in Richtung Osten zu umrunden, ging Kolumbus davon aus, man musse auf der Erdkugel nur lange genug westwarts segeln, um schlie?lich in den »Ostlandern« anzukommen.

September 1493 wird Kolumbus zu einer zweiten Reise uber den Atlantik aufbrechen. 17 Schiffe und 1500 Mann - Seeleute, Soldaten, Siedler, Missionare - lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass aus dem kuhnen Navigator, dem »Vizekonig« und »Admiral des Weltmeeres« - Titel, die er sich von der spanischen Krone garantieren lie? - inzwischen ein Eroberer geworden ist. Die Logik der Okkupation und die Gier nach Gold sind langst uber die Rucksichten und Absichten des Entdeckers hinweggegangen. Seine Nachfolger werden furchtbare Verbrechen an den Menschen der Neuen Welt begehen. Sie werden ganze Volksstamme ausrotten, Krankheit und Elend uber Hunderttausende bringen, den Einwohnern ihre Kultur rauben und ihnen mit Gewalt die christlichen Glaubensdogmen aufzwingen. Goldgier und Aberglauben werden zu Versklavung, Arbeitszwang, Ausbeutung, zu Folter und Mord, ausgeklugelten Strafen und sadistischen Hinrichtungen fuhren: Verbrennen, Ertranken, Pfahlen, Vierteilen, Einmauern, Eingraben, Verstummeln, Hangen - und das alles im Namen von gottlichen Wahrheiten und kirchlichem Glaubensgehorsam.

Die vermeintlichen Entdecker sind blind fur das, was es wirklich zu entdecken gibt: Die Lander, in denen sie landen, haben zumeist jahrhundertealte Hochkulturen hervorgebracht wie die der Maya, Inka, Azteken und Tolteken. Auch in technisch-zivilisatorischer Hinsicht sind die Entdeckten den Entdeckern in manchen Dingen uberlegen. Sie haben gepflasterte Stra?en, Brucken und Wasserleitungen, sie bauen Pyramiden als Tempel und Palaste fur ihren Konig. Nur auf einen ersten oberflachlichen Blick konnen sie als primitiv gelten, blo? weil sie kein Eisen, keine Bronze, kein Rad und keine Topferscheibe, keinen Pflug und keinen Wagen kennen, anstelle von Munzen Kaffeebohnen verwenden und ihren Gottern Menschenopfer darbringen.

Doch der uber sie hinwegrollenden Eroberungsmaschinerie haben die einheimischen Volker nichts entgegenzusetzen. Sie erfahren nicht nur die eigene Ohnmacht, sondern auch die Ohnmacht ihrer Gotter, an die sie geglaubt hatten. Auch wenn es vereinzelte Beispiele von Barmherzigkeit, Einfuhlung und Verstandnis fur die fremden Kulturen auf Seiten der spanischen Invasoren gibt, ist die Gesamtbilanz deprimierend. Zwischen 35 und vierzig Millionen Menschen hatten zum Zeitpunkt der Kolumbus-Expeditionen im spateren Spanisch-Amerika gelebt. Bis 1650 verringerte sich die Zahl der Indianer auf rund vier Millionen. Gro?en Anteil an diesem massenhaften Sterben hatten eingeschleppte Krankheiten wie Pocken, Pest, Typhus, Malaria und viele andere, die sich oft epidemieartig ausbreiteten. Aber auch diejenigen Indios, die zur Sklavenarbeit in den Silberbergwerken der Anden rekrutiert wurden, entrichteten einen hohen Blutzoll.

