Zweck vollstandig. Er glaubte, mit einem sitzenden Feind leichter fertig werden zu konnen und diesen Umstand schnell benutzen zu mussen. Einen lauten Kriegsruf aussto?end, sprang er auf Old Shatterhand ein, den Tomahawk zum todlichen Hiebe erhoben. Schon glaubten die Roten, diesen Hieb sitzen zu sehen; schon offneten sich viele Lippen zum Jubelgeschrei, da schnellte der Wei?e seitwarts empor — das mit Absicht verkehrt gehaltene Messer that seine Schuldigkeit; der Hieb ging fehl; die niedersausende Faust fuhr in die blitzschnell emporgehaltene Klinge, so da? sie das Kriegsbeil fallen lie?; ein rascher Hieb Old Shatterhands gegen den linken Arm des Roten, und diesem flog auch das Messer aus der Hand, und dann schlug der Wei?e seinem Gegner mit einem fast unsichtbar schnellen Hiebe den harten Griff des Bowiemessers mit solcher Kraft auf die Gegend des Herzens, da? der Rote wie ein Sack zur Erde flog und dort liegen blieb. Old Shatterhand erhob das Messer und rief:»Wer ist der Sieger?«
Keine Stimme antwortete. Selbst diejenigen, welche es fur moglich gehalten hatten, da? ihr Hauptling unterliegen konne, hatten nicht geglaubt, da? es so schnell und in dieser Weise geschehen konne. Die Leute standen wie erstarrt.
«Er selbst hat gesagt, da? der Skalp des Besiegten dem Sieger gehore, «fuhr Old Shatterhand fort.»Sein Schopf ist also mein Eigentum; aber ich will ihn nicht haben. Ich bin ein Christ und ein Freund der roten Manner und schenke ihm das Leben. Vielleicht habe ich ihm eine Rippe eingeschlagen; aber tot ist er nicht. Meine roten Bruder mogen ihn untersuchen; ich aber gehe nach meinem Zelte.«
Er band sich los und ging. Niemand hinderte ihn daran, und niemand hinderte auch Davy und Jemmy, ihm zu folgen. Jeder wollte sich zunachst uberzeugen, wie es mit dem» gro?en Wolfe «stehe, und darum drangten alle zu ihm hin. Infolgedessen erreichten die Jager ganz unbeachtet ihr Zelt. Hinter demselben lagen ihre Waffen, und da stand auch der Hobble-Frank mit den Pferden.
«Schnell aufsteigen und fort!«sagte Old Shatterhand.»Reden konnen wir spater.«
Sie schwangen sich auf und ritten davon, erst langsam und hinter den Zelten und Hutten Deckung suchend. Dann aber wurden sie von den Wachen bemerkt, welche auch jetzt am Tage au?erhalb des Lagers Wache standen. Diese stie?en das Kriegsgeheul aus und schossen nach ihnen. Darum gaben die Wei?en ihren Pferden die Sporen, um sie in Galopp zu setzen. Sich umschauend, sahen sie, da? das Rufen und Schie?en der Wachter die andern aufmerksam gemacht hatte. Die Roten quollen formlich zwischen den Zelten hervor und sandten den Entkommenen ein satanisches Geheul nach, welches von dem Echo der Berge vielfach zuruckgeworfen wurde.
Die Jager galoppierten in gerader Richtung uber die Ebene nach der Stelle zu, in welcher sich das Bergwasser in den See sturzte. Old Shatterhand kannte die Gegend gut genug, um zu wissen, da? das Thal dieses Baches das schnellste Entkommen biete. Er war uberzeugt, da? die Utahs sofort zur Verfolgung aufbrechen wurden, und mu?te sich also einer Gegend zuwenden, in welcher es den Roten moglichst schwer wurde, sich auf der Fahrte zu halten.
Dreizehntes Kapitel
Edelmut Old Shatterhands
Es war an demselben Morgen, als an dem Bache, welchem gestern abend die Utahs mit ihren Gefangenen gefolgt waren, ein Reitertrupp aufwarts ritt. An der Spitze desselben befand sich Old Firehand mit der Tante Droll. Hinter ihnen ritten Humply-Bill und der Gunstick-Uncle mit den englischen Lord; kurz, es waren die Wei?en alle, welche das bereits erzahlte Abenteuer am Eagle-tail erlebt hatten und dann nach den Bergen aufgebrochen waren, um nach dem Silbersee zu gelangen. In Denver war Butler, der Ingenieur, mit Ellen, seiner Tochter, zu ihnen gesto?en. Er hatte sich von der Farm seines Bruders direkt dorthin begeben, da es nicht seine Absicht hatte sein konnen, sein Kind den Gefahren eines abermaligen Zusammentreffens mit den Tramps auszusetzen. Das Madchen, welches sich auf keinen Fall von dem Vater hatte trennen mogen und ihm zuliebe mit in die Wildnis ging, sa? in einer Art von Sanfte, welche von zwei kleinen, aber ausdauernden indianischen Ponies getragen wurde.
