sich mit einer eichkatzchenartigen Geschicklichkeit an das Deck, wo er mit gro?en, ungemein erstaunten Blicken empfangen wurde.

Zweites Kapitel

Die Tramps

«Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind trotz oder vielmehr infolge ihrer freisinnigen Institutionen der Herd ganz eigenartiger sozialer Landplagen, welche in einem europaischen Staate vollstandig unmoglich sein wurden.«

Der Kenner der dortigen Zustande wird zugeben, da? diese Behauptung eines neueren Geographen ihre guten Grunde habe. Man konnte die Plagen, von denen er spricht, in chronische und akute einteilen. In ersterer Beziehung waren vor allen Dingen die handelsuchenden Loafers und Rowdies, und sodann die sogenannten Runners, welche es vorzugsweise auf die Einwanderer abgesehen haben, zu nennen. Das Runner-, Loafer- und Rowdytum ist stabil geworden und wird, wie es allen Anschein hat, noch verschiedene Jahrzehnte uberdauern. Anders ist es bei der zweiten Art der Plagen, welche sich schneller entwickeln und von kurzerer Dauer sind. Dahin gehorten die rechtlosen Zustande des fernen Westens, infolge deren sich formliche Rauber- und Morderbanden bildeten, welche Master Lynch nur durch das energischeste Vorgehen zu vernichten vermochte. Ferner waren hier die Kukluxes zu erwahnen, welche wahrend des Burgerkrieges und auch noch nach demselben ihr Wesen trieben. Zur schlimmsten und gefahrlichsten Landplage aber entwickelten sich die Tramps als Vertreter des rohesten und brutalsten Vagabundentums.

Als zu einer gewissen Zeit ein schwerer Druck auf Handel und Wandel lag, Tausende von Fabriken stillstanden und Zehntausende von Arbeitern beschaftigungslos wurden, begaben sich die Arbeitslosen auf die Wanderung, welche vorzugsweise in westlicher Richtung erfolgte. Die am und jenseits des Mississippi liegenden Staaten wurden von ihnen formlich uberschwemmt. Dort trat bald ein Scheideproze? ein, indem die Ehrlichen unter ihnen Arbeit nahmen, wo sie dieselbe fanden, selbst wenn die Beschaftigung nur eine wenig lohnende und dabei anstrengende war. Sie traten meist auf Farmen an, um bei der Ernte zu helfen, und wurden deshalb gewohnlich Harvesters, Erntearbeiter genannt.

Die arbeitsscheuen Elemente aber vereinigten sich zu Banden, welche von Raub, Mord und Brand ihr Leben fristeten. Die Mitglieder derselben sanken schnell auf die tiefste Stufe sittlicher Verkommenheit herab und wurden von Mannern angefuhrt, welche die Zivilisation meiden mu?ten, weil die Faust des Strafgesetzes sich verlangend nach ihnen ausstreckte.

Diese Tramps erschienen gewohnlich in gro?eren Haufen, zuweilen bis dreihundert Kopfe stark und daruber. Sie uberfielen nicht blo? einzelne Farmen, sondern selbst kleinere Stadte, um sie vollstandig auszurauben. Sie bemachtigten sich sogar der Eisenbahnen, uberwaltigten die Beamten und bedienten sich der Zuge, um schnell in ein andres Gebiet zu gelangen und dort dieselben Verbrechen zu wiederholen. Dieses Unwesen nahm so uberhand, da? in einigen Staaten die Gouverneurs gezwungen waren, die Miliz einzuberufen, um den Strolchen formliche Schlachten zu liefern. Fur solche Tramps hatten der Kapitan und der Steuermann des» Dogfish«, wie bereits erwahnt, den Cornel Brinkley und seine Leute gehalten. Diese Vermutung konnte, selbst wenn sie richtig war, keinen Grund zu direkten Befurchtungen bieten. Die Gesellschaft war nur ungefahr zwanzig Mann stark und also viel zu schwach, um mit den ubrigen Passagieren und der Schiffsbesatzung anzubinden, doch konnten Vorsicht und Aufmerksamkeit keineswegs als uberflussig gelten.

Der Cornel hatte seine Aufmerksamkeit naturlich auch auf die wunderliche Gestalt gerichtet, welche sich dem Schiffe auf so zerbrechlichem Flosse naherte und, nur so wie beilaufig, das machtige Raubtier erlegte. Er hatte gelacht, als Tom den sonderbaren Namen Tante Droll aussprach. Aber jetzt, als der Fremde das Verdeck betrat und er das Gesicht desselben deutlicher erkennen konnte, zogen sich seine Brauen zusammen, und er wies seine Leute an, mit ihm zu kommen. Er fuhrte sie nach der Spitze des Vorderdecks und antwortete, als man ihn nach dem Grunde dieses Ruckzuges fragte:»Dieser Kerl ist gar nicht so lacherlich, wie er erscheinen will; ich sage euch sogar, da? wir uns vor ihm in acht zu nehmen haben.«

«Warum? Kennst du ihn? Ist er eine Frau oder ein Mann?«antwortete einer.