»Ich kam, um Gold zu holen, nicht um den Boden zu pflugen wie ein Bauer«, soll Hernan Cortes, der Zerstorer der Azteken-Kultur, gesagt haben. Damit gab er die Losung und das Muster vor, wonach die Unterwerfung Mittel- und Sudamerikas ablief. Ab 1531 eroberte der Spanier Francisco Pizarro das zweite und gro?te Reich im alten Amerika, das sich uber weite Teile des heutigen Perus und Boliviens erstreckte: das Imperium der Inka. Pizarro agierte wie eine Kopie von Cortes. Er erpresste vom Inka-Herrscher Atahualpa ein Losegeld in Gold und Silber im heutigen Wert von 150 Millionen Euro -und totete ihn anschlie?end dennoch.

Die menschenverachtende Brutalitat der Konquistadoren ist eigentlich nicht verwunderlich. Denn in den Zentren der Alten Welt gehort sie langst zum Alltag: die Aggressivitat gegen Ketzer, Hexen und Juden. Immerhin bewirkt die Entdeckung immer neuer fremdartiger Volker, dass die ausschlie?lich auf Europa konzentrierte Weltsicht allmahlich relativiert wird. Die Menschen begreifen, dass die plotzlich ins Blickfeld geratenen Lander, Erdteile und Ozeane nur den Europaern unbekannt waren und dass die neuen Lander im Grunde alte Lander sind, langst besiedelt und mit einer eigenen Kultur und Zivilisation ausgestattet. Das eurozentrische Weltbild ist damit naturlich nicht erledigt, aber mit den Entdeckungen der beginnenden Neuzeit ist der Keim einer anderen, einer globalen Perspektive gelegt. Als Kolumbus den neuen Kontinent erreicht, hat Martin Behaim in Nurnberg gerade den »Weltapfel«, den altesten heute noch erhaltenen Globus, gebaut.

Das Erkunden und Erschlie?en ferner, fremder Territorien ist so alt wie das Erobern schon bekannter oder benachbarter Landereien. Immer schon hat der eine Mensch dem anderen etwas weggenommen. Aber die Reichweite der Eroberer war begrenzt, so dass die Kenntnis fremder Lander und Kontinente sogar wieder verloren gehen konnte. Die Wikinger wussten von der Nordostkuste Nordamerikas, die Antike kannte die Kanaren, Madeira und die Azoren. Die Kanarischen Inseln werden 1341, Madeira 1419 und die Azoren 1427 nicht neu, sondern nur wiederentdeckt.

Erst nach und nach wachst ein geografisches Bewusstsein fur die Weite der Erdoberflache im Verhaltnis zum eigenen Horizont. Portugal und Spanien wissen, was sie tun, als sie mit dem Vertrag von Tordesillas die Neue Welt schon fruhzeitig unter sich aufteilen. Mit einem Federstrich bestatigt der Borgia-Papst Alexander VI. die Demarkationslinie, die einen westlichen spanischen Teil mit Nord-, Mittel- und Sudamerika (au?er dem noch unentdeckten Brasilien) von einer ostlichen »Welthalfte« trennt, die die portugiesische Einflusssphare umfasst.

Die Portugiesen waren es gewesen, die das maritime Wettrusten eingeleitet und im Laufe des 15. Jahrhunderts allmahlich einen deutlichen Vorsprung vor den Spaniern erzielt hatten, bevor diese spater durch Kolumbus gewisserma?en gleichzogen. Die Eroberung Ceutas an der Nordspitze Afrikas durch Portugal im Jahr 1415 war das erste Ausgreifen auf einen Kontinent au?erhalb Europas und eine Stutzpunktbildung in einem fremden Kulturkreis gewesen. Nach einer Periode des langsamen Vordringens portugiesischer Seefahrer an der afrikanischen Westkuste umrundete schlie?lich Bartolomeu Diaz 1488 die Sudspitze des Kontinents, die der portugiesische Konig Johann II. nach Diaz’ Ruckkehr als »Kap der guten Hoffnung« betitelte. Um welche Hoffnung es sich dabei handelte, unterlag keinem Zweifel: Sie galt dem Seeweg nach Indien auf der Ostroute um Afrika herum.

