Sehenswurdigkeiten von London.
Gunther fuhrte Tracy als reiche junge Witwe in die Gesellschaft ein, deren Mann in der Import?Export?Branche ein Vermogen gemacht hatte. Sie wurde sofort akzeptiert; sie war schon, intelligent und charmant, undbald konnte sie sich kaum noch retten vor lauter Einladungen.
Hin und wieder unternahm Tracy kurze Reisen nach Frankreich, in die Schweiz, nachBelgien und nach Italien, und jedesmal hatten Gunther Hartog und sie einen nicht unerheblichen Vorteil davon.
Unter Gunthers Anleitung studierte Tracy den Gotha und Debrett's Peerage undBaronetage, die ma?geblichen genealogischen Handbucher, die Auskunft uber die Adelsgeschlechter und — titel Europas gaben. Tracy entwickelte sich zur chamaleonhaften Verwandlungskunstlerin, zur Masken- und Kostumbildnerin, zur Expertin in Akzenten. Sie legte sich ein halbes Dutzend Passe zu. Sie trat alsbritische Herzogin, franzosische Stewarde? und sudamerikanische Erbin auf. Binnen eines Jahres hatte sie mehr Geld verdient, als sie jebrauchen wurde. Sie richtete einen Fonds ein und uberwies hohe anonyme Spenden an Organisationen, die ehemaligen Gefangnisinsassinnen halfen, und sie sorgte dafur, da? Otto Schmidt eine stattliche Pension erhielt. Ans
Aussteigen dachte sie jetzt nicht mehr. Sie liebte die Herausforderung. Es machte ihr Spa?, gewitzte und erfolgreiche Leute auszutricksen. Der Nervenkitzel wirkte wie eine Droge, und Tracy mu?te entdecken, da? sie standig neue, gro?ere Herausforderungenbrauchte. Wobei sie sich allerdings immer an einen unverbruchlichen Grundsatz hielt: Sie achtete darauf, Unschuldigen nicht weh zu tun. Die Leute, denen sie ans Leder ging, waren entweder gierig oder unanstandig — oderbeides. Ich werde niemand zum Selbstmord treiben. Das schwor sie sich.
In den ZeitungenbegannenBerichte uber die verwegenen Eskapaden zu erscheinen, von denen Europa heimgesucht wurde, und weil sich Tracy verschiedener Verkleidungenbediente, glaubte die Polizei, man habe es hier mit einer Frauenbande zu tun, die auf raffinierte Schwindeleien und Einbruchdiebstahle spezialisiert sei. Interpol solltebald eingeschaltet werden.
In der Hauptgeschaftsstelle der International Insurance Protection Association lie? J. J. Reynolds seinenbesten Mann zu sich rufen: Daniel Cooper.
«Wir haben Probleme«, sagte Reynolds.»Bei unseren europaischen Klienten haben sich in letzter Zeit die Schadensfalle gehauft — offenbar steckt eine Frauenbande dahinter. Jedenfalls schreien sie Zeter und Mordio. Sie wollen, da? dieseBande endlich dingfest gemacht wird. Interpol hat sichbereit erklart, mit uns zusammenzuarbeiten. Der Auftrag geht an Sie, Dan. Sie fliegen morgen nach Paris.«
Tracy a? mit Guntherbei Scott's in der Mount Street.»Ist Ihnen Maximilian Pierpont einBegriff, Tracy?«Der Name kam ihrbekannt vor. Wo hatte sie ihn schon einmal gehort? Dann fiel es ihr wieder ein. Jeff Stevens hatte auf der Queen Elizabeth II von diesem Mann gesprochen.
«Er ist sehr reich, nicht?«
«Und au?erst skrupellos. Er kauft sich mit wahrer Wonne in Firmen ein, um sie auszuplundern.«
Als Joe Romano die Firma ubernommen hat, hat er allen gekundigt und seine Leute in denBetriebgesetzt. Dann hat er die Firma systematisch ausgeplundert… Und sie haben Ihrer Mutter alles genommen — das Geschaft, dieses Haus, sogar ihr Auto…
Guntherblickte Tracy fragend an.»Ist was?«
«Nein. Nichts. «Manchmal ist das Leben ungerecht, dachte Tracy, und es ist an uns, das auszugleichen.»Erzahlen Sie mir mehr von Maximilian Pierpont.«
«Seine dritte Frau hat sich soeben von ihm scheiden lassen, und er ist jetzt allein. Ich glaube, es ware von Vorteil, wenn Sie mit diesem HerrnBekanntschaft schlie?en wurden. Er reist am Freitag mit dem Orientexpre? von London ab.«
Tracy lachelte.»Ichbin noch nie mit dem Orientexpre? gefahren. Ich glaube, das wurde mir Spa? machen.«
Gunther erwiderte ihr Lacheln.»Gut. Maximilian Pierpontbesitzt — au?er der Eremitage in Leningrad — die einzigebedeutende Faberge?Eiersammlung der Welt. Ihr Wert wird auf etwa zwanzig Millionen Dollar geschatzt.«
«Und wenn ich welche davon fur Siebeschaffen konnte, Gunther«, fragte Tracy,»was wurden Sie dann machen? Die sind doch sicher zubekannt, als da? man sie verkaufen konnte?«
«Es gibt fur alles Privatsammler, Tracy. Siebringen mir die Eierchen, und ich finde ein Nest fur sie.«
«Ich werde sehen, was ich tun kann.«
«Man kommt nicht leicht an Maximilian Pierpont heran. Es sind aber auch noch zwei andere Gimpel im Orientexpre?. Sie wollen zum Filmfestival nach Venedig. Und mir scheint, die sind allmahlich fallig. Kennen Sie Silvana Luadi?«
«Die Filmschauspielerin? Ja, naturlich.«
«Sie ist mit Alberto Fornati verheiratet, der diese entsetzlichen Kolossalschinken produziert. Fornati istberuchtigt dafur, da? er Schauspieler und Regisseure fur erbarmlich wenig Geld unter Vertrag nimmt, ihnen ungeheure Gewinnbeteiligungen verspricht und am Ende alle Profite selbst einstreicht. Er verdient damit genug, um seiner Frau horrend teuren Schmuck zu kaufen. Je mehr Seitensprunge er macht, desto mehr Schmuck schenkt er ihr. Inzwischen mu?te Silvanabereits ein Juweliergeschaft eroffnen konnen. Ichbin sicher, da? Sie die Leute alle recht interessant finden werden.«
«Ich freue mich schon auf die Reise«, sagte Tracy.
