besitzen. Anders ausgedruckt: Wenn wir etwas verkaufen, verlangen wir mehr Geld, als wir selbst dafur bereit waren, auszugeben.

Der Psychologe Dan Ariely hat folgendes Experiment durchgefuhrt. Er verloste Eintrittskarten zu einem wichtigen Basketballspiel an seine Studenten. Anschlie?end fragte er jene Studenten, die leer ausgegangen waren, wie viel sie fur eine Karte zu bezahlen bereit waren. Die meisten gaben einen Preis um die 170 Dollar an. Danach fragte er jene Studenten, die eine Karte gewonnen hatten, fur wie viel sie bereit waren, ihre Karte zu verkaufen. Der durchschnittliche Verkaufspreis lag bei 2.400 Dollar. Die einfache Tatsache, dass wir etwas besitzen, verleiht dieser Sache offenbar Wert.

Im Immobiliengeschaft kommt der Endowment-Effekt deutlich zum Tragen. Der Verkaufer schatzt den Wert seines Hauses systematisch hoher ein als der Markt. Der Marktpreis erscheint dem Hausbesitzer oft unfair, ja, eine Frechheit – weil er eine emotionale Bindung zu seinem Haus hat. Diesen emotionalen Mehrwert soll ein etwaiger Kaufer mitbezahlen – was naturlich absurd ist.

Charlie Munger, die rechte Hand von Warren Buffett, kennt den Endowment-Effekt aus eigener Erfahrung. In jungen Jahren wurde ihm ein au?erordentlich lukratives Investment angeboten. Leider war er zu jenem Zeitpunkt voll investiert, hatte also keine flussigen Mittel zur Hand. Er hatte eine seiner Beteiligungen verkaufen mussen, um das neue Investment einzugehen, doch er tat es nicht. Der Endowment-Effekt hielt ihn zuruck. So lie? sich Munger einen schonen Gewinn von uber funf Millionen Dollar entgehen, nur weil er sich nicht von einer einzigen Anlage trennen konnte.

Loslassen fallt uns offenbar schwerer als anhaufen. Das erklart nicht nur, weshalb wir unseren Haushalt mit Ramsch zumullen, sondern auch, warum Liebhaber von Briefmarken, Uhren oder Kunst so selten tauschen oder verkaufen.

Erstaunlicherweise verhext der Endowment-Effekt nicht nur den Besitz, sondern sogar schon den Fast-Besitz. Auktionshauser wie Christie’s und Sotheby’s leben davon. Wer bis zuletzt mitbietet, hat das Gefuhl, ihm gehore das Kunstwerk schon (fast). Entsprechend hat das Objekt der Begierde fur den Kaufer in spe an Wert gewonnen. Er ist plotzlich bereit, einen hoheren Preis zu bezahlen als jenen, den er sich vorgenommen hat. Der Ausstieg aus dem Bieterwettkampf wird als Verlust empfunden – gegen jede Vernunft. Bei gro?en Auktionen, zum Beispiel von Schurfrechten oder Mobilfunkfrequenzen, kommt es daher oft zum Winner’s Curse: Der Gewinner einer Auktion entpuppt sich als okonomischer Verlierer, weil er uberboten hat. Mehr zum Winner’s Curse in einem anderen Kapitel.

Wenn Sie sich um einen Job bewerben und ihn nicht bekommen, haben Sie allen Grund, enttauscht zu sein. Wenn Sie wissen, dass Sie es bis zur Endausscheidung geschafft haben und dann die Absage erhalten, ist die Enttauschung noch viel gro?er – unberechtigterweise. Denn entweder haben Sie den Job bekommen oder nicht, alles andere sollte keine Rolle spielen. Fazit: Klammern Sie sich nicht an die Dinge. Betrachten Sie Ihren Besitz als etwas, das Ihnen das »Universum« provisorisch uberlassen hat – wohl wissend, dass es Ihnen alles jederzeit wieder wegnehmen kann.

DAS WUNDER

Die Notwendigkeit unwahrscheinlicher Ereignisse

Am 1. Marz 1950, um Viertel nach sieben, sollten sich die 15 Mitglieder des Kirchenchors von Beatrice in Nebraska zur Probe treffen. Aus verschiedenen Grunden waren sie alle verspatet. Die Familie des Pfarrers war spat dran, weil die Frau noch das Kleid der Tochter bugeln musste; ein Ehepaar war unpunktlich, weil der Motor ihres Wagens nicht starten wollte; der Pianist wollte eigentlich eine halbe Stunde vorher dort sein, aber er schlief nach dem Abendessen ein, und so weiter. Um 19.25 Uhr explodierte die Kirche. Der Knall war im ganzen Dorf zu horen. Die Wande flogen heraus, und das Dach krachte auf der Stelle zusammen. Wie durch ein Wunder kam dabei niemand ums Leben. Der Feuerwehrkommandant fuhrte die Explosion auf ein Gasleck zuruck. Doch die Mitglieder des Chors waren uberzeugt, ein Zeichen Gottes empfangen zu haben. Gottes Hand oder Zufall?

Aus irgendeinem Grund musste ich letzte Woche an meinen ehemaligen Schulkollegen Andreas denken, mit dem ich langere Zeit keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Plotzlich klingelte das Telefon. Just dieser Andreas war dran. »Das muss Telepathie sein!«, rief ich in einem Anflug von Begeisterung. Telepathie oder Zufall?

