Lange vor der Erfindung der Feuerwaffen in Europa, moglicherweise schon seit dem dritten Jahrhundert v. Chr., hatten chinesische Alchimisten mit explosiven Mischungen experimentiert. Die Entdeckung des Schie?pulvers durfte um das Jahr 800 erfolgt sein, es diente aber nur zu Feuerwerkszwecken, primitive Flammenwerfer wurden in Byzanz schon 678 eingesetzt. Spatestens ab 1182 waren bei kriegerischen Auseinandersetzungen chinesische »Feuerlanzen« als Offensivwaffen im Einsatz: Mithilfe eines Abschussrohrs aus Bambus lie? sich eine Pfeilsalve abfeuern. Erst Armeen der Ming-Zeit jedoch verfugten im 14. und 15. Jahrhundert uber Reiterregimenter mit Feuerwaffen.
Das »explosive« Grundwissen dafur durfte aber deutlich fruher, das hei?t Mitte des dreizehnten Jahrhunderts - vermutlich im Zusammenhang mit den Mongolenzugen -, uber die Seidenstra?e in den Westen gelangt sein. Es ist erstaunlich, dass es zwei Franziskanermonche sind, die in Europa am Anfang der Entwicklung von chemischen Schusswaffen stehen. Der Englander Roger Bacon teilt im Jahr 1242 mit, dass eine Mischung aus Salpeter, Holzkohle und Schwefel explosiv sei. Und der Franziskanerbruder Berthold Schwarz, der eigentlich Gold herstellen will, findet um 1350 das Gleiche heraus und verbessert das Gemisch, indem er Kohle aus Weidenholz statt Haselnussholz benutzt.
Entscheidend aber ist, dass das Abendland aus eher sparlichen Anfangen heraus in relativ kurzer Zeit eine revolutionierende Waffentechnik entwickelte. Noch vor der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden auf europaischen Schlachtfeldern Kanonen eingesetzt, etwa von den englischen Truppen 1346 gegen die Franzosen bei Crecy. Die Rohre erhitzten sich aber so stark, dass viele der Geschutze explodierten. Der erste Masseneinsatz eines neuen, Kugeln verschie?enden Kriegsgerats erfolgte 1354 in einer Seeschlacht durch die Danen, und schon 1360 flog das Rathaus der Hansestadt Lubeck in die Luft, weil im Keller die Pulvermagazine lagerten. Zu einer einsatzfahigen Artillerie kam es ab 1420, als man ein schneller brennendes Schie?pulver erfunden hatte und nicht mehr mit Kanonenkugeln aus Stein, sondern aus Eisen operierte, so dass ein kleineres Kaliber ausreichte.
Inzwischen war eine andere todbringende »Mitgift« des Ostens in den durch die Seidenstra?e immer naher geruckten Westen gelangt.
Aus den Tiefen Zentralasiens kommend, moglicherweise aus der Mandschurei oder sogar Korea, hatte ein Krankheitserreger mit den gro?en Handelskarawanen das Schwarze Meer erreicht, war dann per Schiff nach Ragusa (heute Dubrovnik), Venedig und Genua weitertransportiert worden und hatte sich von den Hafenstadten aus uber den ganzen Kontinent verbreitet. Er trat in drei todlichen Varianten auf: als Beulenpest mit Schwellungen an Hals, Leisten und Achselhohlen, als Lungenpest und als Blutvergiftung.
Der »Schwarze Tod« verbreitet Angst und Schrecken. Zwischen 1347 und 1353 fallen drei?ig Prozent der Europaer der Seuche zum Opfer, in den Armenvierteln sogar 62 Prozent der Bevolkerung. Von den geschatzten sechzig Millionen Menschen in Europa sind es etwa 18 Millionen, die das gro?e Sterben nicht uberleben. Noch nie hat eine Krankheit eine derart verheerende Wirkung gehabt. In einigen Regionen, vor allem in den Stadten, bricht das offentliche Leben zusammen. Durch die vielen Todesfalle fehlt es an Arbeitskraften, was zu gesellschaftlichen Veranderungen fuhrt: Die Lohne steigen und damit auch die Preise. Hungersnote sind die Folge. Die stark ausgedunnte Bauernschaft und ihre Leistungen gewinnen an Bedeutung - die Feudalherren sind auf Gedeih und Verderb von ihnen abhangig.
