und es lief ihr unwillkurlich ein Schauer uber den Rucken.
Tracy hatte den Mietkombi am hinteren Ende des Schlo?gartens geparkt. Von der anderen Seite der Mauer kam ein tiefes Knurren, das sich zum wutendenBellen steigerte, als der Hund in die Luft sprang und anzugreifen versuchte. Tracy stellte sich den muskelstarken, schweren Korper und die todlichen Zahne des Dobermanns vor.
Leise rief sie jemandem im Kombi zu:»Jetzt!«
Ein schmachtiger Mann in mittleren Jahren, ebenfalls ganz in Schwarz, stieg aus dem Wagen. Er hielt ein Dobermannweibchen am Halsband fest. Die Hundin war laufig, und aus demBellen im Garten wurde plotzlich ein erregtes Gewinsel.
Tracy half mit, die Hundin auf das Wagendach zu heben, das annahernd so hoch war wie die Mauer.
«Eins, zwei, drei«, flusterte Tracy.
Nun warfen diebeiden die Hundin uber die Mauer. Ein kurzesBlaffen, dann Schnupperlaute. Dann horte man die Hunde rennen. Und dann war alles still.
Tracy wandte sich ihrem Komplizen zu.»Gehen wir.«
Der Mann, der Jean Louis hie?, nickte. Tracy hatte ihn in Antibes gefunden. Er war ein Diebund hatte die meiste Zeit seines Lebens im Gefangnis verbracht. Eine Geistesleuchte war er nicht, aber er hatte eine Spezialbegabung fur Schlosser, Alarmanlagen und Safes — also der richtige Mann fur diesen Job.
Tracy trat vom Wagendach auf die Mauerkrone, rollte eine kleine Feuerleiter aus und hakte sie an der Mauerkante fest. Dann stieg sie mit Jean Louis nach unten. Chateau und Garten sahen vollig anders aus als am Abend zuvor. Gestern war alles hell erleuchtet und von lachenden Gastenbevolkert gewesen. Jetzt war alles dunkel und duster.
Jean Louis folgte Tracy uber den Rasen und hielt dabei angstlich nach den Hunden Ausschau.
Am Chateau rankte sich jahrhundertealter Efeu empor, der vom Parterrebis zum Dach reichte. Tracy hatte ihn am Vorabend unauffallig getestet. Und als sie nun einen Ast mit ihrem vollen Korpergewichtbelastete, hielt er sie. Siebegann zu klettern und warf einen fluchtigenBlick in den Garten. Von den Hunden keine Spur. Tracy schickte ein Sto?gebet zum Himmel. O da? sie nur lange miteinanderbeschaftigtblieben!
Als Tracy das Dach erreicht hatte, winkte sie Jean Louis und wartete, bis er neben ihr war. Sie knipste eine Taschenlampe an, undbeide sahen ein Oberlicht, das naturlich von innen verriegelt war. Tracybeobachtete, wie Jean Louis in seinen Rucksack langte und einen Glasschneider herauszog. Erbrauchte nicht einmal eine Minute, um die Scheibe sauberlich zu entfernen.
Tracy schaute nach unten und sah, da? der Weg in den Speicher durch ein Geflecht von Alarmdrahtenblockiert war.»Schaffst du das, Jean?«flusterte sie.
«Kein Problem. «Er langte wieder in seinen Rucksack und zog eine drei?ig Zentimeter lange Leitung mit Erdungsschellen anbeiden Enden heraus. Er stellte fest, wo der Alarmdraht anfing, isolierte ihn abund verband eine der Erdungsschellen mit dem Ende des Alarmdrahts. Dann holte er eine Kneifzange aus dem Rucksack und trennte den Draht durch. Tracy erstarrte. Sie rechnete damit, da? die Alarmanlage losging, aber esblieballes ruhig. Jean Louisblickte auf und grinste.»Fertig.«
Irrtum, dachte Tracy. Jetzt fangt's erst richtig an.
Uber eine zweite Feuerleiter stiegen sie durch das Oberlicht in den Speicher hinunter. So weit, so gut. Sie waren im Chateau. Doch als Tracy daran dachte, was noch vor ihnen lag, bekam sie Herzklopfen.
Sie zog zwei Infrarotbrillen aus der Tasche und gabeine davon Jean Louis.
Tracy hatte einen Weg gefunden, den Dobermann abzulenken, aber der Infrarot?Alarm war ein weitaus schwierigeres Problem. Wie Jeff gesagt hatte, befand sich im Haus ein wahres Spinnennetz von unsichtbaren Strahlen.
