«In welcher Kleidung?«fragte ihn der Hobble-Frank.

«Wie es euch beliebt.«

Frank entledigte sich aller Kleidungsstucke bis auf die Hosen; der» springende Hirsch «trug jetzt nur einen Lederschurz. Er blickte auf seinen Gegner mit einem Gesichte, welches Verachtung ausdrucken sollte, aber das Ebenbild der gottlichsten Borniertheit war.

«Frank, gib dir Muhe!«mahnte Jemmy.»Denke daran, da? Davy und ich gesiegt haben!«

«Weine nur nich!«trostete der Kleine.»Wennste noch nich wissen solltest, ob ich Beene habe oder nich, so wirst du sie jetzt protuberanzieren sehen.«

Da klatschte der Hauptling in die Hande. Einen schrillen Schrei aussto?end, flog der» springende Hirsch «davon, der kleine Frank hinter ihm her. Die Bewohner des ganzen Lagers waren wieder versammelt, um den Wettlauf anzusehen. Ihrer Ansicht nach war es schon jetzt, nach drei, vier Sekunden, gewi?, wer der Sieger sein werde. Der Hirsch war seinem Gegner schon weit voraus und gewann mit jedem weiteren Schritte gro?eren Vorsprung. Die Roten jubelten. Es ware Wahnsinn gewesen, zu behaupten, da? der Wei?e den Roten noch ein- oder gar uberholen konne.

Geradezu wunderbar war's, wie der Kleine seine Beinchen warf. Man sah sie fast nicht, so schnell bewegten sie sich, und doch hatte es, wenigstens fur den genauen Beobachter, den Anschein, als ob er noch nicht alles leiste, sondern noch rascher laufen konne, wenn er wolle.

Da wurden die Indianer unruhig; sie lie?en einzelne Ausrufe des Hohnes, der Schadenfreude horen; sie lachten und glaubten wirklich, alle Veranlassung dazu zu haben. Der Grund war folgender: Die Buche stand in schnurgerader Richtung von dem Lager aus mitten in der Prairie, wohl nicht ganz dreitausend Fu? entfernt. Links von ihr, aber wenigstens zweitausend Fu? weiter, stand die erwahnte Fichte, und jetzt, da die beiden Laufer sich in dazu genugender Entfernung befanden, sah man deutlich, da? der Kleine sich nicht die Buche, sondern die Fichte zum Ziele genommen hatte. Er rannte, was die Beinchen nur hergeben wollten, auf sie zu. Das war freilich so lacherlich, da? den Indianern ihre Heiterkeit verziehen werden konnte.

«Dein Gefahrte hat mich falsch verstanden, «rief der Hauptling Old Shatterhand zu.

«Nein.«

«Aber er rennt ja nach der Fichte!«

«Allerdings.«

«So wird der» springende Hirsch «mit doppelter Schnelligkeit siegen!«

«Nein.«

«Nein?«fragte der» gro?e Wolf «erstaunt.

«Es ist eine List, und du hast sie ihm selbst erlaubt.«

«Uff, uff! Jawohl, und uff, uff!«riefen auch die andern Roten, als der Hauptling ihnen die Worte Old Shatterhands erklarte. Ihr Gelachter verstummte, und ihre Spannung verdoppelte, nein, verzehnfachte sich. In kurzer Zeit hatte der Hirsch die Buche erreicht. Er mu?te sie dreimal umkreisen. Schon beim erstenmal sah er, zuruckblickend, seinen Gegner in ganz andrer Richtung, wenn auch nur dreihundert Schritte entfernt. Er blieb ganz betroffen stehen und starrte den Moritzburger erstaunt an.

Da sah man vom Lager aus, da? der Kleine den Arm nach der noch so fernen Fichte ausstreckte; aber man konnte nicht horen, was er dabei sagte.

«Intsch ovomb, intsch ovomb — nach jener Fichte, nach jener Fichte!«rief er namlich dem Roten zu.

Dieser besann sich, ob er richtig gehort habe. Seine Gedanken reichten nicht weiter als zu der Erklarung, da? er den Hauptling falsch verstanden habe, und da? nicht die Buche, sondern die Fichte das Halbziel des Wettlaufes sei. Schon war der Kleine weiter, viel weiter fort; da galt kein Bedenken und kein Zogern; es ging ja ums Leben! Der Rote verlie? die Buche und eilte weiter, auf die Fichte zu. In wenigen Augenblicken scho? er von weitem an dem Gegner voruber und flog, ohne sich einmal umzusehen, seinem zweiten Ziele entgegen.

