Chotas blickte sie an, und in seinen Augen lag sowohl Trauer wie Befriedigung. Auch das verstand Noelle. Er liebte sie und hatte sein ganzes Konnen einsetzen mussen, um sie fur einen anderen Mann zu retten. Noelle hatte Chotas bewusst ermutigt, sich in sie zu verlieben, weil sie ihn brauchte, ihn brauchte, um sicher zu sein, dass er vor nichts zuruckschrecken wurde, um sie zu retten. Und alles hatte sich bewahrt.
»Ich finde es absolut wunderbar«, stammelte Frederick Stavros. Stavros hielt es wirklich fur ein Wunder. Es war fast so gut wie ein Freispruch, und wenn es auch zutraf, dass Napoleon Chotas den gro?ten Teil des Gewinns fur sich einstreichen wurde, so musste der Abfall am Rande immer noch ungeheuer sein. Von diesem Augenblick an konnte Stavros sich seine Klienten aussuchen, und jedes Mal, wenn er die Geschichte dieses Prozesses erzahlte, wurde seine Rolle gro?er und gro?er werden.
»Hort sich wie ein gutes Geschaft an«, sagte Larry. »Der einzige schwache Punkt ist, dass wir nicht schuldig sind. Wir haben Catherine nicht getotet.«
Frederick Stavros drehte sich wutend zu ihm um. »Wen interessiert das schon, ob Sie schuldig sind oder nicht?« schrie er. »Wir schenken Ihnen das Leben.« Er warf Chotas einen raschen Blick zu, um zu sehen, wie er auf das »wir« reagierte, aber der Anwalt horte nur zu. Seine Haltung war die einer unbeteiligten Neutralitat.
»Ich mochte eines klarmachen«, sagte Chotas zu Stavros, »ich berate nur meine Klientin. Ihrem Klienten steht es frei, seine eigene Entscheidung zu treffen.«
»Was wurde aus uns ohne diese Vereinbarung werden?« fragte Larry.
»Die Geschworenen hatten«, begann Frederick Stavros.
»Ich will es von ihm horen«, unterbrach Larry schroff. Er wandte sich Chotas zu.
»In einem Prozess«, erwiderte Chotas, »ist der wichtigste Faktor nicht die Schuld oder Unschuld, sondern der Eindruck von der Unschuld oder Schuld. Es gibt keine absolute Wahrheit, sondern nur eine Interpretation der Wahrheit. In diesem Fall spielt es keine Rolle, ob Sie an dem Mord nicht schuldig sind, die Geschworenen haben den Eindruck, dass Sie schuldig sind. Deswegen waren Sie verurteilt worden, und deswegen wurden Sie letzten Endes genauso tot sein.«
Larry sah ihn lange an, dann nickte er. »Also gut«, sagte er. »Bringen wir es hinter uns.«
Funfzehn Minuten spater standen die beiden Angeklagten vor dem Richtertisch. Der Gerichtsprasident sa? in der Mitte, flankiert von seinen beiden Beisitzern. Napoleon Chotas stand neben Noelle Page, und Frederick Stavros stand an der Seite von Larry Douglas. Der Gerichtssaal war von einer elektrischen Spannung geladen, denn es hatte sich im Saal herumgesprochen, dass eine dramatische Wendung bevorstehe. Doch als sie kam, wurde jeder davon vollig unvorbereitet uberrascht. In formlichem, pedantischem Ton, als hatte er gerade ein geheimes Abkommen mit den drei Juristen hinter dem Richtertisch abgeschlossen, sagte Napoleon Chotas: »Herr Prasident, Euer Ehren, meine Klientin wunscht, ihr Bekenntnis von nicht schuldig in schuldig abzuandern.«
Der Gerichtsprasident lehnte sich in seinem Sessel zuruck und sah Chotas uberrascht an, als ob er diese Nachricht zum ersten Mal horte.
Er spielt es bis zur letzten Konsequenz durch, dachte Noelle. Er will sich sein Geld verdienen oder was Demiris ihm sonst dafur bezahlt.
Der Prasident beugte sich vor und beriet sich hastig flusternd mit den beiden anderen Richtern. Sie nickten, und der Prasident blickte auf Noelle herab und fragte: »Wunschen Sie, Ihr Bekenntnis in schuldig abzuandern?«
Noelle nickte und antwortete mit fester Stimme: »Ja.«
Frederick Stavros ergriff schnell das Wort, als ob er befurchtete, bei der Prozedur ubergangen zu werden. »Hohes Gericht, mein Klient wunscht ebenfalls, sein Bekenntnis von nicht schuldig in schuldig abzuandern.«
Der Prasident wandte sich Larry zu und betrachtete ihn. »Wunschen Sie, Ihr Bekenntnis in schuldig abzuandern?«
Larry sah Chotas an und nickte dann. »Ja.«
Der Prasident musterte die beiden Angeklagten mit ernstem Gesicht. »Haben Ihre Anwalte Sie daruber unterrichtet, dass nach griechischem Recht die Strafe fur ein Verbrechen des vorsatzlichen Mordes die Hinrichtung ist?«
»Ja, Euer Ehren.« Noelles Stimme klang fest und klar.
Der Prasident sah Larry an.
»Ja«, sagte Larry.
