«Nein. Seit mein Freund in Kinsley wohnt, habe ich ihn noch nicht besucht.«

«Dieser Schreiber wird heute mit noch einem Wei?en zu dir kommen, um dir ein Empfehlungsschreiben von Norton zu ubergeben. Du sollst den einen in deinem Bureau anstellen und auch dem andern Arbeit geben. Aber wenn du das thust, wirst du dich in gro?e Gefahr begeben.«

«In welche Gefahr?«

«Das wei? ich noch nicht. Die beiden Bleichgesichter sind Morder. Wenn du ein kluger Mann bist, werden wir, sobald sie mit dir gesprochen haben, erraten, welche Absicht sie verfolgen.«

«Etwa mich morden?«lachelte Charoy unglaubig.

«Vielleicht!«nickte Winnetou ernst.»Und nicht nur dich, sondern auch noch andre. Ich halte sie fur Tramps.«

«Fur Tramps?«fragte der Ingenieur schnell.»Ach, das ist etwas andres. Ich habe soeben erfahren, da? eine Horde von Tramps nach dem Eeagle-tail und nach hier will, um uns zu berauben. Diese Kerle haben es auf unsre Kasse abgesehen.«

«Von wem hast du das erfahren?«

«Von — nun, es ist wohl am besten, da? ich den Mann nicht nenne, sondern ihn dir gleich zeige.«

Sein Gesicht glanzte vor Vergnugen, dem Roten eine freudige Uberaschung bereiten zu konnen. Er offnete die Thur zum Nebenzimmer, aus welchem Old Firehand trat. Wenn der Ingenieur geglaubt hatte, da? der Rote in Worte des Entzuckens ausbrechen werde, so war er mit den Gewohnheiten der Indianer nicht vertraut. Kein roter Krieger wird seiner Freude oder seinem Schmerze in Gegenwart andrer einen auffalligen Ausdruck verleihen. Zwar glanzten die Augen des Apachen, sonst aber blieb er ruhig; er trat auf den Jager zu und streckte ihm die Hand entgegen. Dieser zog ihn an seine breite Brust, ku?te ihn auf beide Wangen und sagte im Tone freudiger Ruhrung:»Mein Freund, mein lieber, lieber Bruder! Wie uberrascht und entzuckt war ich, als ich dich kommen und vom Pferde steigen sah! Wie lange haben wir uns nicht gesehen!«

«Ich sah dich heut beim Tagesgrauen, «antwortete der Indianer,»als du im Nebelmeere jenseit des Flusses an uns voruberjagtest.«

«Und hast mich nicht angerufen!«

«Der Nebel umhullte dich, so da? ich dich nicht genau erkennen konnte, und wie der Sturm der Ebene warst du voruber.«

«Ich mu?te schnell reiten, um eher anzukommen, als die Tramps. Auch mu?te ich diesen Ritt selbst unternehmen, weil die Sache so wichtig ist, da? ich sie keinem andern anvertrauen mochte. Es sind uber zweihundert Tramps im Anzuge.«

«Dann habe ich mich nicht getauscht. Die Morder sind die Kundschafter, welche ihnen vorangehen.«

«Darf ich erfahren, welche Bewandtnis es mit diesen Leuten hat?«

«Der Hauptling der Apachen ist nicht ein Mann der Zunge, sondern der That. Hier aber steht ein Bleichgesicht, welches euch alles genau erzahlen wird.«

Er deutete auf Hartley, welcher sich beim Eintritte Old Firehands vom Stuhle erhoben hatte und den gewaltigen Mann noch jetzt mit Staunen betrachtete. Ja, das waren Recken, dieser Old Firehand und dieser Winnetou! Der Yankee kam sich so klein und armselig vor, und den Ingenieur mochte ein ahnliches Gefuhl beschleichen; wenigstens lie? sein Gesicht und seine achtungsvolle Haltung dies vermuten.

Hartley erzahlte, als alle sich wieder gesetzt hatten, seine gestrigen Erlebnisse. Als er zu Ende war, berichtete Old Firehand, wenn auch moglichst kurz, sein Zusammentreffen mit dem roten Cornel auf dem Steamer, bei den Rafters und zuletzt auf Butlers Farm. Dann lie? er sich den Anfuhrer der drei beschreiben, denjenigen, welcher den Schreiber niedergeschossen und sich dann von den beiden andern getrennt hatte. Als es dem Yankee gelungen war, ein moglichst genaues Bild dieser Person zu liefern, sagte der Jager:»Ich wette, das es der Cornel war. Er hat sich die Haare dunkel gefarbt. Hoffentlich lauft er mir endlich in die Hande!«

«Dann sollen ihm solche Streiche wohl vergehen!«zurnte her Ingenieur.»Uber zweihundert Tramps! Welch ein Morden, Sengen und Brennen ware das gewesen! Mesch'schurs, ihr seid unsre Retter, und ich wei? nicht, wie ich euch danken soll! Dieser Cornel mu? es auf irgend eine Weise erfahren haben, da? ich die Gelder fur eine lange Strecke beziehe und sie dann unter meine Kollegen zur Auszahlung zu verteilen habe. Nun ich gewarnt bin, mag er mit seinen Tramps kommen; wir werden gerustet sein.«

