THE SUNK COST FALLACY

Warum Sie die Vergangenheit ignorieren sollten

Der Film war miserabel. Nach einer Stunde flusterte ich meiner Frau ins Ohr: »Komm, gehen wir nach Hause.« Sie antwortete: »Sicher nicht. Wir haben nicht vergeblich 30 Euro fur Kinokarten ausgegeben.« »Das ist kein Argument«, protestierte ich, »die 30 Euro sind schon verloren. Du bist der Sunk Cost Fallacy auf den Leim gekrochen.« »Du mit deinen ewigen Denkfehlern«, sagte sie und sprach »Denkfehler« aus, als hatte sie etwas Bitteres im Mund.

Am nachsten Tag Marketingsitzung. Die Werbekampagne lief nun schon seit vier Monaten – weit unter dem budgetierten Erfolg. Ich war dafur, das Ding sofort zu stoppen. Der Werbeleiter widersetzte sich mit der folgenden Begrundung: »Wir haben schon so viel Geld in die Kampagne investiert, wenn wir jetzt stoppen, war alles fur die Katz.« Auch er: Opfer der Sunk Cost Fallacy.

Ein Freund qualte sich jahrelang in einer problematischen Beziehung. Die Frau hatte ihn immer wieder betrogen. Jedes Mal, wenn er sie ertappt hatte, kam sie reumutig zuruck und flehte um Vergebung. Obwohl es schon lange keinen Sinn mehr machte, mit dieser Frau eine Beziehung zu unterhalten, lie? er sich immer wieder besanftigen. Als ich ihn darauf ansprach, erklarte er mir, warum: »Ich habe so viel emotionale Energie in diese Beziehung gesteckt, dass es falsch ware, sie jetzt zu verlassen.« Eine klassische Sunk Cost Fallacy.

Jede Entscheidung, ob privat oder geschaftlich, geschieht stets unter Unsicherheit. Was wir uns ausmalen, mag eintreffen oder nicht. Zu jedem Zeitpunkt konnte man den eingeschlagenen Pfad verlassen, zum Beispiel das Projekt abbrechen, und mit den Konsequenzen leben. Diese Abwagung unter Unsicherheit ist rationales Verhalten. Die Sunk Cost Fallacy schnappt dann zu, wenn wir schon besonders viel Zeit, Geld, Energie, Liebe etc. investiert haben. Das investierte Geld wird dann zur Begrundung, weiterzumachen, selbst wenn es objektiv betrachtet keinen Sinn macht. Je mehr investiert wurde, also je gro?er die Sunk Costs sind, desto starker ist der Drang, das Projekt fortzufuhren.

Borsenanleger werden oft zum Opfer der Sunk Cost Fallacy. Oft orientieren sie sich bei Verkaufsentscheidungen am Einstandspreis. Liegt der Kurs einer Aktie uber dem Einstandspreis, wird verkauft. Liegt der Kurs darunter, wird nicht verkauft. Das ist irrational. Der Einstandspreis darf uberhaupt keine Rolle spielen. Was zahlt, ist einzig die Aussicht auf die kunftige Kursentwicklung (und die kunftige Kursentwicklung alternativer Investments). Irren kann sich jeder, besonders an der Borse. Der traurige Witz der Sunk Cost Fallacy ist der: Je mehr Geld Sie mit einer Aktie bereits verloren haben, desto starker halten Sie an ihr fest.

Warum dieses irrationale Verhalten? Menschen streben danach, konsistent zu erscheinen. Mit Konsistenz signalisieren wir Glaubwurdigkeit. Widerspruche sind uns ein Grauel. Entscheiden wir, ein Projekt in der Mitte abzubrechen, generieren wir einen Widerspruch: Wir geben zu, fruher anders gedacht zu haben als heute. Ein sinnloses Projekt weiterfuhren zogert diese schmerzliche Realisierung hinaus. Wir erscheinen dann langer konsistent.

Die Concorde war das Paradebeispiel eines staatlichen Defizitprojektes. Selbst als die beiden Partner England und Frankreich schon lange eingesehen hatten, dass sich der Betrieb des Uberschallflugzeuges nie rechnen wurde, haben sie weiterhin Unsummen investiert – blo? um das nationale Gesicht zu wahren. Aufgeben ware einer Kapitulation gleichgekommen. Die Sunk Cost Fallacy wird darum oft auch als Concorde-Effekt bezeichnet. Sie fuhrt nicht nur zu kostspieligen, sondern geradezu verheerenden Entscheidungsfehlern. Der Vietnamkrieg wurde genau mit der Begrundung verlangert: »Wir haben das Leben so vieler Soldaten fur diesen Krieg geopfert, es ware ein Fehler, jetzt aufzugeben.«

»Jetzt sind wir schon so weit gefahren ... « »Ich habe schon so viele Seiten in diesem Buch gelesen … « »Nun habe ich schon zwei Jahre in diese Ausbildung gesteckt … « Anhand solcher Satze erkennen Sie, dass die Sunk Cost Fallacy in einer Ecke Ihres Gehirns bereits die Zahne fletscht.

