Alle sturzten sich in die Umkleidekabinen zu beiden Seiten des Schwimmbeckens. Als Josephine ihren neuen Badeanzug anzog, meinte sie, noch nie so glucklich gewesen zu sein. Es war in jeder Hinsicht ein vollkommener Tag, den sie mit ihren Freundinnen verbrachte. Sie gehorte zu ihnen, hatte teil an der Schonheit, die sie uberall umgab. Daran war nichts Schlechtes. Sie wunschte, sie konnte die Zeit anhalten, damit dieser Tag nie zu Ende ginge.
Josephine trat ins helle Sonnenlicht hinaus. Als sie auf das Schwimmbecken zuging, merkte sie, dass die anderen sie beobachteten, die Madchen mit offenkundigem Neid, die Jungen mit abschatzenden, verstohlenen Blicken. In den letzten Monaten hatte sich Josephines Korper in aufregender Weise entwickelt. Ihre Bruste waren fest und prall geworden und spannten gegen ihren Badeanzug, und ihre sanft geschwungenen Huften verrieten bereits die uppigen Kurven einer Frau. Josephine sprang zu den anderen ins Schwimmbecken. »Spielen wir Marco Polo!« rief jemand.
Josephine liebte dieses Spiel. Sie watete gern mit fest geschlossenen Augen im warmen Wasser herum und rief: »Marco!«, und die anderen mussten antworten: »Polo!« Josephine tauchte nach dem Gerausch ihrer Stimmen, bis sie jemanden zu fassen bekam, und dann war derjenige »dran«.
Sie fingen mit dem Spiel an. Cissy Topping war »dran«. Sie versuchte, den Jungen zu erwischen, den sie mochte, Bob Jackson, konnte ihn aber nicht kriegen, worauf sie sich an Josephine hangte. Josephine schloss fest die Augen und horchte auf das verraterische Gerausch von Spritzern.
»Marco!« rief sie.
Ein Chor antwortete: »Polo!« Josephine sturzte sich auf die nachste Stimme. Sie tastete im Wasser herum. Niemand.
»Marco!« rief sie.
Wieder: »Polo!«im Chor. Sie tappte blind umher, doch ohne Erfolg. Fur Josephine spielte es keine Rolle, dass die anderen schneller waren als sie selbst; sie wollte, dass dieses Spiel immer weiterginge, dass es, wie dieser Tag, bis in alle Ewigkeit dauern sollte.
Sie blieb still stehen, bemuhte sich, einen Spritzer, ein Kichern, ein
Flustern zu horen. Sie watete im Schwimmbecken herum, mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Handen, und erreichte die Leiter. Sie kletterte eine Sprosse hinauf, um ohne ihre eigene Wellenbewegung besser horen zu konnen.
»Marco!« rief sie.
Doch es folgte keine Antwort. Sie stand still da.
»Marco!«
Schweigen. Es war, als ware sie ganz allein in einer warmen, nassen, verlassenen Welt. Sie spielten ihr einen Streich. Sie hatten ausgemacht, dass niemand ihr antworten sollte. Josephine lachelte und offnete die Augen.
Sie stand allein auf der Leiter zum Schwimmbecken. Irgendetwas zwang sie, an sich hinunterzusehen. Der untere Teil ihres wei?en Badeanzuges hatte rote Flecken, und ein dunnes Rinnsal von Blut rann zwischen ihren Schenkeln hinab. Die Kinder standen alle am Rand des Schwimmbeckens und starrten sie an. Josephine blickte verzweifelt zu ihnen auf. »Ich -« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Schnell tauchte sie wieder ins Wasser zuruck, um ihre Schande zu verbergen. »Wir tun so etwas nicht im Swimming-pool«, sagte Mary Lou.
»Polaken tun's«, sagte eine andere Stimme kichernd.
»He, gehen wir duschen.«
»Klar. Ich komme mir klebrig vor.«
»Wer will schon in so was schwimmen?«
Josephine schloss wieder die Augen und horte, dass sie zu den Kabinen gingen und sie allein lie?en. Sie blieb zuruck, hielt die Augen fest geschlossen und presste die Beine zusammen, um das ansto?ige Rinnsal aufzuhalten. Sie hatte noch nie ihre Periode gehabt. Es kam vollkommen unerwartet. Im nachsten Augenblick wurden alle zuruckkommen und ihr sagen, dass sie sie nur gehanselt hatten, dass sie nach wie vor ihre Freunde waren, dass das Gluck nie aufhoren wurde. Sie wurden wiederkommen und erklaren, es sei nur ein Spiel gewesen. Vielleicht waren sie schon wieder zuruck, bereit weiterzuspielen. Mit fest geschlossenen Augen flusterte sie: »Marco«, und das Echo erstarb in der Nachmittagsluft. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie mit geschlossenen Augen im Wasser stand.
