psychische Krankheitsbilder, Tausende verschiedener Berufe, 5.000 Feriendestinationen und eine unendliche Vielfalt an Lebensstilen zur Verfugung. Mehr Auswahl war nie.

Als ich klein war, gab es drei Arten von Joghurt, drei Fernsehkanale, zwei Kirchen, zwei Sorten Kase (Tilsiter rezent oder mild), eine Sorte Fisch (Forelle) und eine Art von Telefonapparat – von der Schweizer Post zur Verfugung gestellt. Der schwarze Kasten mit der Wahlscheibe konnte nichts anderes als telefonieren, und das reichte damals vollig. Wer heute einen Handyladen betritt, droht in einer Lawine an Handymodellen und Tarifvereinbarungen zu ersticken.

Und doch: Auswahl ist die Messlatte des Fortschritts. Auswahl ist, was uns von der Planwirtschaft und der Steinzeit unterscheidet. Ja: Auswahl macht glucklich. Es gibt allerdings eine Grenze, bei der zusatzliche Auswahl Lebensqualitat vernichtet. Der Fachbegriff dafur lautet The Paradox of Choice. Auf Deutsch etwa: das Auswahl-Paradox.

In seinem Buch Anleitung zur Unzufriedenheit beschreibt der amerikanische Psychologe Barry Schwartz, warum das so ist. Drei Grunde. Erstens: Gro?e Auswahl fuhrt zu innerer Lahmung. Ein Supermarkt stellte 24 Sorten Konfiture zum Probieren auf. Die Kunden konnten nach Belieben kosten und die Produkte mit Rabatt kaufen. Am folgenden Tag fuhrte der Supermarkt dasselbe Experiment mit nur sechs Sorten durch. Das Ergebnis? Es wurde zehnmal mehr Konfiture verkauft als am ersten Tag. Warum? Bei einem gro?en Angebot kann sich der Kunde nicht entscheiden, und so kauft er gar nichts. Der Versuch wurde mehrmals mit verschiedenen Produkten wiederholt, das Resultat war stets dasselbe.

Zweitens: Gro?e Auswahl fuhrt zu schlechteren Entscheidungen. Fragt man junge Menschen, was ihnen an einem Lebenspartner wichtig ist, zahlen sie all die ehrenwerten Eigenschaften auf: Intelligenz, gute Umgangsformen, ein warmes Herz, die Fahigkeit zuzuhoren, Humor und physische Attraktivitat. Aber werden diese Kriterien bei der Auswahl wirklich berucksichtigt? Wahrend fruher in einem Dorf durchschnittlicher Gro?e fur einen jungen Mann etwa 20 potenzielle Frauen in derselben Altersklasse zur Auswahl standen, die er zumeist schon aus der Schule kannte und entsprechend gut einschatzen konnte, stehen heute, im Zeitalter des Online-Datings, Millionen potenzieller Partnerinnen zur Verfugung. Der Auswahlstress ist so gro?, dass das mannliche Hirn die Komplexitat auf ein einziges Kriterium schrumpft – und das ist, empirisch nachweislich, die »physische Attraktivitat«. Die Folgen dieses Auswahlverfahrens kennen Sie, vielleicht sogar aus eigener Erfahrung.

Drittens, gro?e Auswahl fuhrt zu Unzufriedenheit. Wie konnen Sie sicher sein, dass Sie aus 200 Optionen die perfekte Wahl getroffen haben? Antwort: Sie konnen es nicht. Je mehr Auswahl, desto unsicherer und damit unzufriedener sind Sie nach der Wahl.

Was tun? Uberlegen Sie genau, was Sie wollen, bevor Sie die bestehenden Angebote mustern. Schreiben Sie Ihre Kriterien auf und halten Sie sich unbedingt daran. Und gehen Sie davon aus, dass Sie nie die perfekte Wahl treffen werden. Maximieren ist – angesichts der Flut an Moglichkeiten – irrationaler Perfektionismus. Geben Sie sich mit einer »guten Losung« zufrieden. Ja, auch in puncto Lebenspartner. Nur das Beste ist gut genug? Im Zeitalter unbeschrankter Auswahl gilt eher das Gegenteil: »Gut genug« ist das Beste (au?er naturlich in Ihrem und meinem Fall).

THE LIKING BIAS

Sie handeln unvernunftig, weil Sie geliebt werden wollen

Kevin hat zwei Kisten erlesenen Margaux gekauft. Er trinkt selten Wein – schon gar nicht Bordeaux. Aber die Verkauferin war ihm au?erst sympathisch, nicht billig oder aufreizend, sondern einfach sympathisch. Darum kaufte er.

Joe Girard gilt als der erfolgreichste Autoverkaufer der Welt. Das Geheimnis seines Erfolgs: »Nichts funktioniert besser, als den Kunden glauben zu machen, dass man ihn wirklich mag.« Sein Killerinstrument: ein monatliches Kartchen an samtliche Kunden und Ex-Kunden. Darauf steht ein einziger Satz: »I like you.«

