Furchtbares geschehen war, und gegen die Erinnerung daran ankampfend. Als das Furchtbare immer naher an die Oberflache ihres Bewusstseins drang und sie sich mit allen Kraften dagegen wehrte, wurde es ihr plotzlich ganz klar. Larry Douglas. Noelle weinte, wurde von Schluchzern geschuttelt, bis sie schlie?lich in einen Halbschlaf sank. Sie fuhlte, wie eine Hand sanft die ihre hielt, und wusste, dass Larry zu ihr zuruckgekommen war und dass alles gut war. Noelle schlug die Augen auf und starrte einen Fremden in einem wei?en Kittel an, der ihr den Puls fuhlte. »Nun! Willkommen!« verkundete er frohlich.

»Wo bin ich?« fragte Noelle.

»Im stadtischen Zentralkrankenhaus.«

»Was tu ich hier?«

»Gesund werden. Sie hatten doppelseitige Lungenentzundung. Ich hei?e Israel Katz.« Er war jung, hatte ein markantes, intelligentes Gesicht und tief liegende braune Augen.

»Sind Sie mein Arzt?«

»Assistenzarzt«, sagte er. »Ich habe Sie eingeliefert.« Er lachelte sie an. »Ich bin froh, dass Sie durchgekommen sind. Wir waren nicht sicher.«

»Wie lange bin ich schon hier?«

»Vier Tage.«

»Wurden Sie mir einen Gefallen tun?« fragte sie schwach.

»Gern, wenn ich kann.«

»Rufen Sie das Hotel Lafayette an. Fragen Sie« – sie zogerte – »fragen Sie, ob eine Mitteilung fur mich hinterlassen wurde.«

»Nun, ich habe schrecklich viel zu tun«

Noelle druckte heftig seine Hand. »Bitte. Es ist wichtig. Mein Verlobter versucht, sich mit mir in Verbindung zu setzen.«

Er grinste. »Kann ich ihm nachfuhlen. Gut. Ich werde mich darum kummern«, versprach er. »Und jetzt schlafen Sie ein bisschen.«

»Nicht, bis ich von Ihnen hore«, sagte sie.

Er ging hinaus, und Noelle lag wartend da. Naturlich hatte Larry versucht, sie zu erreichen. Es war einfach ein furchtbares Missverstandnis gewesen. Er wurde ihr alles erklaren, und alles wurde wieder gut sein.

Erst nach zwei Stunden kam Israel Katz zuruck. Er trat an ihr Bett und stellte ein Kofferchen auf den Boden. »Ich habe Ihre Kleider mitgebracht. Ich bin selbst ins Hotel gegangen«, sagte er.

Sie blickte zu ihm auf, und er sah, wie ihr Gesicht sich spannte.

»Es tut mir leid«, sagte er verlegen. »Keine Mitteilung.«

Noelle starrte ihn lange an, drehte ihr Gesicht dann zur Wand, trockenen Auges.

Zwei Tage spater wurde Noelle aus dem Krankenhaus entlassen. Israel Katz kam, um sich von ihr zu verabschieden. »Haben Sie eine Adresse, wo Sie hingehen konnen?« fragte er. »Oder eine Stelle?«

Sie schuttelte den Kopf.

»Was haben Sie fur einen Beruf?«

»Ich bin Mannequin.«

»Da konnte ich Ihnen vielleicht helfen.«

Sie erinnerte sich an den Taxifahrer und Madame Delys. »Ich brauche keine Hilfe«, sagte sie.

Israel Katz schrieb einen Namen auf ein Stuck Papier. »Wenn Sie sich's anders uberlegen sollten, gehen Sie dahin. Es ist ein kleines Modehaus, gehort einer Tante von mir. Ich werde ihr Bescheid sagen. Haben Sie Geld?«

Sie antwortete nicht.

»Da.« Er zog ein paar Francs aus der Tasche und gab sie ihr. »Tut mir leid, dass ich nicht mehr habe. Assistenzarzte verdienen nicht sehr viel.«

»Danke«, sage Noelle.

Sie sa? in einem kleinen Stra?encafe, nippte an einem Kaffee und uberlegte sich, wie sie die Stucke ihres Lebens wieder zusammensetzen konnte. Sie wusste, dass sie uberleben musste, denn jetzt hatte sie einen Grund zu leben. Sie war erfullt von einem tiefen, brennenden Hass, der sie derart verzehrte, dass fur nichts anderes mehr Raum blieb. Sie war ein rachender Phonix, der aus der Asche der Leidenschaft, die Larry Douglas in ihr gemordet hatte, emporstieg. Sie wurde nicht ruhen, bis sie ihn vernichtet hatte. Sie wusste nicht, wie oder wann, aber sie wusste, dass sie es eines Tages zuwege bringen wurde.