Wieder folgte eine geflusterte Beratung unter den Richtern.
Der Gerichtsprasident wandte sich Demonides zu. »Erhebt die Anklagevertretung Einwande gegen die Anderung der Bekenntnisse?« Demonides sah Chotas lange an. »Keine.«
Noelle fragte sich, ob er an dem Geschaft auch beteiligt war oder ob er nur einfach als Bauer in diesem Spiel benutzt wurde.
»Sehr gut«, sagte der Gerichtsprasident. »Das Gericht hat keine andere Wahl, als diese Anderung der Bekenntnisse zu akzeptieren.« Er wandte sich an die Geschworenen. »Meine Herren, in Anbetracht dieser neuen Entwicklung sind Sie hiermit von Ihren Pflichten als Geschworene entbunden. Der Prozess ist damit zu seinem Abschluss gekommen. Das Gericht wird sein Urteil fallen. Ich danke Ihnen fur Ihre Dienste und Ihre Mitarbeit. Die Sitzung wird fur zwei Stunden unterbrochen.«
Im nachsten Augenblick sturmten die Reporter aus dem Saal, rasten zu ihren Telefonen und Fernschreibern, um uber die jungste sensationelle Entwicklung im Mordprozess gegen Noelle Page und Larry Douglas zu berichten.
Zwei Stunden spater war der Gerichtssaal zum Bersten gefullt, als das Gericht die Verhandlung wieder aufnahm. Noelle blickte auf die Gesichter der Zuschauer im Saal. Sie beobachteten sie mit ungezugelter Neugier, und Noelle konnte sich nur mit Muhe beherrschen, uber die Naivitat dieser Menschen laut herauszulachen. Das war das gemeine Volk, die Masse, und sie glaubten wirklich, dass das Recht fair gehandhabt wurde, dass in einer Demokratie alle Menschen gleich waren, dass ein armer Mann die gleichen Rechte und Privilegien hatte wie ein reicher.
»Die Angeklagten mogen aufstehen und vor den Richtertisch treten.«
Anmutig erhob Noelle sich von ihrem Platz und ging nach vorn, Chotas an ihrer Seite. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass Larry und Stavros gleichfalls vortraten.
Der Gerichtsprasident ergriff das Wort. »Dies war ein langer und schwieriger Prozess«, begann er. »Wenn im Fall von Kapitalverbrechen angemessene Zweifel an der Schuld bestehen, ist das Gericht immer bereit, zugunsten des Angeklagten zu entscheiden. Ich muss zugeben, dass wir in diesem Fall der Ansicht waren, dass solche Zweifel vorlagen. Die Tatsache, dass die Anklage nicht in der Lage war, ein Corpus delicti vorzuweisen, war ein starker Punkt zugunsten der Angeklagten,« Er wandte sich an Napoleon Chotas. »Ich bin uberzeugt, dass Ihnen als erfahrenem Strafverteidiger wohlbekannt ist, dass griechische Gerichte in Fallen, bei denen ein Mord nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, nie ein Todesurteil gefallt haben.«
Ein leichtes Gefuhl des Unbehagens streifte Noelle, noch nichts Alarmierendes, nur ein Hauch, eine fluchtige Andeutung. Der Prasident fuhr fort.
»Meine Kollegen und ich waren aus diesem Grund offen gestanden uberrascht, als die Angeklagten sich mitten im Prozess entschlossen, ihr Bekenntnis in schuldig zu andern.«
Das Unbehagen sa? jetzt in Noelles Magengrube, wuchs, stieg nach oben, begann ihr die Kehle zuzuschnuren, so dass ihr das Atmen schwer fiel. Larry starrte den Richter an, er begriff noch nicht vollig, was vorging.
»Wir wissen die qualende Gewissensergrundung zu wurdigen, der sich die Angeklagten unterworfen haben mussen, ehe sie sich entschlie?en konnten, vor diesem Gericht und vor der Welt ihre Schuld zu bekennen. Jedoch kann diese Erleichterung ihres Gewissens nicht als Suhne fur das schreckliche Verbrechen akzeptiert werden, zu dem sie sich bekannt haben, die kaltblutige Ermordung einer hilflosen und wehrlosen Frau.«
In diesem Augenblick wusste Noelle mit einer plotzlichen, alles zerschmetternden Gewissheit, dass sie getauscht worden war. Demiris hatte ein Rankespiel getrieben, um sie in falscher Sicherheit zu wiegen und ihr dies antun zu konnen. Das war sein Spiel, das war die Falle, die er ihr gestellt hatte. Er hatte genau gewusst, wie sehr sie sich vor dem Sterben furchtete, darum hatte er ihr die Hoffnung auf Leben vorgegaukelt, und sie war darauf hereingefallen, hatte ihm geglaubt, und er hatte sie uberlistet. Demiris hatte seine Rache jetzt gewollt, nicht spater. Ihr Leben hatte gerettet werden konnen. Selbstverstandlich hatte Chotas gewusst, dass sie nicht zum Tode verurteilt werden konnte, solange keine Leiche vorzuweisen war. Er hatte kein Abkommen mit den Richtern getroffen. Chotas hatte seine ganze Verteidigung darauf ausgerichtet, Noelle in den Tod zu locken. Sie wandte sich