«Naturlich ein Mann.«

«Warum dann diese Maskerade?«

«Es ist keine Maskerade. Dieser Mensch ist in Wirklichkeit ein Original, dabei aber einer der gefahrlichsten Polizeispione, die es geben kann.«

«Pshaw! Tante Droll und Polizeispion! Der Mann soll alles sein, was dir beliebt, ich will es glauben, aber nur Detektive nicht!«

«Und doch ist er es. Ich habe von Tante Droll gehort; sie soll ein halbverruckter Fallensteller sein, der mit allen Indianerstammen seiner Lustigkeit wegen auf bestem Fu?e steht. Nun ich sie aber jetzt gesehen habe, kenne ich sie besser. Dieser dicke Mensch ist ein Detektive, wie er im Buche steht. Ich bin ihm droben in Fort Sully am Missouri begegnet, wo er einen Kameraden mitten aus unsrer Gesellschaft holte und an den Strick lieferte, er allein, und wir waren uber vierzig Mann!«

«Das ist unmoglich. Ihr konntet ihm doch wenigstens vierzig Locher in den Leib stechen!«

«Nein, das konnten wir nicht. Er arbeitet mehr mit Verschlagenheit als mit Gewalt. Seht euch nur einmal seine kleinen, listigen Maulwurfsauglein an! Denen entgeht keine Ameise im dicksten Grase. Er macht sich mit der gro?ten, unwiderstehlichsten Freundlichkeit an sein Opfer und klappt die Falle zu, bevor es moglich ist, an eine Uberrumpelung auch nur zu denken.«

«Kennt er denn dich?«

«Das halte ich fur unmoglich. Er hat mich damals nicht beachten konnen; es ist eine lange Zeit her, und ich habe mich inzwischen sehr verandert. Dennoch bin ich der Meinung, da? es geraten ist, uns still und unbefangen zu verhalten, da? wir seine Aufmerksamkeit nicht erregen. Ich denke, da? wir hier einen guten Streich ausfuhren konnen, und mochte nicht haben, das er uns dabei im Wege steht. Old Firehand ist nebst Old Shatterhand der beruhmteste Jager des Westens. Der schwarze Tom hat sich auch als ein Mann gezeigt, mit dem man rechnen mu?, aber weit gefahrlicher noch als diese beiden ist Tante Droll. Nehmt euch vor ihr in acht, und thut lieber so, als ob ihr sie gar nicht bemerkt.«

So gefahrlich, wie Droll von dem Cornel geschildert wurde, sah er freilich nicht aus, vielmehr mu?ten sich die Anwesenden alle Muhe geben, bei seinem Erscheinen nicht in ein verletzendes Gelachter auszubrechen. Nun, da er auf dem Decke stand, lie? sich erkennen und sagen, welcher Art seine Kleidung war.

Seine Kopfbedeckung war weder Hut noch Mutze noch Haube, und doch konnte man sie mit jedem dieser Worte bezeichnen. Sie bestand aus funf verschieden geformten Lederstucken. Das mittlere, welches auf dem Kopfe sa?, hatte die Gestalt eines umgestulpten Napfes; das vordere beschattete die Stirn, und sollte jedenfalls eine Art von Schirm oder Krempe sein; das vierte und funfte waren breite Klappen, welche die Ohren bedeckten. Der Rock war sehr lang und au?erordentlich weit. Er war aus lauter ledernen Flicken und Flecken zusammengesetzt, einer immer auf und uber den andern genaht. Keiner dieser Flecken trug das gleiche Alter; man sah ihnen vielmehr an, da? sie so nach und nach, zu den verschiedensten Zeiten, vereinigt worden waren. Vorn waren die Rander dieses Rockes mit kurzen Riemen versehen, welche zusammengebunden waren, auf welche Weise die mangelnden Knopfe ersetzt wurden. Da die gro?e Lange und Weite dieses au?erordentlichen Kleidungsstuckes das Gehen erschwerte, hatte der Mann dasselbe hinten vom unteren Saume an bis an den Leib aufgeschnitten und die beiden Halften sich in der Weise um die Beine gebunden, da? sie eine Pumphose bildeten, welche den Bewegungen der Tante Droll ein geradezu lacherliches Aussehen erteilte. Diese improvisierten Hosenbeine reichten bis auf den Knochel herab. Zwei Lederschuhe bildeten die Vervollstandigung nach unten hin. Die Armel dieses Rockes waren auch ungewohnlich weit und dem Manne viel zu lang. Er hatte sie vorn zugenaht und weiter nach hinten zwei Locher angebracht, aus denen er die Hande streckte. In dieser Weise bildeten die Armel nun zwei herabhangende Ledertaschen, in denen allerhand untergebracht werden konnte.

Die Figur des Mannes bekam durch dieses Kleidungsstuck das Aussehen der Unformlichkeit, und die Lachlust geradezu herausfordernd wirkte dazu das volle, rotwangige, ungemein freundliche Gesicht, dessen Auglein nicht eine Sekunde lang stillstehen zu konnen schienen, sondern fortgesetzt in Bewegung waren, damit ihnen ja nichts entgehen moge.

Dergleichen Erscheinungen sind im Westen gar nicht etwa selten. Wer sich jahrelang in der Wildnis aufhalt,

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