschnur erklart er auch samtliche papstlichen und amtskirchlichen Erlasse fur Makulatur. Die leidigen Ablassbriefe sowieso.
Jeder sei ab sofort sein eigener Priester. Es bedurfe keiner institutionellen Vermittlung in Glaubensfragen. Uberall und immer konne man mit Jesus Christus in Kontakt treten. Auch ein Priester sei nichts anderes als ein normaler Mensch, denn von »Priesterweihe« stehe uberhaupt nichts in der Bibel. Und au?er dem Abendmahl und der Taufe sei in der Heiligen Schrift uberhaupt keines von den Sakramenten zu finden, die die Kirche so wurdevoll und exklusiv austeile: kein Ehesakrament, keine Firmung, keine Totensalbung, kein Bu?sakrament. Alles blo? kirchliche Erfindung.
Am 31. Oktober 1517 lasst Dr. Martin Luther seine gesammelte Meinung drucken. Das mit der Schlosstur, an die er trotzig seine Thesen genagelt haben soll, ist eine Legende. Und wenn er es doch getan hatte? Mutig ware es, gewiss. Aber eigentlich ist es eher eine naive, unfreiwillige Heldentat. Denn fur den Hochschullehrer Doktor Luther ist es einigerma?en selbstverstandlich, das Grundsatzpapier bekannt zu geben, so wie es damals eben ublich war, wenn man eine akademische Disputation in einer Universitatsstadt vom Zaun brechen wollte. Mit dem Sturm, der dann von diesen 95 Thesen ausging, rechnete Luther nicht im Traum.
Beinahe war es schon ein alter Hut, was der Reformator da anmahnte. Bereits hundert Jahre zuvor hatte namlich schon ein anderer ahnlich »protestiert«: der Prager Reformator Jan Hus (1369-1415). Damals war ihm diese Kritik an der machtigen Kirche allerdings schlecht bekommen. Obwohl man ihm kaiserlichen Schutz fur seine An- und Abreise zum Konzil von Konstanz zugesichert hatte, stellte man ihn doch noch wahrend des Konzils 1415 auf den Scheiterhaufen.
Den unliebsamen Kritiker konnte man verbrennen, seine Botschaft nicht. Die berechtigte Emporung seiner Anhanger mundete in die furchtbaren Hussiten-Kriege, die halb Bohmen in Schutt und Asche legten. Danach wurden die Politiker und Kirchenleute etwas vorsichtiger, wenn es darum ging, schnellen Prozess zu machen und das