fortfahren.«
»Dr. Kazomides, haben Sie Mrs. Douglas dann tatsachlich ein weiteres Beruhigungsmittel gegeben?«
»Ja.«
»Wahrend sie in ihrem Bett im Bungalow lag?«
»Ja.«
»Wie haben Sie es ihr verabreicht?«
»Als Spritze. In die Hufte.«
»Und schlief sie, als Sie sie verlie?en?«
»Ja.«
»Bestand die Moglichkeit, dass Mrs. Douglas innerhalb der nachsten Stunden erwachen, aufstehen, sich ohne Hilfe anziehen und ohne jede Unterstutzung allein das Haus verlassen konnte?«
»In ihrem Zustand? Nein. Das ist hochst unwahrscheinlich. Sie stand unter sehr stark wirkenden Medikamenten.«
»Das ist alles. Ich danke Ihnen, Doktor.«
Die Geschworenen starrten Noelle Page und Larry Douglas an, und ihre Gesichter waren kalt und feindselig geworden. Wenn ein Fremder unvermittelt in den Gerichtssaal gekommen ware, hatte er auf der Stelle gewusst, welche Richtung der Prozess eingeschlagen hatte.
Bill Frasers Augen leuchteten vor Befriedigung. Nach der Aussage von Dr. Kazomides konnte nicht der leiseste Zweifel mehr daran bestehen, dass Catherine von Larry Douglas und Noelle Page ermordet worden war. Nichts, was Napoleon Chotas noch unternehmen konnte, wurde vor den Augen der Geschworenen das Bild einer angsterfullten Frau ausloschen, die, von Medikamenten benommen und hilflos, darum flehte, nicht den Handen ihres Morders uberlassen zu werden.
Frederick Stavros war au?er sich. Er hatte Napoleon Chotas gern den Vortritt uberlassen, war ihm in blindem Glauben gefolgt, voller Zuversicht, dass es Chotas gelingen werde, fur seine Klientin und damit auch fur Stavros' Klienten einen Freispruch durchzusetzen. Jetzt kam er sich verraten vor. Alles fiel auseinander. Die Aussage des Arztes hatte nicht wieder gut zu machenden Schaden angerichtet, sowohl durch ihren sachlichen Inhalt als auch durch ihre emotionellen Auswirkungen. Stavros blickte sich im Saal um. Von dem einen mysterioserweise freigehaltenen Platz abgesehen, war er voll. Die Weltpresse war anwesend und wartete darauf, zu berichten, was als nachstes kam.
Stavros hatte einen Augenblick das Wunschbild, er springe auf, nehme sich den Doktor vor und zerfetze dessen Aussage mit brillanten Argumenten. Sein Klient wurde freigesprochen werden, und er, Stavros, ware der Held des Tages. Er wusste, dass er hier seine letzte Chance hatte. Der Ausgang dieses Prozesses wurde daruber entscheiden, ob ihm Ruhm oder Vergessenheit bevorstand. Stavros spurte tatsachlich, dass sich seine Beinmuskeln spannten, ihn drangten aufzustehen. Aber er konnte sich nicht bewegen. Er sa? da, gelahmt von dem uberwaltigenden Gespenst des Versagens. Er drehte sich zu Chotas um. Die tief liegenden Augen in dem Bluthundgesicht studierten den Doktor im Zeugenstand, als versuchte er, zu einem Entschluss zu kommen.
Langsam erhob sich Napoleon Chotas von seinem Platz. Doch statt zu dem Zeugen hinuberzugehen, trat er vor den Richtertisch und wandte sich mit leiser Stimme an die Richter.
»Herr Prasident, Euer Ehren, ich beabsichtige nicht, diesen Zeugen ins Kreuzverhor zu nehmen. Mit der Erlaubnis des Gerichts mochte ich um eine Unterbrechung der Sitzung bitten, um unter Ausschluss der Offentlichkeit mit dem Hohen Gericht und dem Anklagevertreter zu beraten.«
Der Gerichtsprasident wandte sich an den Anklager. »Herr Demonides?«
»Kein Einwand«, sagte Demonides. Seine Stimme klang argwohnisch.
Die Sitzung wurde unterbrochen. Nicht einer der Zuschauer ruhrte sich von seinem Platz.
Drei?ig Minuten spater kehrte Napoleon Chotas allein in den Gerichtssaal zuruck. In dem Augenblick, als er durch die Tur des Beratungszimmers trat, spurte jeder im Saal, dass sich etwas Wichtiges ereignet hatte. Das Gesicht des Anwalts zeigte eine geheimnisvolle Zufriedenheit, sein Gang war schneller und elastischer, als ob eine Scharade zu Ende ware und es nicht mehr notig sei, das Spiel mitzumachen. Chotas kam zur Anklagebank heruber und sah auf Noelle hinab. Sie blickte auf, ihre tiefblauen Augen waren forschend und angstvoll. Und ein plotzliches Lacheln erschien auf den Lippen des Anwalts, und an dem Licht in seinen Augen erkannte Noelle, dass er es irgendwie geschafft hatte, dass es ihm trotz aller belastenden Beweise, trotz aller Widrigkeiten gelungen war, das Wunder zu bewirken. Das Recht hatte triumphiert, aber es war das Recht von Constantin Demiris. Auch Larry Douglas blickte starr auf Chotas, von Angst und Hoffnung erfullt. Doch was Chotas auch vollbracht hatte, es war fur Noelle. Aber was wurde mit ihm?
