Athen 1946

Ware Noelle Page nicht gewesen, hatte Larry Douglas keine Sorgen gehabt. Er war da, wo er sein wollte, tat das, was er tun wollte. Ihm gefielen seine Aufgabe, die Menschen, mit denen er zusammenkam, und der Mann, fur den er arbeitete. Sein Privatleben war in gleicher Weise befriedigend. Wenn er nicht flog, verbrachte er einen gro?en Teil seiner Zeit mit Catherine. Da Larrys Arbeitszeit aber so wechselhaft war, wusste Catherine nicht immer, wo er sich gerade aufhielt, und Larry fand zahllose Gelegenheiten, seine eigenen Wege zu gehen. Mit Graf Pappas und Paul Metaxas, seinem Kopiloten, besuchte er Parties, von denen sich zahlreiche zu Orgien auswuchsen. Griechische Frauen sind leidenschaftlich und feurig. Er hatte eine neue Bekanntschaft gemacht, Helena, eine Stewardess, die bei Demiris angestellt war, und als sie fern von Athen einen Zwischenaufenthalt hatten, teilten sie und Larry das Hotelzimmer. Ja, Larry Douglas war der Uberzeugung, dass sein Leben im gro?en ganzen perfekt sei.

Wenn nicht die blonde Hure, Demiris' Geliebte, gewesen ware.

Larry hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt dafur, weshalb Noelle Page ihn verabscheute, aber was es auch war, es gefahrdete seine Existenz. Larry hatte versucht, hoflich, gleichgultig und freundlich zu sein, doch jedes Mal war es Noelle Page gelungen, ihn als Dummkopf hinzustellen. Larry wusste, dass er zu Demiris gehen konnte, aber er machte sich keine Illusionen daruber, was geschehen wurde, wenn es zu einer Wahl zwischen ihm und Noelle kommen sollte. Zweimal hatte er mit Paul Metaxas ausgemacht, er solle Noelles Fluge ubernehmen, doch kurz vor jedem Flug hatte Demiris' Sekretarin ihn angerufen und ihm mitgeteilt, Mr. Demiris wunsche, dass Larry selbst die Maschine steuere.

An einem fruhen Morgen Ende November bekam Larry einen Anruf, dass er Noelle Page am Nachmittag nach Amsterdam fliegen solle. Larry setzte sich mit dem Flughafen in Verbindung und erhielt einen negativen Bericht uber das Wetter in Amsterdam. Nebel beginne aufzukommen, und am Nachmittag rechne man mit einer Sichtweite gleich Null. Larry rief Demiris' Sekretarin an, um ihr mitzuteilen, dass es unmoglich sei, an diesem Tag nach Amsterdam zu fliegen. Die Sekretarin sagte, sie wurde zuruckrufen. Funfzehn Minuten spater war sie am Telefon, um zu sagen, Miss Page wurde um vierzehn Uhr startbereit auf dem Flughafen sein. Larry setzte sich wieder mit dem Flughafen in Verbindung, denn inzwischen konnte eine Wetterbesserung eingetreten sein, aber er erhielt denselben Bescheid.

»Lieber Himmel!« rief Paul Metaxas aus. »Die muss es aber verdammt eilig haben, nach Amsterdam zu kommen.«

Larry hatte jedoch das Gefuhl, dass es gar nicht um Amsterdam ginge. Es war ein Zweikampf des Willens zwischen ihnen beiden. Von ihm aus konnte Noelle Page an einem Berggipfel zerschellen und ab mit Schaden, aber Larry wollte verdammt sein, wenn er dieser dummen Hure wegen seinen Hals riskierte. Er versuchte, Demiris ans Telefon zu bekommen und mit ihm zu sprechen, doch Demiris war in einer Sitzung und nicht zu erreichen. Larry warf den Horer auf die Gabel, kochend vor Wut. Jetzt blieb ihm keine andere Wahl, als zum Flughafen zu fahren und zu versuchen, seinem Passagier den Flug auszureden. Er traf um 13.30 Uhr auf dem Flughafen ein. Um funfzehn Uhr war Noelle Page immer noch nicht erschienen. »Wahrscheinlich hat sie es sich uberlegt«, meinte Metaxas.

Aber Larry wusste es besser. Je mehr Zeit verstrich, um so wutender wurde er, bis ihm klar wurde, dass dies ihre Absicht war. Sie versuchte, ihn zu einer unuberlegten Handlung zu treiben, die ihn seine Stellung kosten wurde. Larry war im

Flughafengebaude und sprach mit dem Manager des Flughafens, als Demiris' wohlbekannter grauer Rolls vorfuhr und Noelle Page ausstieg. Larry ging zu ihr hinaus.

»Ich furchte, aus dem Flug wird nichts, Miss Page«, sagte er und bemuhte sich, seine Stimme ausdruckslos klingen zu lassen. »Der Flughafen von Amsterdam liegt in dichtem Nebel.«

Noelle sah an Larry vorbei, als ob er nicht existierte, und sagte zu Paul Metaxas: »Die Maschine ist doch mit automatischen Landegeraten ausgerustet, oder nicht?«

»Doch, das ist sie«, antwortete Metaxas verlegen.