Das verursachte eine gewaltige Aufregung unter den Roten. Sie heulten und larmten, als ob das Leben aller auf dem Spiele stehe. Desto gro?er war die Freude der Wei?gesichter, und namentlich des dicken Jemmy, welche den Geniestreich ihres Kameraden so vortrefflich glucken sahen.

Dieser wendete, sobald der» springende Hirsch «an ihm voruber war, um und rannte auf die Buche zu. Dort angekommen, ging er drei-, vier-, funfmal um den Stamm herum und trat dann in gro?ter Eile den Ruckweg an. Vier Funfteile desselben legte er in scharfem Trabe zuruck, dann blieb er halten, um sich nach der Fichte umzublicken. Dort stand der» springende Hirsch «ganz unbeweglich. Naturlich konnte man weder die Hande und Arme oder gar das Gesicht desselben erkennen, aber es war deutlich zu sehen, da? er starr wie eine Bildsaule dastand. Er wu?te nicht, woran er war, und sein Geist war nicht scharf genug, zu erraten, wie glorreich er genasfuhrt worden.

Der Hobble-Frank fuhlte sich im hochsten Grade befriedigt und legte die ubrige Strecke seines Weges in gemutlichem Gange zuruck. Die Indianer empfingen ihn mit finstern Blicken; er aber machte sich nichts daraus, trat zu dem Hauptlinge, schlug ihm auf die Schulter und fragte:

«Nun, altes Haus, wer hat gesiegt?«

«Wer die Bedingungen erfullt hat, «antwortete der Rote grimmig.

«Das bin ich!«

«Du?«

«Ja, bin ich nicht an der Buche gewesen?«

«Ich sah es.«

«Und zuerst wieder hier?«

«Ja.«

«Bin ich nicht funfmal anstatt nur dreimal um den Baum gegangen?«

«Warum zweimal mehr?«

«Aus reiner Liebe zu dem» springenden Hirsche«. Als er einmal herum war, rannte er fort, und ich habe fur ihn das Fehlende nachgeholt, damit die Buche sich nicht uber ihn beklagen kann.«

«Warum verlie? er sie, um nach der Fichte zu gehen?«

«Ich wollte ihn fragen; aber er rannte so schnell an mir voruber, da? ich gar keine Zeit dazu fand. Wenn er kommt, wird er es dir vielleicht sagen.«

«Warum ranntest auch du erst nach der Fichte?«

«Weil ich glaubte, es sei eine Tanne. Old Shatterhand hatte den Baum eine Fichte genannt, und so wollte ich wissen, wer recht hatte.«

«Warum bist du umgekehrt und nicht vollends hingegangen?«

«Weil der» springende Hirsch «hinging. Von ihm kann ich es hinterher ebensogut erfahren, wer sich geirrt hat, ob ich oder ob Old Shatterhand.«

Er sagte das alles im ruhigsten und unbefangensten Tone, den es geben kann. Im Innern des Hauptlings kochte es. Seine Worte kamen fast zischend uber die Lippen, als er fragte:»Hast du etwa den» springenden Hirsch «betrogen?«

«Betrogen? Soll ich dich niederschlagen?«fuhr der Kleine scheinbar zornig auf, indem er sich der eigenen, fruheren Worte des Hauptlings bediente.

«Oder hast du eine List angewendet?«

«List? Wozu hatte die dienen sollen?«

«Um den Hirsch nach der Fichte zu senden.«

«Das ware eine schlechte List, deren ich mich schamen mu?te. Ein Mensch, welcher um sein Leben lauft, la?t sich nicht vom Ziele aus noch so viel weiter schicken. Wenn er das thate, so hatte er kein Gehirn, und diejenigen, zu denen er gehort, mu?ten sich schamen, ihn nicht besser geubt und erzogen zu haben. Nur ein Thor wurde einen solchen Menschen mit einem Wei?en um das Leben kampfen lassen. Ich kann dich und deine Vermutungen nicht begreifen, da du durch dieselben deine eigene Ehre beleidigst.«

Die Hand des Hauptlings fuhr in den Gurtel und krampfte sich um den Messergriff. Am liebsten hatte er den ebenso mutigen wie listigen und vorsichtigen Kleinen augenblicklich erstochen; aber die Worte desselben gaben keine wirkliche Handhabe zur Beschonigung einer solchen That, und er mu?te also seinen Grimm hinunterschlucken.

Der Hobble-Frank trat nun zu seinen Gefahrten, von denen er mit stiller, aber desto herzlicherer Freude begluckwunscht wurde.

«Hab' ooch gesiegt, bist du mit mir zufrieden?«fragte er Jemmy in Bezug auf die Ermahnung, welche dieser

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