Richtung London. Gunther Hartog wurde zufrieden sein.
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Die siebengeschossige Zentrale von Interpol liegt in der Rue Armengaud 26, in den Hugeln von St. Cloud, etwa zwolf Kilometer westlich von Paris, diskret hinter einem hohen grunen Zaun und wei?en Mauern verborgen. Das Tor zur Stra?e ist den ganzen Tag geschlossen, undBesucher werden erst eingelassen, nachdem sie eine Reihe von Fernsehkameras passiert haben. Innerhalbdes Gebaudesbefinden sich auf dem obersten Treppenabsatz eines jeden Stockwerks wei?e Eisentore, diebei Nacht zugeschlossen werden, und jede Etage ist mit einem Alarm- und Uberwachungssystem versehen.
Diese Sicherheitsma?nahmen empfehlen sich, denn hier werden die genauesten Dossiers der Welt verwahrt: Akten uber zweieinhalbMillionen Kriminelle. Hier ist der Umschlagplatz von Informationen fur die Polizei in 78 Landern. Interpol koordiniert die weltweiten polizeilichen Aktivitatenbei der Fahndung nach Schwindlern, Falschern, Drogenhandlern, Raubern und Mordern. Interpol verbreitet uber Funk, Telegraf und Nachrichtensatelliten aktuelle, auf den neuesten Stand gebrachteBulletins. In der Zentrale in Paris arbeiten ehemalige Kriminalbeamte der Surete Nationale oder der Pariser Prefecture.
Eines Morgens im Mai fand imBuro von Inspektor Andre Trignant, Abteilungsleiterbei Interpol, eineBesprechung statt. Der Inspektor war ein Mittvierziger, anziehend, naturliche Autoritat ausstrahlend, mit intelligentem Gesicht, dunklem Haar, klugenbraunen Augen und einer schwarzen Hornbrille. Mit imBuro sa?en Kriminalbeamte aus England, Belgien,
Frankreich und Italien.
«Meine Herren«, begann Inspektor Trignant,»Ihre Lander haben uns um Informationen uber die Straftaten gebeten, die neuerdings wie eine Seuche in Europa grassieren. Ein halbes Dutzend Lander ist von einer Serie einfallsreicher Schwindeleien und Einbruchdiebstahlen heimgesucht worden, die mehrere Ahnlichkeiten aufweisen. Die Opfer haben gewohnlich einen zweifelhaften Ruf, es kommt nie zu Gewalt gegen Personen, und der Tater ist immer eine Frau. Wir sind zu dem Schlu? gelangt, da? wir es mit einer internationalen Frauenbande zu tun haben. Wir haben Phantombilder, die sich auf die Aussagen von Opfern und Zufallszeugen grunden. Wie Sie sehen werden, gleicht keine Frau der anderen. Einige sindblond, einigebrunett. Nach Angabe der Zeugen handelt es sich um Englanderinnen, Franzosinnen, Italienerinnen und Amerikanerinnen — das schwankt von Fall zu Fall.«
Inspektor Trignant druckte einen Knopf, und an der Wandbegann eine Reihe vonBildern zu erscheinen.»Hier sehen Sie eineBrunette mit kurzem Haar. «Er druckte wieder auf den Knopf.»Hier eine jungeBlondine mit Zottelhaaren… eine weitereBlondine mit Locken… eineBrunette mit Pagenkopf… eine altere Dame mit Dauerwelle… eine junge Frau mit Punkfrisur. «Er stellte den Projektor ab.»Wir haben keine Ahnung, wer dieBandenchefin ist und wo sich das Hauptquartier derBandebefindet. Spuren hinterlassen diese Frauen nicht, sie losen sich einfach in nichts auf. Fruher oder spater werden wir eine von ihnen fassen, und wenn uns das gelingt, dann kriegen wir auch die anderen. Dochbis dahin sitzen wir auf dem trockenen, es sei denn, einer von Ihnen, meine Herren, liefert uns Informationen, die uns weiterhelfen…«
Daniel Cooper wurde in Paris von einem der Assistenten Inspektor Trignants am Flughafen abgeholt und zum Prince de
Galles gefahren, das neben einem sehr vielberuhmteren Hotel, dem George V, liegt.
«Sie treffen morgen vormittag mit Inspektor Trignant zusammen«, sagte der Assistent zu Cooper.»Ich hole Sie um 8 Uhr 15 ab.«
Daniel Cooper hatte sich uber die Reise nach Europa nicht gerade gefreut. Er wollte seinen Auftrag so schnell wie moglich abschlie?en und nach Hause zuruckkehren. Er war uber die Existenz von Lasterhohlen in Paris unterrichtet, und er hatte nicht die Absicht, sich in irgendwas verstricken zu lassen. In seinem Zimmer angelangt, begaber sich schnurstracks insBad. Zu seiner Uberraschung war dieBadewanne durchaus zufriedenstellend, sogar gro?er als seine zu Hause. Er lie? Wasser einlaufen und ging wieder ins Zimmer, um seine Sachen auszupacken. In seinem Koffer lag, wohlverwahrt zwischen seinem Anzug furbesondere Falle und seiner Unterwasche, ein kleines abgesperrtes Kastchen. Er nahm es aus dem Koffer, hielt es in den Handen, starrte es an, und es schien zu pulsieren, als hatte es ein eigenes Leben. Er trug es insBad und stellte es auf den Rand des Waschbeckens. Mit dem kleinsten Schlussel an seinem Schlusselbund sperrte er das Kastchen auf und offnete es, und die Worte schrieen ihm von dem vergilbten Zeitungsausschnitt entgegen.