Die Not treibt die Menschen dazu, nur noch das eigene Leben retten zu wollen. Sie verweigern Hilfe, auch aus Angst vor Ansteckung. Die Infizierten werden ausgegrenzt und sich selbst und dem Tod uberlassen. Weil niemand die Art und Ursache der Seuche erklaren kann, wird sie als Strafe Gottes und als Anzeichen des Weltuntergangs und des Jungsten Gerichts aufgefasst. Der Aberglaube gebiert die absurdesten Erklarungen und Behandlungsmethoden. Auf der Suche nach Sundenbocken werden Juden, Zigeuner oder Behinderte als Ursache ausgemacht und entweder getotet oder gezwungen, die Leichen von den Stra?en zu holen, zu bestatten oder zu verbrennen.
Aber
Es gab allerdings auch Respekt gebietende Versuche, die Folgen der morderischen Infektionskrankheit einzuschranken und die Menschen vorbeugend zu beschutzen. Ein Beispiel ist die Stadt Venedig, die 1403 eine Insel in der Lagune als Quarantanestation und Hospital einrichtete. Das Kloster auf dieser Insel hie? nach dem biblischen Lazarus
Die Angste und Irrtumer sind in das kollektive Gedachtnis der Menschen in Europa eingegangen. Das Trauma, Opfer einer unbekannten Seuche zu werden, ist bis in die Gegenwart geblieben, zumal da der Pesterreger erst 1894 entdeckt wurde. Der Schweizer Tropenarzt Yersin und der Japaner Kitasato konnten nahezu gleichzeitig, aber unabhangig voneinander den Pesterreger isolieren.
23. Das gro?e Leuchten
Der
Ein Moment der Erleuchtung war es auch, der mehr aus ihm machte als einen Berg unter Bergen. Ein Schlusselmoment an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. Ein Schritt in eine neue, glanzvolle Epoche, die man spater Renaissance nennen wird.
Der Schrittmacher der Zukunft hie? Francesco Petrarca, italienischer Dichter, geboren 1304 in Arezzo, spater in Avignon zu Hause. Am 26. April 1336 bestieg er mit einigen Begleitern den 1912 Meter hohen Mont Ventoux - aus purer Neugier, aus Entdeckungslust, aus Freude am Leben. Die Erleuchtung, die ihm zuteilwird, ist doppelter Art: Sie erwachst aus der Landschafts- und Naturerfahrung, und sie mundet zugleich in eine Ruckwendung auf das Selbst, das zu solchen Erlebnissen fahig ist. Das Ich und die Welt schlie?en einen neuen Pakt. Der Blick in die Natur fallt zusammen mit den »Erregungen des Herzens«.
»Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Hohen der Berge, die breit dahinflie?enden Strome, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne, und vergessen daruber sich selbst.« Klagt der Kirchenvater Augustinus, dessen Zeilen der Bergwanderer bei sich trug. Das soll nun nicht mehr passieren. Naturerlebnis und Selbsterfahrung, Weltoffenheit und Bewusstseinserweiterung gehoren zusammen. Es ist der Vorabend der Renaissance.
Und das Mittelalter wird verabschiedet. Nicht mit Pauken und Trompeten und nicht Knall auf Fall. Auch nicht von allen. Ein Gro?teil der Bevolkerung wird zunachst weiterhin in seiner herkommlichen, eng begrenzten Welt verharren. Der Fortschritt kommt im Schneckentempo, aber er ist nicht umkehrbar.
Die Speerspitze des neuen Denkens (und Fuhlens) bilden wache, hellsichtige Denker, die sich spater
Das sind nicht nur neue Tone, das ist ein neues Weltbild. Die »gottgewollte« Ordnung der mittelalterlichen Gesellschaft und ihrer Stande, in der jeder Einzelne - ob Bauer, Monch oder Adliger -seinen festen, unverruckbaren Platz, seine Rechte und seine Aufgaben hatte, beginnt sich aufzulosen. Fur die Humanisten ist das Leben mehr als eine Durchgangsstation zum Jenseits und mehr als ein Forum fur die kirchlichen Glaubens- und Verhaltensvorgaben. Es ist ein einzigartiges Geschenk, eine Aufforderung an den Menschen, sich selbst, seine Welt und die ihn umgebende Natur zu erforschen und zu gestalten.
Aber die neuen Denker sind nicht nur selbstbewusst, sie sind auch bescheiden. Die Einladung ins Diesseits, die sie aussenden, deklarieren sie nicht als ureigene Erfindung, sondern als Ruckkehr in eine freilich sehr ferne Vergangenheit. Das Mittelalter, das sie hinter sich lassen wollen, gilt ihnen als eine Epoche der Erstarrung und der