Teil zeitgenossischer und zeitubergre-ifender Verleumdung bei den Verdammungsurteilen fur Vater, Sohn und insbesondere auch Tochter Lucrezia Borgia in Abzug zu bringen ist. Zugunsten Alexanders VI. wird auch der epochemachende Schiedsspruch von 1493 ins Feld gefuhrt, der die Demarkationslinie zwischen den Besitzungen der Kolonialmachte Spanien und Portugal in der Neuen Welt bestatigte. Und die glanzende personliche Ausstrahlung des Cesare Borgia hat ihm nicht nur hervorragende Offiziere und Soldaten zugefuhrt, sondern selbst Leonardo da Vinci, den anderen »Ubermenschen« dieser Ara, beeindrucken konnen. Aber auch die beachtliche mazenatische Funktion fur die schonen Kunste, die die Familie gro?zugig wahrnahm, hat ihre Wertschatzung nicht wesentlich erhoht. Noch immer stehen die Borgias fur die monstros-dustere Abteilung der renaissancetypischen Diesseitigkeit.
Als Alexander VI. 1503 an Malaria starb, brach in Rom Jubel aus. Die Verachtung fur sein Pontifikat, das die territoriale Macht des Kirchenstaates starkte, aber die Wurde des Papsttums nachhaltig beschadigte, hatte langst auch die breite Bevolkerung erreicht. Seine Gemacher im Vatikan wollte seither kein Papst mehr bewohnen.
Der argste Widersacher und unbequemste Gewissensmahner Alexanders VI. konnte allerdings nicht mehr mitjubeln. Der rachsuchtige Papst, der ihn zunachst mit dem Kardinalshut hatte kaufen wollen, lie? ihn, als dies misslang, foltern und hinrichten. Es handelt sich um den Dominikanermonch Savonarola, der in Florenz mit gro?em Zulauf Bu?predigten abhielt und den luxuriosen Lebensstil der gesellschaftlichen Elite anprangerte. In einer Art Kulturrevolution konnte er die Jugend der Stadt dafur gewinnen, alle Erscheinungsformen des eitlen und nutzlosen Lebens zu beschlagnahmen und auf einem gewaltigen Scheiterhaufen mitten in der Stadt auf der Piazza della Signoria in einem »Fegefeuer der Eitelkeiten« zu verbrennen: Schmuck, Spiegel, Kosmetika, teure Kleider, Mobel, Kunstwerke, Bucher, Spielkarten und Musikinstrumente. Auch die Medici vertrieb er 1494 aus Florenz. Dass wenig spater Savonarola selber auf einem Scheiterhaufen endet, mag man als Ironie der Geschichte verstehen.
Zu den kritischen Geistern der Stadt Florenz gehort auch Niccolo Machiavelli (1469 -1527), der als Politiker und Diplomat mit seiner Schrift »Il principe« (Der Furst) das Einmaleins der Machtpolitik niederlegt, obgleich er eigentlich republikanisch denkt. Machiavelli formt den Begriff der Staatsrason vor, die an die Stelle christlich gepragter Herrschertugenden tritt. »Il Principe« wurde zu einem bis in das 18. Jahrhundert hinein grundlegenden Traktat der Furstenerziehung und wird haufig als Legitimierung einer Politik, die in der Wahl ihrer Mittel keine Skrupel kennt, fehlgedeutet. Dieser Schrift wird sogar Friedrich II. von Preu?en in seinem Jugendwerk »Antimachiavell« (1739) widersprechen, obwohl Machiavellis Werk zunachst nur eine Analyse der Machtstrukturen ist und primar untersucht, unter welchen Bedingungen Herrschaft auf Dauer erfolgreich sein kann, um so letztlich dem Gemeinwohl dienen zu konnen.
Machiavellis Welt- und Menschenbild bleibt allerdings pessimistisch. Moglicherweise die beste Voraussetzung dafur, mit »Mandragola« (Die Springwurz, 1518/20) das originellste, aber noch immer - sehr zu Unrecht - kaum bekannte Lustspiel der Epoche zu schreiben.
Mit den Einsichten der Renaissancezeit werden die Grundlagen der spateren Aufklarung gelegt. Es beginnt der lange Weg aus der intellektuellen Naivitat und Unmundigkeit. In vielen Stadten Europas werden Universitaten gegrundet, 1348 in Prag die erste nordlich der Alpen.
Mit dem Aufbluhen der Universitaten kann sich eine umfassende Erneuerung der Wissenschaft durchsetzen. Das mittelalterliche Denken war in den damaligen theologischen und philosophischen Kategorien befangen und sah in der Natur lediglich den Gegenstand des Schopfungsglaubens. Erst durch die Trennung von Glauben und Wissen kann sich die Kenntnis der Natur in den neuen akademischen Disziplinen entfalten: Biologie, Chemie, Physik, Astronomie, Geografie, Mathematik, Medizin.
Bald folgen der wissenschaftlichen Arbeit auch die praktischen Anwendungen: Die Brille wird erfunden, der Wecker, die Taschenuhr, das Fernglas, optische Gerate zur Vergro?erung, Modelle der Himmelskorper und ihrer Bahnen, schlie?lich der Buchdruck und die Buchbinderei. In der Medizin wird der Kaiserschnitt als Moglichkeit der Lebensrettung erfunden und praktiziert. Die chirurgischen Eingriffe werden um ein Vielfaches verfeinert. Alle Beobachtungen und Erkenntnisse werden, wie Leonardo da Vinci es vormachte, in Experimenten uberpruft und entweder bestatigt oder verworfen.
