Millionen Menschen. Auch das Christentum profitierte von der Karawanenstra?e. Deutlich starker aber der Islam, der nach Mohammeds Tod im Jahr 632 zunachst die Arabische Halbinsel, danach Syrien, Agypten, die Lander Nordafrikas und spater auch Persien erreicht hatte, dann seine Expansion in Richtung Osten weiter fortsetzte und schlie?lich den transasiatischen Handel kontrollierte. Die Ausbreitung erfolgte zunachst uber die stadtischen Zentren entlang der Seidenstra?e und setzte sich in den eher abgelegenen Regionen fort.
Selbst der ratselhafte Mongolensturm machte Gebrauch von der Seidenstra?e. Der um 1160 in der Nahe des Baikalsees geborene Dschingis Khan fegt mit seinen schnellen Reiterhorden uber Dorfer und Stadte, dringt bis ins Herz des chinesischen Reiches vor, erobert Peking und wendet sich dann nach Westen. In nur wenigen Jahren, von 1219 bis 1224, zieht das kampfstarke und hochdisziplinierte Heer der Mongolen durch das heute afghanische, pakistanische und iranische Hochland bis nach Russland, zerstort alles, was von Menschen je gebaut wurde, totet jeden, der sich ihm in den Weg stellt - und verschwindet, scheinbar ohne Grund, wieder in den Weiten des Ostens. Als Dschingis Khan 1227 an den Folgen eines Reitunfalls stirbt und nach Landessitte in einem namenlosen Grab beigesetzt wird, hinterlasst er ein Reich, das sich vom Chinesischen Meer bis an die Grenzen Europas erstreckt und damit als das in seiner Ausdehnung gro?te der gesamten Weltgeschichte gelten kann.
Der eigentliche Mongolensturm aber sollte jetzt erst beginnen. 1235 wird in der gerade gegrundeten Hauptstadt Karakorum ein erneuter Westfeldzug beschlossen. Die asiatischen Reiter nehmen zunachst Moskau ein, zerstoren dann Kiew und begrunden das Reich der Goldenen Horde in Russland. Sie erreichen in kleineren Formationen Polen, Schlesien, Brandenburg, Mahren, Niederosterreich, Ungarn und Kroatien. Ein deutsch-polnisches Ritterheer wird im Sommer 1241 in der Schlacht bei Liegnitz vernichtend geschlagen. Bald darauf stehen die gefurchteten mongolischen Krieger vor Wien und erreichen dann die Adria. Aber 1242 ziehen sie sich auf die Nachricht vom Tod ihres Gro?kahns wieder weit in den Osten zuruck. Moglicherweise waren die Uberfalle auch nur als Beutezuge und nicht als dauerhafte Eroberung gedacht. Doch Tausende von Toten und verwustete Landstriche hinterlassen bei den Bewohnern Angst, Schrecken und eine traumatisierte Erinnerung mit Bildern von Leichenbergen und Schadelpyramiden.
Die Seidenstra?e aber bleibt mit mehreren Routen und vielen Zwischenstationen
Auch der Venezianer Marco Polo tritt in dieser Fruhphase der Globalisierung eine Reise in den Fernen Osten an und versetzt mit seinen Erlebnissen (1298/99 aufgezeichnet) ganz Europa in Erstaunen. Als 17-Jahriger war Marco Polo 1271 in Begleitung seines Vaters und seines Onkels aufgebrochen, erst 1295, nach fast einem Vierteljahrhundert, kehrt er zuruck. Er ist nicht der erste Europaer, der bis zum Hof eines mongolischen Gro?kahns vordringt, aber er wird fur alle Zeiten der beruhmteste bleiben.
Marco Polo gewann das Vertrauen des Kubilai Khan, der gerade China endgultig unterworfen (und damit auch vereinigt) hatte. Seine Regierungszeit bezeichnet den Zenit des mongolischen Weltreichs. Der Besucher aus Venedig ist geblendet vom Glanz der Palaste und Residenzen, in denen sich der Kaiser als toleranter, weltoffener Herrscher prasentiert, auch wenn nach wie vor die Gesetze der Steppe gelten. Marco Polo erhalt Einsicht in die Regierungs- und Verwaltungsgeschafte, beobachtet aber auch Jagdgewohnheiten und Festlichkeiten, das Wirtschafts- wie das Alltagsleben. Au?erdem schickt ihn der Khan auf eindrucksvolle »Dienstreisen« in fast alle Teile des mongolisch-chinesischen Machtbereichs.
Marco Polos »Buch der Wunder« zieht den Vorhang beiseite, der den Fernen Osten trotz funktionierender Handelswege dem Blick des Westens entzogen hatte. Die Landkarte Asiens kann nun neu gezeichnet werden. Die Genauigkeit der geografischen Passagen lasst sich aus der korrekten Platzierung der ostasiatischen Lander auf den
Dennoch bleibt die Reise des Marco Polo so fantastisch, dass manche Forscher geglaubt haben, er sei niemals in China gewesen. Vielmehr sei er uber die Krim und Konstantinopel nie hinausgekommen und habe aus persischen Quellen abgeschrieben. Aber solche gab es nicht. In jedem Fall haben die Beschreibungen, auch wenn sie viele Beobachtungen anderer Reisender enthalten sollten, das Verhaltnis des alten Europa zu den neuen Welten im Osten und mittelbar auch im Westen grundlegend verandert: Im geschlossenen Kosmos des Mittelalters werden auf einmal Fenster und Turen zu anderen, unbekannten Raumen geoffnet.