Chotas wandte sich mit bedacht unbeteiligter Stimme an Noelle. »Der Gerichtsprasident hat mir erlaubt, mit Ihnen in seinem Zimmer zu sprechen.« Dann wandte er sich an Frederick Stavros, der in qualender Unsicherheit dasa?, weil er nicht wusste, was vorging. »Sie und Ihr Klient haben die Erlaubnis, sich uns anzuschlie?en, wenn Sie es wunschen.«
Stavros nickte. »Selbstverstandlich.« Er erhob sich rasch und warf dabei in seinem Ubereifer beinahe seinen Sessel um.
Zwei Aufseher begleiteten sie in das leere Zimmer des Gerichtsprasidenten. Nachdem die Aufseher sie verlassen hatten und sie allein waren, wandte Chotas sich an Frederick Stavros. »Was ich zu sagen habe«, begann er ruhig, »liegt im Interesse meiner Klientin. Weil die beiden jedoch gemeinsam angeklagt sind, konnte ich durchsetzen, dass Ihrem Klienten die gleichen Zugestandnisse gemacht werden wie der meinen.«
»Sprechen Sie doch!« drangte Noelle ungeduldig.
Chotas wandte sich ihr zu. Er sprach langsam und wahlte seine Worte sehr sorgfaltig. »Ich habe gerade mit den Richtern beraten«, sagte er. »Sie sind sehr beeindruckt von dem Belastungsmaterial, das die Anklage gegen Sie vorgebracht hat. Jedoch« – er lie? eine kleine Pause eintreten -, »ich konnte sie – hm – davon uberzeugen, dass dem Interesse der Gerechtigkeit nicht gedient wird, wenn man Sie verurteilt.«
»Was wird geschehen?« fragte Stavros in fieberhafter Ungeduld.
Der Ton tiefer Befriedigung schwang in Chotas Stimme mit, als er fort fuhr: »Wenn die Angeklagten bereit sind, ihre Erklarung zu andern und sich schuldig zu bekennen, haben die Richter eingewilligt, jeden von Ihnen zu funf Jahren zu verurteilen.« Er lachelte und fugte hinzu: »Vier Jahre werden Ihnen davon erlassen werden. In Wirklichkeit brauchen Sie nicht mehr als sechs Monate zu verbu?en.« Er wandte sich an Larry. »Weil Sie Amerikaner sind, werden Sie ausgewiesen. Es wird Ihnen nicht erlaubt, jemals nach Griechenland zuruckzukehren.«
Larry nickte. Er spurte die Erleichterung, die ihn uberflutete, geradezu korperlich.
Chotas wandte sich wieder Noelle zu. »Das war keineswegs leicht zu erreichen. Ich muss Ihnen in aller Offenheit sagen, dass der primare Grund fur die Nachsicht des Gerichts das Interesse Ihres – hm – Beschutzers ist. Die Richter sind der Ansicht, dass er durch die ganze Publizitat bereits unbillig zu leiden hatte, und sind sehr darauf bedacht, dass das ein Ende findet.«
»Ich verstehe«, sagte Noelle.
Napoleon Chotas zogerte verlegen. »Es wird jedoch noch eine weitere Bedingung gestellt.«
Noelle sah ihn an. »Ja?«
»Ihr Pass wird eingezogen. Es wird Ihnen nie mehr erlaubt, Griechenland zu verlassen. Sie werden unter dem Schutz Ihres Freundes hier bleiben.«
Constantin Demiris hatte sein Wort gehalten. Noelle glaubte keinen Augenblick, dass die Richter nachsichtig waren, weil sie sich uber die unerfreuliche Publizitat, der Demiris ausgesetzt war, Gedanken machten. Nein, er hatte fur ihre Freiheit einen Preis zahlen mussen, und Noelle wusste, dass er betrachtlich gewesen sein musste. Doch als Gegenleistung bekam Demiris sie zuruck und hatte Vorsorge getroffen, dass sie ihn nie mehr verlassen oder Larry wieder sehen konnte. Sie drehte sich zu Larry um und las die Erleichterung von seinem Gesicht ab. Er wurde freigelassen werden, das war alles, was fur, ihn zahlte. Da war kein Bedauern daruber, dass er sie verlor, oder uber das, was geschehen war. Aber Noelle verstand, weil sie Larry verstand, denn er war ihr anderes Ich, ihr Doppelganger, und sie waren beide von der gleichen Lebensgier besessen, dem gleichen unstillbaren Hunger. Sie waren verwandte Seelen uber den Tod hinaus, uber die Gesetze hinaus, die sie nicht gemacht und nach denen sie nie gelebt hatten. Auf ihre Weise wurde Noelle Larry sehr vermissen, und wenn er ging, wurde ein Teil ihrer selbst mit ihm gehen. Doch sie wusste jetzt, wie kostbar ihr Leben fur sie war und welch wahnsinnige Angst sie erfullte, es zu verlieren. Wenn sie alles gegeneinander abwog, war es ein gutes Geschaft, und sie nahm es dankbar an. Sie wandte sich an Chotas und sagte: »Ich bin einverstanden.«