Der Orientexpre? von London nach Venedig fahrt jeden Freitag von der Victoria Station abund halt unter anderem in Paris, Lausanne und Mailand. Seine neuenBesitzer haben versucht, das goldene Zeitalter der Eisenbahn, das spate 18. Jahrhundert, wiederauferstehen zu lassen, und der nachgebaute Zug ist ein Duplikat des Originals mit einembritischen Pullmanwagen, mehreren Speise- und Schlafwagen und einemBar- und Salonwagen.
Ein Trager in marineblauer Uniform mit goldenen Tressenbrachte Tracys zwei Koffer und ihr Kosmetiktaschchen in ihr Schlafwagenabteil, das enttauschend klein war. Ein Sitz mit Mohairpolster undBlumenmuster, gruner Plusch auf demBoden und gruner Plusch um die Leiter, die zumBett fuhrte — es war, als sei man in einer altmodischen Hutschachtel. Das Management hatte zurBegru?ung einen Sektkubel mit einer Flasche Champagner ins Abteil gestellt.
Den hebe ich mir auf, bis ich was zu feiern habe, beschlo? Tracy. Maximilian Pierpont. Jeff Stevens war nicht an ihn herangekommen. Und zu schaffen, was Mr. Stevens nicht geschafft hatte… das ware doch ein herrliches Gefuhl. Tracy mu?te lachelnbei diesem Gedanken.
Der Orientexpre? rollte auf die Minute punktlich aus dem
Bahnhof. Tracy lehnte sich in ihrem Sitz zuruck undbeobachtete, wie die sudlichen Vororte von London vorbeizogen.
Um 13 Uhr 15 traf der Zug in Folkstone ein. Die Reisenden stiegen in eine Sealink?Fahre um, die sie uber den Kanal nach (Boulogne?)Boulougnebrachte, wo der» kontinentale «Orientexpre? zur Weiterfahrt in den Suden auf sie wartete.
Tracy machte es sich in ihrem Abteilbequem, das dem ersten zum Verwechseln glich. Eine Weile spater trat sie an einen der Schaffner heran.»Ich habe gehort, da? Maximilian Pierpont mit diesem Zug reist. Konnten Sie ihn mirbitte zeigen?«
Der Schaffner schuttelte den Kopf.»Nein, leider nicht. Er hat eine Fahrkarte gelost und ein Schlafwagenabteil fur sich reservieren lassen, aber aufgetaucht ist er nicht. Der Herr soll ziemlich unberechenbar sein, hat man mir gesagt.«
Blieben also nur Silvana Luadi und ihr Mann, der Produzent von unerheblichen Kolossalschinken.
Tracy zog sich in ihr Abteil zuruck und schmiedete Plane.
Um 20 Uhr machte sie sich fein, denn das Management hatte Abendkleidung empfohlen. Sie wahlte ein phantastisch elegantes, taubengraues Chiffon?Kleid. Ihr einziger Schmuck war eine Perlenkette. Bevor sie das Abteil verlie?, betrachtete sie sich im Spiegel. Ihre grunen Augen hatten etwas Unschuldiges, und ihr Gesicht sah arglos und verletzlich aus. Der Spiegel lugt, dachte Tracy. Diese Fraubin ich nicht mehr. Mein Leben ist eine einzige Maskerade. Aber eine aufregende.
Als Tracy ihr Abteil verlie?, entglitt ihr die Handtasche. Sie ging in die Knie, um sie aufzuheben, und warf dabei einen raschenBlick auf die Turschlosser. Es waren zwei: ein Yale?Schlo? und ein Universal?Schlo?. Kein Problem. Tracy erhobsich und schritt in Richtung Speisewagen.
Der Orientexpre? fuhrte gleich drei mit, alle mit Pluschsitzen, furnierten Wanden und Tischlampen, die