Und die Explosion wissenschaftlicher Neugier hat gerade erst begonnen.
24. Der Umbau der Welt
Das Reich der Azteken war schon gefallen; mit ihm Konig Monte-zuma und 300 000 seiner Untertanen. Den Inka hatte die Geschichte bis zur Demutigung durch den Spanier Francisco Pizarro noch eine Art Gnadenfrist eingeraumt, jetzt ging es darum, die letzten Widerstandsnester der Maya auszuschalten. Der wuchernde Dschungel hatte zwar viele ihrer Tempelpyramiden tarnen oder sogar verstecken konnen, aber er war keineswegs dicht genug, um auch sie selber vor den spanischen Eroberern zu schutzen.
1527, Canon von Sumidero, Hochland von Chiapas, Mexiko: Nach einem blutigen Auf und Ab militarischer Konfrontationen haben sich erbittert kampfende Tzotzil-Maya, verfolgt von spanischen Soldaten und mexikanischen Hilfstruppen, an den Rand einer steilen Felsterrasse uber dem Rio Grijalva zuruckgezogen. Als die gut ausgerusteten und zu allem entschlossenen Spanier naher und naher kommen, sturzen sich die rund 2000 ausweglos Bedrangten, darunter viele Frauen und Kinder, in den Fluss. Sie ziehen den Freitod der spanischen Knechtschaft vor. Der Massenselbstmord am Rio Grijalva, durch den sich einige Historiker an die Einnahme der judischen Festung Masada durch die Romer im Jahr 73 erinnert fuhlen, markiert auf besonders tragische Weise den Beginn der Kolonialzeit.
Welch ein Kontrast zu den friedlichen, fast heiteren Bildern, die Christoph Kolumbus - der dies alles heraufbeschwort - beim Ablegen zu seiner ersten Reise Anfang August 1492 zeigen. Antonio Cabral-Bejarano hat 1825 eines der bekanntesten von ihnen gemalt. Die Segel der drei Karavellen, die die Westroute nach Indien finden sollen, flattern schon im Wind, Tucher und Hute werden geschwenkt, winkende Menschen am Ufer und an Bord der Schiffe beherrschen die Szene, die der Kunstler in einer romantisierenden Balance zwischen Abschied und Aufbruch halt - Aufbruch zu einer Reise, welche die Welt aus den Angeln heben wird.
Knapp sieben Monate spater, Fruhjahr 1493, Zeremoniensaal des Palacio Real: In der Altstadt von Barcelona erwarten die Katholischen Majestaten Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon den Mann, den sie beauftragt haben, den Seeweg nach Indien zu erkunden, und der dabei auf eine unbekannte Insel im Westen gesto?en ist. Das Konigspaar kann zufrieden sein. Durch seine Heirat im Jahr 1469 waren die beiden bedeutsamsten Konigreiche Spaniens miteinander verschmolzen. Gerade wurde die
Kolumbus ist soeben am Hof in Barcelona eingetroffen, um Bericht zu erstatten. Als er den Saal betritt, erheben sich alle, auch die Konigin und der Konig. »Die Konigin erlaubte mir, dass ich ihr die Hand kusste«, notiert spater der Seefahrer und Entdecker. Der 42-Jahrige hat Sinn fur die gro?e Inszenierung. Er fuhrt Papageien, exotische Pflanzen und Fruchte mit sich sowie Gold in Kornern, rohen Bruchstucken und in Form von Schmuck. Seine Hauptattraktion aber sind lebende »Indios« in Lendenschurz und Federschmuck. Als Indianer bezeichnet man sie, weil Kolumbus sie von den Inseln eingesammelt hat, die er zu Indien zahlt.
Acht Jahre hatte Kolumbus nach einem Geldgeber gesucht, bis er nach vielen vergeblichen Anlaufen die Unterstutzung der Konigin Isabella von Kastilien erreichte. Am Hof von Lissabon hatte er kein Gehor gefunden, weil die portugiesischen Geografen die Unternehmung als waghalsig und unrealistisch taxiert hatten. Sie hielten die Erde, uber deren Kugelgestalt kein Zweifel mehr bestand, fur deutlich gro?er, als Kolumbus schatzte. So fielen Ehre und Ausbeute der Neuentdeckung uberwiegend den Spaniern zu, die seiner Fehleinschatzung von 3000 Seemeilen und zehn bis zwolf Reisetagen fur die westliche Route nach Indien Glauben schenkten. Die tatsachliche Entfernung waren 11 000 Seemeilen gewesen.
Der Weg uber das Meer in den Fernen Osten wurde deshalb so fieberhaft gesucht, weil die Turken 1453 Konstantinopel erobert hatten. Dadurch war fur die europaischen Kaufleute der Kontakt mit Indien und China versperrt oder enorm verteuert. Denn die turkischen Zwischenhandler erhoben hohe Auflagen. Es galt also eine Alternative fur die Seidenstra?e zu finden. Wahrend die meisten anderen Expeditionen zur See darauf zielten, Afrika