weil ich, weil ich selbst ...« Sie suchte nach einem Wort und gab es schlie?lich auf. »Ich brauche keine Hilfe.«
Fraser blickte sie an. »Ich muss jetzt zu einer Besprechung«, sagte er. »Willst du mit mir zu Abend essen?«
»Ja.« Sie nickte.
»Gut, ich hole dich um acht Uhr ab.«
Catherine sah Bill Fraser nach, als er ging. Dann ging sie langsam ins Schlafzimmer, offnete die Tur zum Kleiderschrank und starrte in den Spiegel an der Ruckseite der Tur. Sie stand starr da, war unfahig zu glauben, was sie vor sich sah, uberzeugt, dass der Spiegel ihr einen furchtbaren Streich spielte. Innerlich war sie noch das hubsche kleine, von ihrem Vater angebetete Madchen, noch das junge College-Girl, das mit Ron Peterson in einem Motelzimmer stand und ihn sagen horte: »Mein Gott, Cathy, du bist das verdammt Schonste, das ich je zu Gesicht bekommen habe.« Und Bill Fraser hielt sie in seinen Armen und sagte: »Du bist so schon, Catherine.« Und Larry sagte: »Bleibe so schon, Cathy, du bist uberwaltigend.« Und sie blickte in den Spiegel und krachzte laut: »Wer ist das?«, und die elende, formlose Frau im Spiegel begann zu weinen, hoffnungslose, leere Tranen, die ihr uber das verkommene, aufgequollene Gesicht liefen. Stunden spater klingelte es an der Tur. Sie horte Bill Frasers Stimme rufen: »Catherine, Catherine, bist du da?«, und dann klingelte es wieder, und schlie?lich verstummte die Stimme, und das Klingeln horte auf, und Catherine war allein mit der Fremden im Spiegel.
Um neun Uhr am folgenden Morgen nahm Catherine ein Taxi zur Patission-Stra?e. Der Arzt hie? Nikodes und war ein gro?er stammiger Mann mit einer wei?en zottigen Mahne, einem klugen Gesicht mit freundlichen Augen und gelassenem, zwanglosem Benehmen.
Eine Schwester fuhrte Catherine in sein Sprechzimmer, und Dr. Nikodes deutete auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich, Mrs. Douglas.«
Catherine setzte sich, nervos und angespannt, und versuchte, das Zittern ihres Korpers zu unterdrucken.
»Und was ist Ihr Problem?«
Sie setzte zur Antwort an und brach dann hilflos ab. Mein Gott, dachte sie, wie soll ich anfangen? »Ich brauche Hilfe«, brachte sie schlie?lich heraus. Ihre Stimme klang trocken und krachzend, und sie gierte nach einem Drink.
Der Arzt lehnte sich in seinem Sessel zuruck und betrachtete sie. »Wie alt sind Sie?«
»Achtundzwanzig.« Sie beobachtete sein Gesicht, als sie sprach. Er versuchte, seinen Schock zu verbergen, aber sie durchschaute ihn und war auf eine perverse Weise erfreut.
»Sie sind Amerikanerin?«
»Ja.«
»Sie leben in Athen?«
Sie nickte.
»Wie lange leben Sie schon hier?«
»Tausend Jahre. Wir sind vor dem Peloponnesischen Krieg hierher gezogen.«
Der Doktor lachelte. »Dieses Gefuhl habe ich manchmal auch.« Er bot Catherine eine Zigarette an. Sie griff danach und versuchte, das Zittern ihrer Hande zu verbergen. Falls Dr. Nikodes es bemerkte, sagte er nichts. Er gab ihr Feuer. »Welche Art Hilfe brauchen Sie denn, Mrs. Douglas?«
Catherine sah ihn hilflos an. »Ich wei? nicht«, flusterte sie. »Ich wei? es nicht.«
»Fuhlen Sie sich krank?«
»Ich bin krank. Ich muss sehr krank sein. Ich bin hasslich geworden.« Sie wusste, dass sie nicht weinte, und doch fuhlte sie, wie ihr die Tranen uber die Wangen liefen.
»Trinken Sie, Mrs. Douglas?« fragte der Doktor freundlich.
Catherine starrte ihn voller Panik an, fuhlte sich in die Ecke gedrangt, angegriffen. »Manchmal.«
»Wie viel?«
Sie holte tief Atem. »Nicht viel. Es – es kommt darauf an.«
»Haben Sie heute schon etwas getrunken?« fragte er.