Der Liking Bias (deutsch etwa: der Ich-mag-Sie-Denkfehler) ist idiotisch einfach zu verstehen, und doch fallen wir immer wieder darauf herein. Er bedeutet: Je sympathischer uns jemand ist, desto geneigter sind wir, von dieser Person zu kaufen oder dieser Person zu helfen. Bleibt die Frage: Was hei?t sympathisch? Die Wissenschaft liefert eine Reihe von Faktoren. Eine Person ist uns sympathisch, wenn sie A) au?erlich attraktiv ist, B) uns in Bezug auf Herkunft, Personlichkeit und Interessen ahnelt, und C), wenn sie uns sympathisch findet. Der Reihe nach. Die Werbung ist voller attraktiver Menschen. Hassliche Menschen wirken unsympathisch. Darum taugen sie nicht als Werbetrager (siehe A). Neben den Superattraktiven setzt die Werbung aber auch auf »Menschen wie du und ich« (siehe B) – ahnliches Aussehen, Dialekt, Background. Kurzum, je ahnlicher, desto besser. Und nicht selten verteilt Werbung Komplimente – »weil Sie es wert sind«. Hier kommt Faktor C zum Tragen: Wer signalisiert, dass er uns sympathisch findet, den finden wir tendenziell auch sympathisch. Komplimente wirken Wunder, selbst wenn sie glattweg gelogen sind.

Das »Spiegeln« (mirroring) gehort zu den Standardtechniken des Verkaufens. Dabei versucht der Verkaufer die Gestik, Sprache, Mimik seines Gegenubers zu kopieren. Redet der Kaufer besonders langsam und leise und kratzt sich oft an der Stirn, ist es fur den Verkaufer sinnvoll, ebenso langsam und leise zu sprechen und sich ab und zu an der Stirn zu kratzen. Das macht ihn in den Augen des Kaufers sympathisch, und damit wird ein Geschaftsabschluss wahrscheinlicher.

Sogenanntes Multilevel-Marketing (Verkaufen uber Freunde) funktioniert nur dank des Liking Bias. Obwohl es hervorragende Plastikbehalter im Supermarkt zu einem Viertel des Preises gibt, generiert Tupperware einen Jahresumsatz von zwei Milliarden Dollar. Warum? Die Freundinnen, die die Tupperware-Partys veranstalten, erfullen die Sympathiebedingungen perfekt.

Auch Hilfsorganisationen nutzen den Linking Bias. Ihre Kampagnen zeigen fast ausschlie?lich sympathische Kinder oder Frauen. Nie werden Sie einen finster dreinblickenden, verwundeten Guerillakrieger vom Plakat starren sehen – obwohl auch er Ihre Hilfe verdient. Sogar Naturschutzorganisationen setzen auf den Liking Bias. Haben Sie je einen WWF-Prospekt gesehen, in dem mit Spinnen, Wurmern, Algen oder Bakterien geworben wurde? Die sind vielleicht genauso vom Aussterben bedroht wie Pandas, Gorillas, Koalas und Robben – und fur das Okosystem noch wichtiger. Aber wir empfinden nichts fur sie. Ein Tier erscheint uns umso sympathischer, je menschenahnlicher es in die Welt guckt. Die mitteleuropaische Linsenfliege ist ausgestorben? Tja, schade.

Politiker spielen virtuos auf der Klaviatur des Liking Bias. Je nach Publikum unterstreichen sie andere Gemeinsamkeiten. Mal wird der Wohnbezirk betont, mal die soziale Herkunft, mal das okonomische Interesse. Und es wird geschmeichelt: Jeder Einzelne soll das Gefuhl haben, unverzichtbar zu sein: »Ihre Stimme zahlt!« Naturlich zahlt jede Stimme, aber halt verdammt wenig.

Ein Freund, Vertreter von Olpumpen, hat mir erzahlt, wie er einen zweistelligen Millionenauftrag fur eine Pipeline in Russland abgeschlossen hat. »Bestechung?«, fragte ich. Er schuttelte den Kopf. »Wir plauderten, und plotzlich kamen wir auf das Thema Segeln. Es stellte sich heraus, dass wir beide – der Kaufer und ich – besessene 470er-Jollen-Segler sind. Von dem Moment an war ich ihm sympathisch, ein Freund. Damit war der Deal besiegelt. Sympathie funktioniert besser als Bestechung.«

Fazit: Einen Deal sollten Sie immer unabhangig vom Verkaufer beurteilen. Denken Sie sich ihn weg, oder besser: Denken Sie sich ihn als unsympathisch.

DER ENDOWMENT-EFFEKT

Klammern Sie sich nicht an die Dinge

Der BMW glanzte auf dem Parkplatz des Gebrauchtwagenhandlers. Zwar hatte er schon einige Kilometer drauf, doch er schien in tadellosem Zustand zu sein. Nur – mit 50.000 Euro war er mir entschieden zu teuer. Ich verstehe etwas von Gebrauchtwagen; maximal 40.000 war er in meinen Augen wert. Doch der Verkaufer lie? sich nicht erweichen. Als er sich eine Woche spater bei mir meldete und sagte, ich konne den Wagen fur 40.000 haben, schlug ich zu. Am nachsten Tag machte ich an einer Tankstelle halt. Dort sprach mich der Besitzer der Tankstelle an und offerierte 53.000 Euro cash fur meinen Wagen. Ich lehnte dankend ab. Erst auf der Heimfahrt realisierte ich, wie irrational mein Verhalten gewesen war. Etwas, das in meinen Augen maximal 40.000 wert war, hatte nun, nachdem es in meinen Besitz ubergegangen war, plotzlich einen Wert von uber 53.000 – sonst hatte ich das Ding ja sofort weiterverkaufen mussen. Der Denkfehler dahinter: Endowment-Effekt (Besitztumseffekt). Was wir besitzen, empfinden wir als wertvoller, als was wir nicht

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