Noelle nickte. »Ja, Madame.«
»Er ist gut fur Sie. Halten Sie ihn fest.«
»Das werde ich«, versprach Noelle. »Solange ich kann.«
Drei Wochen spater rief Israel Katz an. »Ich habe nichts mehr von Ihnen gehort«, sagte er. »Haben Sie es denn vergessen?«
»Nein«, sagte Noelle. »Ich denke die ganze Zeit daran.«
»Wie fuhlen Sie sich?«
»Wunderbar.«
»Ich habe mir den Kalender angesehen. Ich glaube, wir
sollten uns an die Arbeit machen.«
»Ich bin noch nicht bereit«, sagte Noelle.
Es vergingen drei Wochen, ehe Israel Katz wieder anrief.
»Hatten Sie Lust, mit mir zu Abend zu essen?« fragte er.
»Gern.«
Sie verabredeten sich in einem billigen Cafe in der Rue de Chat Qui Peche. Noelle hatte zuerst ein besseres Restaurant vorschlagen wollen, erinnerte sich aber dann, was Israel uber die schlechte Bezahlung von Assistenzarzten gesagt hatte.
Er war schon da, als sie ankam. Wahrend des Essens plauderten sie zwanglos, und erst beim Kaffee ruckte Israel mit der Sprache heraus.
»Wollen Sie die Abtreibung immer noch machen lassen?« fragte er.
Noelle sah ihn uberrascht an. »Naturlich.«
»Dann muss sie gleich gemacht werden. Sie sind jetzt mehr als zwei Monate schwanger.«
Sie schuttelte den Kopf. »Nein, noch nicht, Israel.«
»Ist das Ihre erste Schwangerschaft?«
»Ja.«
»Dann muss ich Ihnen etwas sagen, Noelle. Bis zu drei Monaten ist eine Abtreibung im allgemeinen eine leichte Sache. Der Embryo hat sich noch nicht voll entwickelt, und es ist nur eine einfache Ausschabung notig, doch nach drei Monaten« – er zogerte – »ist es eine andere Operation und wird gefahrlich. Je langer Sie warten, desto gefahrlicher wird es. Ich mochte, dass Sie sich jetzt operieren lassen.«
Noelle beugte sich vor. »Wie sieht das Kind aus?«
»Jetzt?« Er zuckte die Schultern. »Ein Haufen Zellen. Naturlich sind alle Zellkerne schon vorhanden, um ein vollkommenes menschliches Wesen zu bilden.«
»Und nach drei Monaten?«
»Beginnt der Embryo, ein Mensch zu werden.«
»Kann erfuhlen?«
»Er reagiert auf Schlage und laute Gerausche.«
Sie sa? da, und ihre Augen hielten die seinen fest. »Kann er Schmerz empfinden?«
»Ich denke schon. Aber er wird von einer Hulle geschutzt.« Plotzlich fuhlte er sich unbehaglich. »Es ware ziemlich schwer, ihn zu verletzen.«
Noelle schlug die Augen nieder und starrte auf den Tisch, schweigend und gedankenvoll.
Israel betrachtete sie einen Augenblick und sagte dann schuchtern: »Noelle, wenn Sie dieses Kind behalten wollen und furchten sich davor, weil es keinen Vater haben wird ... nun, ich ware bereit, Sie zu heiraten und dem Kind einen Namen zu geben.«
Sie blickte erstaunt auf. »Ich sagte Ihnen doch schon, ich mochte das Kind nicht haben. Ich mochte eine Abtreibung.«
»Dann, zum Donnerwetter, lassen Sie sie machen!« brullte Israel. Er dampfte die Stimme, als er merkte, dass andere Gaste ihn anstarrten. »Wenn Sie noch langer warten, gibt es keinen Doktor in ganz Frankreich, der sie macht. Verstehen Sie denn nicht? Wenn Sie zu lange warten, konnten Sie sterben!«
»Ich verstehe«, sagte Noelle ruhig. »Wenn ich dieses Kind bekommen sollte, auf welche Diat wurden Sie mich setzen?«
Er fuhr sich verwirrt durch die Haare. »Viel Milch und Obst, mageres Fleisch.«
Auf ihrem Nachhauseweg ging Noelle rasch auf den Markt an der Ecke in der Nahe ihrer Wohnung und kaufte zwei Liter Milch und eine Kiste frisches Obst.