»Nein.«
Er sa? da und betrachtete sie prufend. »Sie sind in Wirklichkeit gar nicht hasslich«, sagte er sanft. »Sie haben Ubergewicht, Ihr Korper ist aufgeschwemmt, und Sie haben Ihre Haut und Ihr Haar nicht gepflegt. Unter dieser Oberflache befindet sich aber eine sehr attraktive junge Frau.«
Sie brach in Tranen aus, und er sa? dabei und lie? sie sich ausweinen. Schwach vernahm Catherine durch ihr Schluchzen, dass der Summer auf dem Schreibtisch des Arztes mehrmals ertonte, aber der Doktor ignorierte ihn. Das krampfhafte Schluchzen lie? schlie?lich nach. Catherine zog ihr Taschentuch heraus und putzte sich die Nase. »Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Konnen Sie mir helfen?«
»Das hangt vollig von Ihnen ab«, erwiderte Dr. Nikodes. »Wir wissen ja nicht genau, worin Ihr Problem besteht.«
»Sehen Sie mich doch an«, hielt Catherine ihm entgegen.
Er schuttelte den Kopf. »Das ist kein Problem, Mrs. Douglas, das ist ein Symptom. Entschuldigen Sie meine Offenheit, aber wenn ich Ihnen helfen soll, mussen wir vollkommen offen miteinander sein. Wenn eine attraktive junge Frau sich so gehen lasst wie Sie, muss es einen sehr triftigen Grund dafur geben. Lebt Ihr Mann noch?«
»An Feiertagen und Wochenenden.«
Er musterte sie. »Leben Sie mit ihm zusammen?«
»Wenn er zu Hause ist.«
»Was ist er von Beruf?«
»Er ist Constantin Demiris' Privatpilot.« Sie bemerkte die Reaktion auf dem Gesicht des Arztes, aber ob er auf den Namen Demiris reagierte oder ob er von Larry etwas wusste, konnte sie nicht sagen. »Haben Sie schon mal von meinem Mann gehort?« fragte sie.
»Nein.« Aber das konnte gelogen sein. »Lieben Sie Ihren Mann, Mrs. Douglas?«
Catherine offnete den Mund, um zu antworten, hielt aber inne. Sie wusste, dass das, was sie sagen wurde, sehr wichtig war, nicht nur fur den Arzt, sondern auch fur sie selbst. Ja, sie liebte ihren Mann, und ja, sie hasste ihn, und ja, manchmal hatte sie eine solche Wut auf ihn, dass sie wusste, sie ware fahig ihn zu toten, und ja, manchmal war sie von Zartlichkeit fur ihn so uberwaltigt, dass sie wusste, sie wurde gern fur ihn sterben, und wie lautete das Wort, das das alles ausdrucken konnte? Vielleicht war es Liebe. »Ja«, sagte sie.
»Liebt er Sie?«
Catherine dachte an die anderen Frauen in Larrys Leben und an seine Untreue, und sie dachte an die schreckliche Fremde im Spiegel in der vergangenen Nacht, und sie konnte Larry keinen Vorwurf machen, dass er sie nicht begehrte. Aber wer wollte sagen, was an erster Stelle stand? Hatte die Frau im Spiegel seine Untreue herbeigefuhrt, oder war die Frau im Spiegel die Folge seiner Untreue? Sie bemerkte, dass ihre Wangen wieder nass von Tranen waren.
Catherine schuttelte ratlos den Kopf. »Ich wei? es nicht.«
»Hatten Sie mal einen Nervenzusammenbruch?«
Sie sah ihn argwohnisch an. »Nein. Meinen Sie, dass ich einen brauche?«
Er lachelte nicht. Er sprach langsam, wahlte seine Worte sorgfaltig. »Die menschliche Psyche ist eine delikate Sache, Mrs. Douglas. Sie kann nur eine bestimmte Menge Schmerz ertragen, und wenn der Schmerz unertraglich wird, fluchtet sie in die verborgenen Bereiche des Bewusstseins, die wir gerade erst zu erforschen beginnen. Ihre Gefuhle sind in einem sehr hohen Ma? belastet.« Er sah sie einen Augenblick lang an. »Ich glaube, es war gut, dass Sie zu mir gekommen sind, um Hilfe zu suchen.«
»Ich wei?, dass ich etwas nervos bin«, sagte Catherine abwehrend. »Deshalb trinke ich. Um mich zu entspannen.«
»Nein«, antwortete er schonungslos. »Sie trinken, um zu entfliehen.« Nikodes stand auf und trat zu ihr. »Ich glaube, wir konnen wahrscheinlich eine ganze Menge fur Sie tun. Mit >wir< meine ich Sie und mich. Es wird nicht einfach sein.«
»Sagen Sie mir, was ich tun soll.«
»Zunachst werde ich Sie in eine Klinik zu einer grundlichen Untersuchung schicken. Meiner Ansicht nach wird man dort nicht feststellen, dass Ihnen grundlegend etwas fehlt. Als nachstes werden Sie das Trinken einstellen. Dann werde ich Ihnen eine Diat verordnen. Soweit alles klar?«