Am 5. Oktober 1990 berichtete der San Francisco Examiner, dass die Firma Intel den Konkurrenten AMD verklagen wurde. Intel fand heraus, dass AMD einen Computerchip mit dem Namen AM386 zu lancieren plante, eine Bezeichnung, deren Anlehnung an Intels 386 offensichtlich war. Interessant ist, wie Intel darauf stie?: Zufalligerweise hatten beide Firmen jemanden angestellt, der Mike Webb hie?. Beide Mike Webbs checkten am gleichen Tag in das gleiche Hotel in Kalifornien ein. Nachdem die beiden Manner wieder ausgecheckt hatten, nahm das Hotel ein Paket fur einen Mike Webb in Empfang. Das Paket, das vertrauliche Unterlagen zum AM386-Chip enthielt, wurde vom Hotel falschlicherweise an Mike Webb von Intel geschickt, der die Inhalte umgehend an Intels Rechtsabteilung weiterleitete.

Wie wahrscheinlich sind solche Geschichten? Der Schweizer Psychiater C. G. Jung sah darin das Wirken einer unbekannten Kraft, die er Synchronizitat nannte. Wie geht ein klar Denkender an solche Geschichten heran? Am besten mit einem Blatt Papier und einem Bleistift. Nehmen wir den ersten Fall, die Explosion der Kirche. Zeichnen Sie vier Felder fur die vier moglichen Kombinationen. Das erste Feld ist der dargestellte Fall: »Chor verspatet und Kirche explodiert«. Aber es gibt noch drei andere Kombinationsmoglichkeiten: »Chor verspatet und Kirche explodiert nicht«, »Chor nicht verspatet und Kirche explodiert« und »Chor nicht verspatet und Kirche explodiert nicht«. Schreiben Sie die geschatzten Haufigkeiten in die Felder. Denken Sie daran, wie oft nur schon der letzte Fall passiert: Taglich, in Millionen von Kirchen, probt ein Chor zur abgemachten Zeit, und die Kirche explodiert nicht. Plotzlich hat die Geschichte mit der Explosion nichts Unvorstellbares mehr. Im Gegenteil, es ware unwahrscheinlich, wenn es bei Abermillionen von Kirchen nicht einmal im Jahrhundert zu einem solchen Ereignis kame. Also keine Hand Gottes. Nebenbei: Warum auch sollte Gott eine Kirche in die Luft sprengen wollen? Was fur eine idiotische Art von einem Gott, so zu kommunizieren!

Dasselbe beim Telefonanruf. Halten Sie sich die vielen Situationen vor Augen, in denen Andreas an Sie denkt und nicht anruft; in denen Sie an Andreas denken und er nicht anruft, in denen er anruft und Sie nicht an ihn gedacht haben; in denen Sie anrufen und er nicht an Sie gedacht hat; und an die fast unendlich vielen Momente, in denen Sie nicht an ihn denken und er nicht anruft. Da Menschen etwa 90 % ihrer Zeit an Menschen denken, ware es unwahrscheinlich, wenn es nie passieren wurde, dass zwei Menschen aneinander denken und einer davon auch noch zum Horer greift. Hinzu kommt, dass es nicht Andreas sein muss. Wenn Sie noch 100 andere Bekannte haben, erhoht sich die Wahrscheinlichkeit um den Faktor 100.

Fazit: Unwahrscheinliche Zufalle sind eben gerade das: zwar seltene, aber durchaus mogliche Ereignisse. Es ist nicht uberraschend, wenn sie vorkommen. Uberraschender ware es, wenn sie nie stattfanden.

GROUPTHINK

Warum Konsens gefahrlich sein kann

Haben Sie schon mal an einem Meeting Ihre Meinung zuruckgehalten? Bestimmt. Man sagt nichts, nickt den Antragen zu, schlie?lich will man nicht der (ewige) Storenfried sein. Au?erdem ist man seiner abweichenden Meinung vielleicht doch nicht ganz sicher, und die anderen in ihrer einhelligen Meinung sind ja auch nicht blod. Also halt man still. Wenn alle so handeln, tritt Groupthink (Gruppendenken) ein: Eine Gruppe von intelligenten Menschen trifft idiotische Entscheidungen, weil jeder seine Meinung dem vermeintlichen Konsens anpasst. So kommen Entscheidungen zustande, die jedes einzelne Gruppenmitglied unter normalen Umstanden abgelehnt hatte. Groupthink ist ein Spezialfall von Social Proof, einem Denkfehler, den wir in einem fruheren Kapitel behandelt haben.

Im Marz 1960 begann der amerikanische Geheimdienst, antikommunistische Exilkubaner zu organisieren, um sie gegen Fidel Castros Regime einzusetzen. Zwei Tage nach dem Amtsantritt im Januar 1961 wurde Prasident Kennedy vom Geheimdienst uber den Geheimplan zur Invasion Kubas informiert. Anfang April 1961 fand das entscheidende Treffen im Wei?en Haus statt. Kennedy und alle seine Berater gaben dem Einmarschplan ihre Zustimmung. Am 17. April 1961 landete eine Brigade von 1.400 Exilkubanern mithilfe der US Navy, der Air Force und der CIA in der »Schweinebucht« an der Sudkuste Kubas. Ziel: Fidel Castros Regierung zu sturzen. Nichts funktionierte wie geplant. Am ersten Tag erreichte kein einziges Schiff die Kuste mit Nachschub. Die ersten zwei wurden von der kubanischen Luftwaffe versenkt, die nachsten zwei kehrten um und flohen. Schon einen Tag

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