Zehn Tage spater ging Noelle in Madame Roses Privatburo und sagte ihr, sie sei in anderen Umstanden, und bat um Urlaub.
»Wie lange?« fragte Madame Rose, Noelles Figur musternd.
»Sechs oder sieben Wochen.«
Madame Rose seufzte. »Sind Sie sicher, dass es das Beste ist, was Sie tun?«
»Ich bin sicher«, erwiderte Noelle.
»Kann ich etwas fur Sie tun?«
»Nichts.«
»Nun gut. Kommen Sie zuruck, sobald Sie konnen. Ich werde die Kassiererin anweisen, Ihnen einen Vorschuss auf Ihr Gehalt auszuzahlen.«
»Danke, Madame.«
Die nachsten Wochen verlie? Noelle ihre Wohnung nie, au?er, um Lebensmittel zu kaufen. Sie war nicht hungrig und a? sehr wenig fur sich selbst, aber sie trank riesige Mengen Milch und stopfte sich mit Obst voll. Sie war nicht allein in ihrer Wohnung. Das Kind war bei ihr, und sie sprach fortwahrend mit ihm. Sie wusste, dass es ein Junge war, genau wie sie gewusst hatte, dass sie schwanger war. Sie hatte ihn Larry getauft.
»Du sollst gro? und stark werden«, sagte sie, als sie ihre Milch trank. »Du sollst gesund ... gesund und stark sein, wenn du stirbst.« Jeden Tag lag sie im Bett und plante ihre Rache an Larry und seinem Sohn. Was sie im Scho? trug, war nicht Teil von ihr. Es gehorte ihm, und sie wurde es toten. Es war das einzige von sich, was er ihr hinterlassen hatte, und sie wurde es vernichten, wie er versucht hatte, sie zu vernichten.
Wie wenig Israel Katz sie begriffen hatte! Sie war nicht an einem formlosen Embryo interessiert, der nichts wusste. Sie wollte, dass Larrys Brut spurte, was ihm geschehen wurde, sie sollte leiden, wie sie gelitten hatte. Das Hochzeitskleid hing jetzt neben ihrem Bett, immer in Sicht, ein Talisman des Bosen, eine Mahnung an seinen Verrat. Zuerst Larrys Sohn, dann Larry.
Das Telefon lautete oft, aber Noelle lag im Bett, in ihre Traume versunken, bis es aufhorte. Sicher war es Israel Katz, der sich mit ihr in Verbindung setzen wollte.
Eines Abends wurde an die Tur getrommelt. Noelle lag im Bett, horte nicht hin, aber als das Trommeln nicht nachlie?, schleppte sie sich schlie?lich zur Tur und offnete.
Israel Katz stand mit sorgenvollem Gesicht da. »Mein Gott, Noelle, ich rufe Sie seit Tagen an.«
Er sah auf ihren geschwollenen Leib. »Ich glaubte schon, Sie hatten es woanders machen lassen.«
Sie schuttelte den Kopf. »Nein. Sie werden es machen.«
Israel starrte sie an. »Haben Sie denn gar nicht verstanden, was ich Ihnen gesagt habe? Es ist zu spat! Niemand wird es machen.«
Er sah die leeren Milchflaschen und das Obst auf dem Tisch, blickte dann wieder zu ihr zuruck. »Sie wollen das Kind also haben«, sagte er. »Warum geben Sie es nicht zu?«
»Sagen Sie mir, Israel, wie sieht es jetzt aus?«
»Wer?«
»Das Kind. Hat es Augen und Ohren? Finger und Zehen? Kann es Schmerz fuhlen?«
»Um Himmels willen, Noelle, horen Sie auf. Sie reden, als ob ... als ob ...«
»Was?«
»Nichts.« Er schuttelte verzweifelt den Kopf. »Ich verstehe Sie nicht.«
Sie lachelte leise. »Nein. Sie verstehen mich nicht.«
Er stand einen Augenblick da und uberlegte.
»Na gut, ich stecke meinen Hals in die Schlinge fur Sie, aber wenn Sie wirklich entschlossen sind abzutreiben, dann kriegen wir's hinter uns. Ich habe einen befreundeten Kollegen, der mir eine Gefalligkeit schuldet. Ich werde ...«
»Nein.«