All diese Aktivitaten, die schlie?lich zur Jahrtausendmitte zu einem spanisch-portugiesischen Kopf-an-Kopf- Rennen auf den Weltmeeren eskalierten, waren nicht denkbar gewesen ohne die Konstruktion eines neuen Schiffstyps: der Karavelle. Durch ihre Bauweise und Besegelung erlaubte sie das Kreuzen hart am Wind und gab damit der europaischen Hochseeschifffahrt einen entscheidenden Schub. Der gro?e Inspirator, »Architekt« und Organisator der portugiesischen Seefahrt, Prinz Heinrich der Seefahrer (1394 -1460), hatte diese Entwicklung vorangetrieben und gilt deshalb bis heute als Vater des Zeitalters der Entdeckungen.

Es kulminiert - zumindest aus portugiesischer Sicht - in der erneuten Umrundung Sudafrikas und der nachfolgenden Erschlie?ung des Ostweges nach Indien durch Vasco da Gama 1498. Ihm wird in Lissabon ein triumphaler Empfang bereitet. Er darf sich »Admiral des Indischen Meeres« nennen und sichert seinem Land mit einer zweiten Reise ein Jahrhundert lang die Seeherrschaft und das Monopol auf den Gewurzhandel in dieser Weltgegend.

Gewurze - sie vor allem, die kleinsten und feinsten Handelsguter, wertvoll wie Edelmetalle, sind es, die die Westeuropaer nach Ostasien locken. Nicht nur mit Teak- und Sandelholz, sondern auch mit Pfeffer, Zimt und Ingwer hatte Vasco da Gama seine Schiffe bei der Ruckkehr von der ersten Reise beladen. Schon Phonizier, Griechen, Romer, Perser und Araber haben mit Gewurzen gehandelt. Pfeffer war so kostbar, dass er oft mit Gold aufgewogen wurde. Als nun endlich auch Europa nicht nur wei?, wo der Pfeffer wachst, sondern auch, wie und wo man sich ihn holen kann, bluht das Geschaft - so sehr, dass es Kriege um den Gewurztransport und das Know-how der Portugiesen geben wird. Gewurze, das bedeutet, dass das Essen besser schmeckt und sich vor allem langer konservieren lasst, dass man es als Medizin gebrauchen und dass man damit reich werden kann. Portugal macht es vor - mit Ingwer, Vanille, Zimt, Muskatnuss, Nelken, Safran, Anis, Pistazien. Und Pfeffer naturlich.

Auch in der spanischen Einflusssphare brummt das Uberseegeschaft. Die Transportrouten sind fur damalige Verhaltnisse dicht befahren. Der Atlantik ist zum Mittelmeer geworden. Kartoffeln, Kaffee, Kakao und Kautschuk, Zucker, Tabak, Tomaten, Erdnusse, Mais, Baumwolle und auch der Truthahn kommen aus den amerikanischen Landern. Rind, Pferd, Esel, Schaf, Huhn und Haushund, Weinstocke, Olbaume, Apfel und Orange, Weizen und andere Getreide fuhren die Eroberer als Importguter aus Europa ein.

Das sieht nach einem Geschaft auf Gegenseitigkeit, einem Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen aus. Aber ausschlie?lich die Kolonialisten diktieren die Regeln, und allein die Unterdruckten zahlen den Preis. Und das schmutzigste Geschaft lauft gerade erst an: der sogenannte Dreieckshandel, bei dem die Europaer bis ins 19. Jahrhundert hinein zehn Millionen Farbige als Sklaven aus Afrika nach Amerika verschleppen.

Der Umbau der Welt um 1500 ist in der Geschichte ohne Beispiel. Nicht einmal die germanische Volkerwanderung in der Spatantike reicht an ihn heran. Allenfalls lasst sich der Seevolkersturm, der um 1200 v. Chr. einen verheerenden Dominoeffekt im gesamten Mittelmeerraum auslost, mit seinen epochalen Folgen vergleichen.

  

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