Junge sagtbei Mordproze? aus
Der zwolfjahrige Daniel Cooper sagte heutebeim Proze? gegen Fred Zimmer aus, der des Mordes an der Mutter des Jungen angeklagt ist. Seiner Aussage zufolge kehrte der Junge von der Schule nach Hause zuruck und sah, wie Zimmer, ein Nachbar, das Coopersche Anwesen mitBlut an den Handen und im Gesicht verlie?. Als der Junge das Hausbetrat, entdeckte er in derBadewanne seine tote Mutter. Sie
warbrutal erstochen worden. Zimmer gestand, Mrs. Coopers Geliebter gewesen zu sein, bestritt jedoch den Mord. Der Junge ist in die Obhut einer Tante gegeben worden.
Mit zitternden Handen legte Daniel Cooper den Zeitungsausschnitt wieder in das Kastchen und sperrte es ab. Erblickte wild um sich. Wande und Decke desBadezimmers waren mitBlutbespritzt. Er sah den nackten Leichnam seiner Mutter im roten Wasser liegen. Ein heftiges Schwindelgefuhl uberkam ihn, und er hielt sich am Waschbecken fest. Aus den Schreien in seinem Innern wurde ein kehliges Stohnen, und er ri? sich die Kleider vom Leibund lie? sich in dasblutwarme Wasser sinken.
«Ich mu? Sie davon in Kenntnis setzen, Mr. Cooper«, sagte Inspektor Trignant,»da? Ihre Position hier au?erst ungewohnlich ist. Sie sind nichtbei der Polizei, und Sie weilen nicht in offizieller Missionbei uns. Wir sind jedoch von den Polizeibehorden mehrerer europaischer Lander gebeten worden, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
Daniel Cooper schwieg.
«Wenn ich das richtig verstanden habe, sind Sie Detektivbei der International Insurance Protection Association?«
«Ja. Einige von unseren europaischen Klienten hatten in letzter Zeit eine Haufung von Schadensfallen zu verzeichnen. Und man hat mir gesagt, da? es keine Anhaltspunkte gibt.«
Inspektor Trignant seufzte.»Das ist leider die Wahrheit. Wir wissen nur, da? wir es mit einerBande von sehr cleveren Frauen zu tun haben, aber ansonsten…«
«Keine Tips von Informanten?«
«Nein, nichts.«
«Kommt Ihnen das nicht seltsam vor?«
«Wie meinen Sie das, Monsieur?«
Es schien Cooper so sonnenklar, da? er nicht einmal den Versuch unternahm, die Ungeduld in seiner Stimme zu zugeln.»Wenn eineBande am Werk ist, gibt es immer jemanden, der zuviel redet, zuviel trinkt, zuviel Geld ausgibt. Es ist unmoglich fur eine gro?ere Gruppe, ein Geheimnis fur sich zubehalten. Kann ich mal Ihre Unterlagen uber dieseBande sehen?«
Der Inspektor hatte das Ansinnen, mehrBefehl alsBitte, gern abgelehnt. Er fand, da? Daniel Cooper einer der korperlich unangenehmsten Manner sei, denen er jebegegnet war. Und gewi? der mit weitem Abstand arroganteste. Er wurde sich garantiert zur Nervensage entwickeln, aber der Inspektor war gebeten worden, sich kooperativ zu verhalten.
Widerwillig sagte er:»Ich werde Fotokopien fur Sie anfertigen lassen«, und gabuber seine Sprechanlage Weisung, die Unterlagen abzulichten. Dann sagte er, um Konversation zu machen:»Mir ist vorhin ein interessanterBericht auf den Schreibtisch gelegt worden. Im Orientexpre? sind wertvolle Juwelen gestohlen worden, wahrend…«
«Ich hab's gelesen. Der Diebhat die italienische Polizei zum Narren gehalten.«
«Und niemand wei?, wie der Diebstahl durchgefuhrt wurde.«
«Das liegt doch auf der Hand«, sagte Daniel Cooper rude.»Da mu? manblo? einbi?chen logisch denken.«
Inspektor Trignantblickte uber den Rand seinerBrille hinweg. Mon Dieu, dachte er, Manieren hat dieser Mann — als ware er im Schweinsgalopp durch die Kinderstube geritten. Mit kuhler Stimme sagte er:»Das logische