Catherine zogerte, ehe sie nickte.
»Sie werden sich bei einer Gymnastikschule anmelden, wo Sie sich regelma?ig ausarbeiten werden, bis Sie korperlich wieder fit sind. Ich kenne eine ausgezeichnete Physiotherapeu-ten, die Ihnen Massagen geben wird. Sie werden einmal wochentlich in einen Schonheitssalon gehen. Das alles nimmt Zeit in Anspruch, Mrs. Douglas, aber Sie sind nicht uber Nacht in diesen Zustand gekommen, und er kann auch nicht uber Nacht behoben werden.« Er lachelte ihr aufmunternd zu. »Aber ich kann Ihnen versprechen, dass Sie in wenigen Monaten – sogar schon in wenigen Wochen – anfangen werden, wie eine andere Frau auszusehen und sich auch so zu fuhlen. Wenn Sie in den Spiegel blicken, werden Sie stolz sein – und wenn Ihr Mann Sie ansieht, wird er Sie attraktiv finden.«
Catherine starrte ihn an, ihr Herz schlug hoher. Ihr war, als ob eine unertragliche Last tief in ihrem Inneren von ihr genommen, als ob ihr plotzlich eine neue Lebenschance gegeben worden ware.
»Sie mussen sich daruber im klaren sein, dass ich Ihnen dieses Programm nur empfehlen kann«, sagte der Doktor. »Sie selbst mussen es durchfuhren.«
»Das werde ich«, sagte Catherine inbrunstig. »Ich verspreche es.«
»Das Trinken aufzugeben, wird das schwerste sein.«
»O nein«, widersprach Catherine. Und als sie es sagte, wusste sie, dass es die Wahrheit war. Der Arzt hatte recht, sie hatte getrunken, um zu entfliehen. Jetzt hatte sie ein Ziel, wusste sie, wohin sie ging. Sie wurde Larry zuruckgewinnen. »Ich werde keinen Tropfen mehr anruhren«, sagte sie fest.
Der Arzt blickte ihr ins Gesicht und nickte zufrieden. »Ich glaube Ihnen, Mrs. Douglas.«
Catherine stand auf. Es besturzte sie, wie plump und unbeholfen ihr Korper war, doch das wurde jetzt alles anders werden. »Ich werde mir jetzt lieber ein paar eng anliegende Kleider kaufen«, meinte sie mit einem zaghaften Lacheln.
Dr. Nikodes schrieb etwas auf eine Karte. »Dies ist die Adresse der Klinik. Man wird Sie erwarten. Ich sehe Sie nach den Untersuchungen wieder.«
Auf der Stra?e sah Catherine sich nach einem Taxi um, dann dachte sie: Zum Teufel damit! Ich kann mit dem Training gleich anfangen. Sie ging also zu Fu?. Sie kam an einem Schaufenster vorbei und blieb stehen, um ihr Spiegelbild zu betrachten.
Sie war vorschnell gewesen, Larry die Schuld fur den Zerfall ihrer Ehe zu geben, ohne je zu fragen, welchen Anteil an der Schuld sie selbst hatte. Warum sollte er nach Hause kommen wollen zu jemandem, der aussah wie sie? Wie langsam und verstohlen hatte sich diese Fremde eingeschlichen, ohne dass sie es bemerkte? Sie fragte sich, wie viele Ehen auf die gleiche Weise zerbrochen waren, nicht mit einem Knall – und davon hat es in der letzten Zeit nicht viel gegeben, dachte Catherine sarkastisch, sondern mit einem Winseln, wie der gute alte T. S. Eliot sagte. Nun, das lag alles in der Vergangenheit. Von nun an wurde sie nicht mehr zuruckblicken, sondern nur noch vorwarts in eine wundervolle Zukunft sehen.
Catherine hatte den eleganten Distrikt Salonika erreicht. Sie kam an einem Schonheitssalon vorbei, und einem plotzlichen Impuls folgend, kehrte sie um und trat ein. Der Empfangsraum war mit wei?em Marmor ausgekleidet, weitlaufig und elegant. Eine hochnasige Empfangsdame sah Catherine missbilligend an und fragte: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Ich mochte einen Termin fur morgen Vormittag«, sagte Catherine. »Ich wunsche alles, komplett.« Der Name des Starfriseurs kam ihr plotzlich in den Sinn. »Ich wunsche von Aleko bedient zu werden.«
Die Frau schuttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen einen Termin geben, aber Sie werden sich mit jemand anderem begnugen mussen.«
»Horen Sie«, sagte Catherine fest. »Sagen Sie Aleko, dass er mich entweder bedienen wird, oder ich werde uberall in Athen erzahlen, dass ich eine seiner Stammkundinnen bin.«
Die Augen der Frau weiteten sich entsetzt. »Ich – ich werde sehen, was sich tun lasst«, versprach sie hastig. »Kommen Sie morgen fruh um zehn.«
»Danke«, antwortete Catherine. »Ich werde punktlich sein.« Damit ging sie.