Winnetou war jetzt nicht zu sehen, da er als Kundschafter, wozu er sich au?erordentlich eignete, voranritt. Zufalligerweise hatte der Weg, welcher von ihm und Old Firehand vorgezeichnet worden war, den Trupp nach dem Walde und uber die Blo?e gefuhrt, auf welcher Old Shatterhand und seine Begleiter mit den Utahs zusammengetroffen waren. Die beiden Anfuhrer waren erfahren und scharfsinnig genug, die Spuren lesen zu konnen; sie hatten gesehen, da? Wei?e von den Indianern gefangen genommen worden seien, und waren sofort bereit gewesen, der Fahrte zu folgen, um vielleicht Hilfe zu bringen.
Sie ahnten nicht, da? von den Utahs das Kriegsbeil ausgegraben worden sei. Sowohl Winnetou als auch Old Firehand wu?ten sich mit diesem Stamme in tiefstem Frieden, und beide waren uberzeugt, bei demselben eine freundliche Aufnahme zu finden und ein gutes Wort fur die gefangenen Wei?en einlegen zu durfen.
Wo die Roten ihr Lager aufgeschlagen hatten, wu?ten sie nicht genau; aber sie kannten den See, und da die Umgebung desselben sich prachtig zum Kampieren eignete, so glaubten sie, die Utahs dort zu finden. Trotz der vorausgesetzten freundlichen Gesinnung ware es ganz und gar gegen den Gebrauch des Westens gewesen, sich ihnen zu zeigen, ohne sie vorher beobachtet zu haben. Darum war Winnetou vorangeritten, um zu rekognoszieren. Eben als der Trupp die Stelle, an welcher die Ufer des Baches auseinander traten, um die Ebene zu bilden, erreicht hatte, kehrte der Apache zuruck. Er kam im Galopp geritten und winkte schon von weitem, da? man anhalten solle. Das war kein gutes Zeichen, und darum fragte Old Firehand, als Winnetou vollends herangekommen war:»Mein Bruder will uns warnen. Hat er die Utahs gesehen?«
«Ich sah sie und ihr Lager.«
«Und Winnetou durfte sich ihnen nicht zeigen?«
«Nein, denn sie haben das Beil des Krieges ausgegraben.«
«Woran war das zu erkennen?«
«Aus den Farben, mit denen sie sich bemalt hatten, und auch daraus, da? ihrer so viele beisammen sind. Die roten Krieger vereinigen sich zu so vielen nur im Kriege und zur Zeit der gro?en Jagden. Da wir uns nicht in der Jahreszeit der Buffelzuge befinden, kann es nur das Schlachtbeil sein, um welches sich so viele geschart haben.«
«Wie gro? ist ihre Zahl?«
«Winnetou konnte das nicht genau sehen. Es standen wohl dreihundert am See, und in den Zelten werden sich wohl auch welche befunden haben.«
«Am See? So viele? Was hat es da gegeben? Vielleicht ein gro?es Fischtreiben?«
«Nein. Beim Treiben der Fische bewegen die Menschen sich vorwarts; diese aber standen still und blickten ruhig in das Wasser.«
«Alle Teufel! Sollte das etwa eine Exekution bedeuten? Sollte man die Wei?en in das Wasser geworfen haben, um sie zu ertranken?«
Diese Vermutung Old Firehands bewegte sich auf nicht ganz falscher Fahrte, denn der Apache hatte die Utahs in dem Augenblicke beobachtet, in welchem das Wettschwimmen begonnen hatte. Winnetou antwortete mit solcher Zuversicht, als ob er mit am See gestanden und alles beobachtet hatte:»Nein, man will sie nicht ertranken; aber es gilt ein Schwimmen um das Leben.«
«Hast du Grund, das zu vermuten?«
«Ja. Winnetou kennt die Gebrauche seiner roten Bruder, und Old Firehand ist mit denselben auch so gut bekannt, da? er mir beistimmen wird. Die Utahs tragen die Kriegsfarben und betrachten die bei ihnen befindlichen Wei?en also als Feinde. Dieselben sollen getotet werden. Aber der rote Mann la?t seinen Feind nicht schnell sterben, sondern er martert ihn langsam zu Tode; er wirft ihn nicht in das Wasser, um ihn rasch zu ertranken, sondern er gibt ihm einen uberlegenen Gegner, mit welchem er um das Leben schwimmen mu?. Da der Gegner stets besser schwimmt als das Bleichgesicht, so ist der Wei?e unbedingt verloren. Man la?t ihn schwimmen, nur um sein Sterben, seine Todesangst zu verlangern.«
«Das ist richtig, und ich bin also ganz deiner Ansicht. Wir haben die Spuren von erst vier und dann zwei Wei?en gezahlt; das sind sechs. Man wird sie nicht alle schwimmen lassen, sondern jeden auf eine andre Art um sein Leben kampfen lassen. Wir mussen uns beeilen, sie zu retten.«
«Wenn mein wei?er Bruder das thut, so wird er sich nur beeilen, selbst zu sterben.«