»Ich bin wirklich uberrascht«, sagte sie darauf, »dass Mr. Demiris einen Piloten engagiert hat, der ein Feigling ist. Ich werde mit ihm daruber sprechen.«

Noelle drehte sich um und ging zum Flugzeug. Metaxas blickte ihr nach und sagte: »Mein Gott! Ich wei? nicht, was in sie gefahren ist.

So hat sie sich noch nie benommen. Es tut mir leid, Larry.« Larry sah Noelle nach, wahrend sie uber das Flugfeld ging. Ihr blondes Haar wehte im Wind. Nie in seinem Leben hatte er einen Menschen so sehr gehasst.

Metaxas beobachtete ihn. »Fliegen wir?« fragte er.

»Wir fliegen.«

Der Kopilot stie? einen tiefen, bedeutungsvollen Seufzer aus, und die beiden Manner gingen langsam zu der Maschine.

Noelle Page sa? in der Kabine und blatterte gelassen in einer Modezeitschrift, als die beiden in das Flugzeug kamen. Larry starrte sie einen Augenblick an. Er war so wutgeladen, dass er sich zu sprechen furchtete. Er ging ins Cockpit und begann mit den Uberprufungen vor dem Start.

Zehn Minuten spater bekam er vom Turm die Freigabe fur den Start, und die Maschine hob ab nach Amsterdam.

Die erste Halfte des Flugs verlief ereignislos. Die Schweiz lag schneebedeckt unter ihnen. Als sie uber Deutschland waren, brach die Dammerung herein. Larry funkte Amsterdam um eine Wettermeldung an. Von dort wurde gemeldet, dass von der Nordsee Nebel hereinwehe und dichter werde. Er verfluchte sein Pech. Wenn der Wind gewechselt und den Nebel vertrieben hatte, ware sein Problem gelost gewesen, doch jetzt musste er sich entschlie?en, ob er in Amsterdam eine Instrumentenlandung wagen oder einen anderen Flughafen anfliegen sollte. Er fuhlte sich versucht, nach hinten zu gehen und mit seinem Passagier daruber zu sprechen, doch er konnte den verachtlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht vor sich sehen.

»Sonderflug eins-null-neun, geben Sie bitte Ihren Flugplan bekannt.« Das war der Tower von Munchen. Larry musste schnell eine Entscheidung treffen. Er konnte immer noch in Brussel, Koln oder Luxemburg landen.

Oder in Amsterdam.

Wieder meldete sich knarrend die Stimme: »Sonderflug eins-null-neun, geben Sie bitte Ihren Flugplan bekannt.«

Larry schaltete auf Sprechen um. »Sonderflug eins-null-neun an Tower Munchen. Wir fliegen nach Amsterdam.« Er kippte den Schalter zuruck und merkte, dass Metaxas ihn beobachtete.

»Mein Gott, ich hatte doch meine Lebensversicherung verdoppeln sollen«, sagte Metaxas. »Glaubst du wirklich, dass wir es schaffen?«

»Wenn du es ganz genau wissen willst«, entgegnete Larry verbittert, »es ist mir schei?egal.«

»Gro?artig. Ich bin in einem Flugzeug mit zwei komplett Verruckten!« stohnte Metaxas.

In der nachsten Stunde wurde Larry vollig vom Steuern des Flugzeugs beansprucht. Kommentarlos horte er die laufenden Wettermeldungen ab. Er hoffte immer noch, dass der Wind seine Richtung andern wurde, aber als er noch drei?ig Minuten von Amsterdam entfernt war, lautete der Wetterbericht immer noch gleich. Dichter Nebel. Der Flughafen war fur jeden Verkehr geschlossen, au?er fur Notfalle. Larry nahm Kontakt

mit dem Kontrollturm in Amsterdam auf. »Sonderflug eins-null-neun an Tower Amsterdam. Nahern uns Flughafen von 75 Meilen ostwarts Koln, ETA neunzehnhundert.«

Beinahe augenblicklich antwortete eine knarrende Stimme uber das Funkgerat. »Tower Amsterdam an Sonderflug eins-null-neun. Unser Flughafen ist geschlossen. Empfehlen Ihnen Ruckkehr nach Koln oder Landung in Brussel.«

Larry sprach in das Handmikrofon: »Sonderflug eins-null-neun an Tower Amsterdam. Negativ. Wir sind in Notlage.«

Metaxas drehte sich uberrascht zu ihm um.

Eine andere Stimme meldete sich im Funkgerat. »Sonderflug eins-null-neun, hier Operationschef Flughafen Amsterdam. Wir sind vollig eingenebelt. Sicht gleich Null, wiederhole: Sicht gleich Null. Worin besteht Ihre Notlage?«

»Unser Treibstoff geht zur Neige«, antwortete Larry. »Wir haben kaum genug, Amsterdam zu

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