Vor sich sah sie eine kleine Taverne mit einem Schild im Fenster: »Madame Piris – Wahrsagerin«. Irgendwie kam es ihr bekannt vor, und plotzlich erinnerte sie sich, dass Graf Pappas ihr eine Geschichte uber Madame Piris erzahlt hatte. Es war etwas von einem Polizeibeamten und einem Lowen gewesen, aber an die Einzelheiten konnte sie sich nicht erinnern. Catherine glaubte nicht ans Wahrsagen, aber der Impuls hineinzugehen war unwiderstehlich. Sie brauchte Zuspruch, jemanden, der sie in ihrer Zuversicht auf eine wundervolle
Zukunft bestarkte, der ihr sagte, dass ihr Leben wieder schon und lebenswert werden wurde. Sie offnete die Tur und ging hinein.
Nach dem hellen Sonnenlicht brauchte Catherine einige Augenblicke, um sich an das dustere Halbdunkel des Raumes zu gewohnen. Sie erkannte eine Bar in der Ecke und ein Dutzend Tische mit Stuhlen. Ein mude wirkender Kellner kam auf sie zu und sprach sie auf griechisch an.
»Nichts zu trinken, danke«, sagte Catherine. Sie genoss es, diese Worte aus dem eigenen Mund zu horen, und wiederholte sie. »Nichts zu trinken. Ich mochte Madame Piris sprechen. Ist sie da?«
Der Kellner deutete auf einen freien Tisch in der Ecke, und Catherine ging hinuber und setzte sich. Wenige Minuten spater spurte sie, dass jemand neben ihr stand, und blickte auf.
Die Frau war unglaublich alt und hager, schwarz gekleidet, mit einem Gesicht, das von der Zeit zu tiefgefurchten Winkeln und Flachen ausgedorrt worden war.
»Sie wollten mich sprechen?« Ihr Englisch war stockend.
»Ja«, sagte Catherine. »Ich mochte eine Sitzung, bitte.«
Die Frau setzte sich und hob eine Hand, und der Kellner kam an den Tisch und brachte eine Tasse dicken schwarzen Kaffee auf einem kleinen Tablett. Er stellte es vor Catherine hin.
»Fur mich nicht«, sagte Catherine. »Ich ...«
»Trinken Sie«, befahl Madame Piris.
Catherine sah sie uberrascht an, dann griff sie nach der Tasse und trank einen Schluck von dem Kaffee. Er war stark und bitter. Sie setzte die Tasse ab.
»Mehr«, sagte die alte Frau.
Catherine wollte protestieren, aber dachte dann: Zum Teufel, was sie hier beim Wahrsagen verlieren, machen sie mit dem Kaffee wieder weit. Sie nahm noch einen Schluck. Es schmeckte scheu?lich. »Noch einmal«, sagte Madame Piris.
Catherine hob die Schultern und trank einen letzten Schluck.
Auf dem Boden der Tasse war ein dicker, schleimiger Satz. Madame Piris nickte, griff nach der Tasse und nahm sie Catherine aus der Hand. Sie starrte lange Zeit in die Tasse hinein, ohne etwas zu sagen. Catherine kam sich albern vor. Was hat eine nette, intelligente Frau wie ich in einem solchen Lokal zu suchen und eine verruckte alte, in eine leere Kaffeetasse starrende Griechin zu beobachten?
»Sie kommen aus weiter Ferne«, sagte die alte Frau plotzlich.
»Genau«, sagte Catherine schnippisch.
Madame Piris sah ihr in die Augen, und in dem Blick der alten Frau lag etwas, was Catherine schaudern lie?.
»Gehen Sie nach Hause.«
Catherine schluckte: »Ich bin zu Hause.«
»Gehen Sie zuruck, wo Sie hergekommen sind.«
»Meinen Sie nach Amerika?«
»Irgendwohin. Gehen Sie von hier fort – schnell!«
»Warum?« fragte sie. Entsetzen uberkam sie. »Was ist denn hier?«
Die alte Frau schuttelte den Kopf. Ihre Stimme war rau, und es fiel ihr schwer, die Worte herauszubringen. »Es ist uberall um Sie herum.«
»Was denn?«
»Gehen Sie fort!« Eine unwiderstehliche Eindringlichkeit lag in der Stimme der alten Frau, wie der hohe, gellende Schrei eines Tieres, das Schmerzen leidet. Catherine spurte, wie sich ihr die Haare straubten.
»Sie machen mir Angst«, stohnte sie. »Bitte sagen Sie mir, was es ist!«
Die alte Frau schuttelte mit wilden Blicken langsam den Kopf. »Gehen Sie, ehe es Sie trifft.«
Catherine spurte, wie die Panik in ihr wuchs. Das Atmen fiel ihr schwer. »Ehe mich was trifft?«
Das Gesicht der alten Frau war von Schmerz und Entsetzen verzerrt. »Der Tod. Er kommt auf Sie zu.« Und damit stand sie auf und verschwand ins Hinterzimmer.