Wir tun so etwas nicht im Swimming-pool.
Polaken tun's.
Sie bekam heftige Kopfschmerzen. Ihr wurde ubel, und ihr Magen krampfte sich plotzlich zusammen. Aber Josephine wusste, dass sie dort mit fest geschlossenen Augen stehen bleiben musste. Bis sie alle wiederkamen und ihr sagten, es sei nur Spa? gewesen.
Sie horte Schritte und ein Gerausch uber sich, und jetzt wusste sie, dass alles in Ordnung war. Sie waren zuruckgekommen. Sie schlug die Augen auf und blickte nach oben.
David, Mary Lous alterer Bruder, stand neben dem Bassin, einen Bademantel in den Handen.
»Ich entschuldige mich fur alle«, sagte er mit beherrschter Stimme. Er hielt ihr den Bademantel hin. »Hier, komm heraus und zieh das an.«
Aber Josephine schloss die Augen und blieb wie erstarrt stehen. Sie wollte so schnell wie moglich sterben.
15.
Es war einer von Sam Winters' guten Tagen. Der Andrang zu dem Tessie-Brand-Film war gewaltig. Zum Teil lag das naturlich daran, dass Tessie sich selbst ubertroffen hatte, um ihre Forderung zu rechtfertigen. Aber was immer der Grund sein mochte, Barbara Carter war zur brillantesten Nachwuchs-Regisseurin des Jahres aufgestiegen. Fur Kostumbildnerinnen wurde es ein phantastisches Jahr werden.
Die von Pan-Pacific produzierten Fernsehsendungen waren gut angekommen, und My Man Friday war der durchschlagendste Erfolg. Die Fernsehgesellschaft verhandelte mit Sam uber einen neuen Funfjahresvertrag fur die Serie.
Sam wollte gerade zum Essen gehen, als Lucille hereinsturzte: »Eben ist jemand erwischt worden, der Feuer in der Requisiten-Abteilung gelegt hat. Sie bringen ihn her.«
Der Mann sa? Sam schweigend in einem Sessel gegenuber. Zwei Atelier-Wachter standen hinter ihm. Seine Augen funkelten vor Bosheit. Sam hatte den Schock noch nicht uberwunden. »Warum?« fragte er. »Um Himmels willen – warum?«
»Weil ich Ihre gottverfluchte Wohltatigkeit nicht mehr ertragen konnte«, sagte Dallas Burke. »Ich hasse Sie und dieses Studio und das ganze beschissene Geschaft. Ich habe dieses Geschaft aufgebaut, Sie Mistkerl. Ich habe die Halfte der Ateliers in dieser dreckigen Stadt bezahlt. Alle sind durch mich reich geworden. Warum haben Sie mir keinen Regieauftrag gegeben, statt mich abzuspeisen, indem Sie mir angeblich einen Haufen gottverdammt gestohlener Marchen abkauften? Sie hatten mir das Telefonbuch abgekauft, Sam. Ich wollte keine Gefalligkeiten von Ihnen – ich wollte einen Job. Sie sind schuld, dass ich einmal als Versager sterbe, Sie Schei?kerl, und das kann ich Ihnen nie verzeihen!«
Lange nachdem man Dallas Burke fortgebracht hatte, sa? Sam da und dachte uber ihn nach, erinnerte sich an all das, was Dallas geleistet hatte, an die wunderbaren Filme, die er gemacht hatte. In jeder anderen Branche ware er ein Held gewesen, ware Aufsichtsratsvorsitzender geworden oder hatte sich mit einer hubschen, fetten Pension und mit Ruhm bedeckt zur Ruhe gesetzt. Aber dies war eben die wundervolle Welt des Showgeschafts.
16.
Anfang der funfziger Jahre hatte Toby Temple mehr und mehr Erfolg. Er trat in Night-Clubs auf – dem Chez Paree in Chicago, dem Latin Casino in Philadelphia, dem Copacabana in New York. Er gab