Es gibt viele gute Grunde, weiter zu investieren, um etwas zum Abschluss zu bringen. Aber es gibt einen schlechten Grund: das bereits Investierte zu berucksichtigen. Rational entscheiden bedeutet, dass Sie die aufgelaufenen Kosten ignorieren. Egal, was Sie bereits investiert haben, es zahlt einzig das Jetzt und Ihre Einschatzung der Zukunft.

DIE REZIPROZITAT

Warum Sie sich keinen Drink spendieren lassen sollten

Vor einigen Jahrzehnten – die Hippie-Kultur stand in voller Blute – traf man auf Bahnhofen und Flughafen die in rosa Gewandern umherschlurfenden Junger der Krishna-Sekte an. Sie schenkten jedem vorbeieilenden Passanten eine kleine Blume. Die Junger sagten nicht viel, ein Gru?wort, ein Lacheln, und das war’s. Auch wenn ein Geschaftsmann nicht viel Nutzen in einer kleinen Blume sah, so nahm er sie doch an – man wollte ja nicht unhoflich sein. Lehnte man das Geschenk ab, so horte man ein sanftes »Nehmen Sie’s, das ist unser Geschenk an Sie«.

Wer die Blume in der nachsten Seitenstra?e in den Mulleimer warf, stellte fest, dass da schon einige lagen. Das war aber noch nicht das Ende. Wahrend das schlechte Gewissen laborierte, wurde man von einem Krishna- Junger angesprochen, der um eine Spende bat. In vielen Fallen mit Erfolg. Diese Art der Spendensammlung war derart ergiebig, dass viele Flughafen die Sekte auf ihrem Gelande verboten. Der Wissenschaftler Robert Cialdini hat das Phanomen der Reziprozitat genauer untersucht und festgestellt, dass der Mensch es kaum aushalt, in der Schuld zu stehen.

Vor einigen Jahren wurden meine Frau und ich von einem Ehepaar zum Dinner eingeladen. Wir kannten diese Leute seit geraumer Zeit, sie waren nett, aber alles andere als inspirierend. Es fiel uns keine gute Ausrede ein, und so sagten wir zu. Es kam, wie es kommen musste: Der Abend bei ihnen zu Hause war langweilig. Trotzdem fuhlten wir uns verpflichtet, sie einige Monate spater ebenfalls zu uns nach Hause einzuladen. Der Zwang zur Reziprozitat hatte uns zwei ode Abende beschert. Ihnen aber offenbar nicht, denn prompt kam einige Wochen spater wieder eine Folgeeinladung. Ich kann mir gut vorstellen, dass Leute sich uber Jahre aus reiner Reziprozitat periodisch treffen, auch wenn sie schon lange am liebsten aus diesem Teufelskreis ausgestiegen waren.

Viele NGOs sammeln nach dem Krishna-Muster – zuerst schenken, dann fordern. Letzte Woche bekam ich von einer Naturschutzorganisation ein Kuvert voller edler Postkarten mit allerlei idyllischen Landschaften geschenkt. Auf dem Begleitbrief hie? es, die Postkarten seien ein Geschenk an mich. Unabhangig, ob ich etwas spende oder nicht, durfe ich sie behalten. Naturlich bedurfte es einer gewissen Anstrengung und Kaltblutigkeit, sie in den Mulleimer zu schmei?en. Diese sanfte Erpressung, man konnte sie auch Korruption nennen, ist in der Wirtschaft weitverbreitet. Ein Lieferant von Schrauben ladt einen potenziellen Kunden zu einem Champions-League-Spiel ein. Einen Monat spater ist es an der Zeit, Schrauben zu bestellen. Der Wunsch, nicht in der Schuld zu stehen, ist so stark, dass der Einkaufer einknickt.

Die Reziprozitat ist ein uraltes Programm. Im Grunde sagt sie: »Ich helfe dir aus, du hilfst mir aus.« Wir finden Reziprozitat bei all jenen Tierarten, bei denen die Nahrungsmenge hohen Schwankungen unterliegt. Angenommen, Sie sind ein Jager und Sammler, und eines Tages haben Sie Gluck und erlegen ein Reh. Das ist viel mehr, als Sie an einem Tag essen konnen. Kuhlschranke gibt es noch nicht. Also teilen Sie das Reh mit Ihren Gruppenmitgliedern. Das gibt Ihnen die Moglichkeit, von der Beute der anderen zu profitieren, wenn Sie einmal einen Pechtag haben. Der Bauch der anderen ist Ihr Kuhlschrank. Eine ausgezeichnete Uberlebensstrategie. Reziprozitat ist Risikomanagement. Ohne Reziprozitat ware die Menschheit – und unzahlige Tierarten – schon lange ausgestorben.

Es gibt auch eine hassliche Seite der Reziprozitat: die Vergeltung. Auf Rache folgt Gegenrache, und schon findet man sich in einem ausgewachsenen Krieg. Was Jesus gepredigt hat, namlich den Teufelskreis zu unterbrechen, indem wir dem Angreifer auch die andere Wange hinhalten, fallt uns deshalb so schwer, weil die Reziprozitat seit weit uber 100 Millionen Jahren zu unserem soliden Uberlebensprogramm gehort.

Letzthin hat mir eine Frau erklart, warum sie sich in einer Bar keinen Drink mehr spendieren lasst: »Weil ich diese unterschwellige Verpflichtung nicht haben will, mit ihm ins Bett zu steigen.« Das ist sehr weise. Wenn Sie

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