Dank der Dynamik der mongolischen Herrschaft florierte die Seidenstra?e mehr denn je. Fur manche Reisende erwies sich allerdings der Weg nach Fernost nicht nur als strapazios, sondern auch als gefahrlich und mitunter todlich. Wo hochwertige Guter auf kalkulierbaren Routen befordert werden, siedeln sich Profiteure und Nutznie?er an, harmlose, aber auch gewalttatige.
Raububerfalle an der Seidenstra?e waren deshalb allgegenwartig. Die Rauber lauerten den Karawanen an den Engpassen der Streckenfuhrung auf, wo die Beute besonders leicht zu greifen war. Bereits die Kaiser der Han- Dynastie, die die Entwicklung Chinas vom Ende des dritten vorchristlichen bis zum Anfang des dritten nachchristlichen Jahrhunderts entscheidend gepragt hat, waren um die Sicherheit ihrer Handelswege besonders besorgt. Sie erweiterten die Gro?e Mauer entlang bestimmter Teilstrecken der Seidenstra?e und leisteten sich spezielle Verteidigungsarmeen, um die Rauberei einzudammen.
Die Erweiterung des Weltbildes erfolgte gleichzeitig in einem anderen Teil der Erde, in dem nicht Wustenschiffe, sondern Hochseekoggen unterwegs waren: dem Handelsnetz der »Deutschen Hanse«, die im 14. und 15. Jahrhundert Nord- und Ostsee beherrschte. Die Fundamente dieser machtigen, weitgespannten Wirtschaftsgilde waren allerdings wesentlich fruher geschaffen worden. Schon im elften Jahrhundert hatten sich Kolner Kaufleute in London, der europaischen Handelsmetropole, einen privilegierten Stutzpunkt erworben. Ihnen schlossen sich bald darauf Fernhandler aus Westfalen, vom Niederrhein und aus Niedersachsen an. Mit ihren seetuchtigen Koggen transportierten sie Pelze und Wachs aus Russland und Osteuropa, Getreide aus Ostdeutschland und Polen, Fisch aus Skandinavien, Salz aus Luneburg, Wein aus Frankreich und den Rheinlanden. Angefuhrt von der Hansestadt Lubeck, wurde die Kaufmannsgilde immer gro?er, gab sich eigene Ma?e, Gesetze und Gerichte, nahm bald auch politischen Einfluss, schloss Vertrage mit auslandischen Herrschern und fuhrte Kriege, als ob sie ein selbststandiger Staat ware.
Als Staat im Staate und wie eine Made im Speck fuhlten sich zugleich die gut organisierten Piraten, die ebenfalls Politik betrieben, geschickt zwischen den Handelsmachten lavierten und haufig sogar die Seehoheit an sich rissen. Von den Kaufleuten gefurchtet und verachtet, konnten sie bei den weniger beguterten Burgern, denen die »Pfeffersacke« suspekt waren, durchaus Sympathien gewinnen. Der Schritt vom Freibeuter zum Volkshelden, zu einer Art Schinderhannes des Nordens, gelang vor allem Klaus Storte-beker und seinen (nach dem Synonym fur Lebensmittel benannten)
Aber im Jahr 1400 - mit achtzig angeschlossenen Stadten war die Hanse auf dem Hohepunkt ihrer Macht - hatte der Spuk ein Ende. Die »Bunte Kuh«, eine der modernsten Kriegskoggen der Bundnisflotte, spurte das auf »Roter Teufel« getaufte Seerauberschiff vor Helgoland auf, und die beiden meistgesuchten Piraten, Klaus Storte- beker und Godeke Michels, gerieten in Gefangenschaft. Im Jahr 1401 wurden sie mit einem Gro?teil ihrer Mannschaft hingerichtet, aber vorher soll Stortebeker noch die Armenspeisung in Verden an der Aller gestiftet haben. Seit dem 16. Jahrhundert lebt er in Liedern und Gedichten fort.
Die vitale Hanse und die pulsierende Seidenstra?e: Symptome einer Veranderung, die den ganzen Globus umgreift. Das Interesse der Menschen wendet sich dem Diesseits zu: dem wirtschaftlichen Wachstum, dem Handel, der Entdeckung unbekannter Lander. Das spurt auch die Kirche, der sich die Burger zu entfremden beginnen.
Die Umrisse einer globalen, erdumspannenden Zivilisation werden erkennbar. Aber sie zeigen sich nicht nur in der Verkurzung der Informations- und Transportwege, in einem Zuwachs an Begegnung und Kommunikation, sondern auch im Austausch hochst unliebsamer oder gefahrlicher »Errungenschaften«. Fortschritt kann ansteckend sein, aber Krankheiten sind es erst recht, und die Intensivierung von Kontakten spielt ihnen in die Hande.
So kam zwar ein bunter Strau? an Innovationen von der Papierherstellung bis zur chemischen Destillation und vom Steigbugel bis zur Oper aus Fernost nach Europa, aber - als besonders brisante »Exportartikel« aus China, das dem scheinbar hochzivilisierten Westen zu dieser Zeit in fast allen Lebensbereichen uberlegen war -eben auch das Schie?pulver und, nicht weniger folgenreich, die Pest.