«Dunkt Euch nicht allzu sicher. «warnte Old Firehand.»Zweihundert desperate Kerle haben immer etwas zu bedeuten!«

«Mag sein; aber ich kann in einigen Stunden tausend Bahnarbeiter beisammen haben.«

«Die gut bewaffnet sind?«

«Jeder hat irgend eine Schie?waffe. Schlie?lich thun es die Messer, die Spaten und Schaufeln auch.«

«Spaten und Schaufeln gegen zweihundert Flinten? Das wurde ein Blutvergie?en ergeben, welches ich nicht zu verantworten haben mochte.«

«Nun so bekomme ich von Fort Wallace recht gern bis an die hundert Soldaten geschickt.«

«Euer Mut ist lobenswert, Sir; aber List ist da stets besser als Gewalt. Wenn ich den Feind durch List unschadlich machen kann, warum soll ich da so viele Menschenleben opfern?«

«Welche List meint Ihr, Sir? Ich will ja gern thun, was Ihr mir ratet. Ihr seid ein ganz andrer Kerl, als ich bin, und wenn Ihr zufrieden seid, so bin ich sofort bereit, Euch das Kommando uber diesen Platz und meine Leute abzutreten.«

«Nicht so schnell, Sir! Wir mussen uberlegen. Zunachst durfen die Tramps nicht ahnen, da? Ihr gewarnt seid. Sie durfen also nicht wissen, da? wir uns hier befinden. Auch unsre Pferde durfen sie nicht sehen. Gibt es kein Versteck fur die Tiere?«

«Die kann ich gleich verschwinden lassen, Sir.«

«Aber so, da? wir sie leicht zur Hand haben?«

«Ja, glucklicherweise seid Ihr so zeitig am Tage gekommen, da? Ihr von den Arbeitern nicht gesehen wurdet. Von ihnen konnten es die Kundschafter erfahren. Mein Neger, welcher treu und verschwiegen ist, wird die Pferde verstecken und versorgen.«

«Gut, gebt ihm den Befehl dazu! Und Ihr selbst mu?t Euch dieses Master Hartley annehmen. Gebt ihm ein Bett, da? er sich niederlegen kann. Aber kein Mensch darf von seiner Anwesenheit etwas wissen, kein Mensch au?er Euch, dem Neger und dem Arzte; denn ein Doktor ist doch wohl vorhanden?«

«Jawohl. Ich werde ihn sofort kommen lassen.«

Er entfernte sich mit dem Yankee, welcher ihm recht gern folgte, da er sich nun sehr ermudet fuhlte. Als der Ingenieur nach einiger Zeit zuruckkehrte, um zu sagen, da? sowohl der Verwundete als auch die Pferde gut versorgt seien, meinte Old Firehand:»Ich wollte alle Beratung in Gegenwart dieses Arzneischwindlers vermeiden, denn ich traue ihm nicht. Es gibt in seiner Erzahlung einen dunklen Punkt. Ich bin uberzeugt, da? er den armen Schreiber mit Absicht in den Tod geschickt hat, um sich selbst zu retten. Mit solchen Menschen mag ich nichts zu thun haben. Jetzt sind wir unter uns und wissen genau, da? jeder sich auf den andern verlassen kann.«

«So wollt Ihr uns wohl einen Plan mitteilen?«fragte der Ingenieur wi?begierig.

«Nein. Einen Plan konnen wir erst dann entwerfen, wenn wir denjenigen der Tramps kennen gelernt haben, und das wird nicht eher der Fall sein, als bis die Kundschafter hier eingetroffen sind und mit Euch gesprochen haben.«

«Das ist richtig. Wir mussen uns also einstweilen in Geduld fassen.«

Da hob Winnetou die Hand zum Zeichen, da? er einer andern Ansicht sei und sagte:»Jeder Krieger kann auf zweierlei Weise kampfen; er kann angreifen oder sich verteidigen. Wenn Winnetou nicht wei?, wie und ob er sich verteidigen kann, so greift er lieber an. Das ist schneller, sicherer und auch tapferer.«

«So will mein roter Bruder vom Plane der Tramps gar nichts wissen?«fragte Old Firehand.

«Er wird ihn jedenfalls erfahren; aber warum soll der Hauptling der Apachen sich zwingen lassen, nach ihrem Plane zu handeln, wenn es ihm leicht ist, sie zu zwingen, sich nach dem seinigen zu richten?«

«Ach, du hast also bereits einen Plan?«

«Ja. Er ist mir wahrend des Rittes in dieser Nacht gekommen und hat sich vervollstandigt, als ich horte, was die Tramps vorher gethan haben. Diese Geschopfe sind keine Krieger, mit denen man ehrenvoll kampfen kann, sondern raudige Hunde, welche man mit Stocken erschlagen mu?. Warum soll ich warten, bis so ein Hund mich bei?t, wenn ich ihn vorher mit einem Hiebe toten oder in einer Falle erwurgen kann!«

«Kennst du eine solche Falle fur die Tramps?«

«Ich kenne eine, und wir werden sie bauen. Diese Coyoten kommen, um die Kasse zu berauben. Ist die

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