Jetzt brauchte sie eine Stelle und ein Dach uberm Kopf. Noelle offnete ihre Handtasche und nahm den Zettel heraus, den der junge Assistenzarzt ihr gegeben hatte. Sie betrachtete ihn einen Augenblick und entschloss sich dann. An jenem Nachmittag suchte sie Israel Katz' Tante auf und bekam eine Anstellung als Vorfuhrdame in einem kleinen zweitklassigen Modehaus in der Rue Boursault.

Israel Katz' Tante stellte sich als grauhaarige Frau mittleren Alters mit einem raubgierigen Gesicht und der Seele eines Engels heraus. Sie bemutterte alle ihre Madchen, und die beteten sie an. Ihr Name war Madame Rose. Sie gab Noelle gleich einen Vorschuss auf ihr Gehalt und besorgte ihr eine

winzige Wohnung in der Nahe des Salons. Das erste, was Noelle beim Auspacken tat, war, ihr Hochzeitskleid aufzuhangen. Sie hangte es an den Wandschrank, so dass es das erste war, was sie beim Aufwachen sah, und das letzte, wenn sie sich abends auszog.

Noelle wusste, dass sie schwanger war, ehe es sichtbare Anzeichen dafur gab, ehe Tests gemacht worden waren, ehe ihre Periode ausblieb. Sie fuhlte das neue Leben, das sich in ihrem Scho? bildete, und nachts im Bett starrte sie zur Decke empor und dachte daruber nach, und ihre Augen gluhten vor wilder animalischer Freude.

An ihrem ersten freien Tag rief Noelle Israel Katz an und verabredete sich mit ihm zum Mittagessen.

»Ich bin schwanger«, sagte sie zu ihm.

»Woher wissen Sie das? Sind Tests gemacht worden?«

»Ich brauche keine Tests.«

Er schuttelte den Kopf. »Noelle, viele Frauen glauben, sie kriegen ein Kind, und kriegen keins. Wie oft ist Ihre Periode ausgeblieben?«

Sie schob die Frage ungeduldig beiseite. »Ich brauche Ihre Hilfe.«

Er starrte sie an. »Um das Kind abzutreiben? Haben Sie es mit dem Vater besprochen?«

»Der ist nicht hier.«

»Sie wissen, dass Abtreibungen verboten sind. Ich konnte in schreckliche Schwierigkeiten geraten.«

Noelle sah ihn einen Augenblick prufend an. »Was ist Ihr Preis?«

Sein Gesicht spannte sich argerlich. »Glauben Sie, alles hat seinen Preis, Noelle?«

»Naturlich«, sagte sie einfach. »Alles kann gekauft und verkauft werden.«

»Einschlie?lich Ihrer Person?«

»Ja, aber ich bin teuer. Wollen Sie mir helfen?«

Es folgte ein langes Zogern. »Gut. Ich mochte zuerst einige Tests machen.«

»Bitte, sehr gut.«

In der nachsten Woche machte Israel Katz fur Noelle einen Termin mit dem Laboratorium des Krankenhauses aus. Als die Testergebnisse zwei Tage spater vorlagen, rief er sie in der Arbeitszeit an. »Sie hatten recht«, sagte er. »Sie sind schwanger.«

»Ich wei?.«

»Ich habe Vorkehrungen getroffen, dass im Krankenhaus eine Ausschabung bei Ihnen gemacht werden kann. Ich habe erklart, Ihr Mann sei bei einem Unfall umgekommen und Sie konnten das Kind nicht austragen. Wir werden die Operation nachsten Sonnabend vornehmen.«

»Nein«, sagte sie.

»Ist Sonnabend ein schlechter Tag fur Sie?«

»Ich bin fur die Abtreibung noch nicht bereit, Israel. Ich wollte nur wissen, ob ich mit Ihrer Hilfe rechnen kann.«

Madame Rose bemerkte die Veranderung an Noelle, nicht nur die physische, sondern etwas viel Tieferreichendes, ein Strahlen, eine innere Glut, von der sie erfullt zu sein schien. Noelle ging mit einem steten leisen Lacheln herum, als ob sie ein wundervolles Geheimnis in sich bewahrte.

»Sie haben einen Liebhaber gefunden«, sagte Madame Rose. »Man kann es in Ihren Augen lesen.«

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