Tracy holte tief Luft. Sie zwang sich, messerscharf zu denken: Wenn jemand in den Strahl tritt, passiert nichts. Doch in dem Moment, in dem er aus dem Strahl tritt, nehmen die Sensoren den Temperaturunterschied wahr, und der Alarm wird ausgelost. Er soll losgehen, bevor der Diebden Safe offnet.
Tracy war zu dem Schlu? gelangt, da? hier die Schwachstelle des Systems lag. Sie mu?te sich jetzt nur noch etwas einfallen lassen, um den Alarm am Funktionieren zu hindern, nachdem der Safe geoffnet war. Am Morgen um 6 Uhr 30 hatte sie die Losung gefunden. Der Einbruch war machbar, und Tracy hatte wieder den vertrauten Nervenkitzel gespurt.
Nun setzte sie die Infrarotbrille auf, und alles im Raum ergluhte plotzlich in unheimlichem Rot. Vor der Speichertur sah Tracy einen Lichtstrahl, den sie ohne dieBrille nicht wahrgenommen hatte.
«Kriech drunter durch«, befahl sie Jean Louis.»Vorsichtig!«
Diebeiden robbten unter dem Lichtstrahl hindurch und richteten sich auf. Sie standen in einem dunklen Flur, der zum Schlafzimmer des Grafen fuhrte. Tracy knipste die Taschenlampe an und ging voran. Durch die Infrarotbrille sah sie einen weiteren Lichtstrahl uber der Schwelle der Schlafzimmertur. Sie sprang schwungvoll daruber. Jean Louis tat es ihr nach.
Tracy leuchtete die Wande an, und da waren die Kunstwerke — eindrucksvoll, ehrfurchtgebietend.
Versprechen Sie mir, den Leonardo mitzubringen, hatte Gunther gesagt. Und die Juwelen naturlich auch.
Tracy hangte die Zeichnung ab, drehte sie um und legte sie auf denBoden. Sie loste das Pergament aus dem Rahmen, rollte esbehutsam zusammen und steckte es in ihre Umhangetasche. Bliebnur noch der Safe, der in einer mit Vorhangen abgeteilten Nische am anderen Ende des Schlafzimmers stand.
Tracy zog die Vorhange auf. Vier Infrarotstrahlen verliefen, einander uberkreuzend, durch die ganze Nische. Es war unmoglich, an den Safe heranzukommen, ohne einen der Strahlen zu unterbrechen.
Jean Louis starrtebesturzt das Strahlenkreuz an.»Merde! Das schaffen wir nicht. Sie sind zu niedrig, um drunter durchzukriechen, und zu hoch, um druberzuspringen.«
«Tu genau das, was ich dir sage«, befahl Tracy. Sie trat hinter Jean Louis und legte die Arme um seinenBauch.»Wir laufen jetzt los. LinkesBein zuerst.«
Gemeinsam machten sie einen Schritt auf die Strahlen zu, dann noch einen.
Jean Louis flusterte entsetzt:»Wir gehen da ja mitten rein!«
«Genau.«
Siebewegten sich auf den Punkt zu, an dem die Strahlen zusammentrafen. Als sie ihn erreicht hatten, bliebTracy stehen.
«Jetzt hor mir zu, Jean«, sagte sie.»Ich mochte, da? du zum Safe rubergehst.«
«Aber die Strahlen…«
«Keine Sorge. Da passiert schon nichts. «Tracy hoffte instandig, da? sie recht hatte.
Zogernd trat Jean Louis aus den Strahlen. Und es passierte tatsachlich nichts. Erblickte mit furchtsam geweiteten Augen zu Tracy zuruck. Sie stand im Zentrum der Strahlen, und ihre Korperwarme hinderte die Sensoren daran, den Alarm auszulosen. Jean Louis eilte zum Safe. Tracy ruhrte sich nicht. Sie wu?te, da? der Alarm in dem Moment losgehen wurde, in dem sie sichbewegte.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Jean Louis sein Werkzeug aus dem Rucksack holte. Tracy atmete langsam und tief. Sie verlor das Zeitgefuhl. Jean Louis schien seit Ewigkeiten mit dem Safebeschaftigt. Das rechteBein tat Tracy weh. Dannbekam sie einen Wadenkrampf. Siebi? die
Zahne zusammen und wagte es nicht, sich zu ruhren.
«Wie langebist du jetzt schon zugange?«flusterte sie.
«Zehn Minuten. Kann auch eine Viertelstunde sein.«
Es war Tracy, als habe sie ihr ganzes Leben so dagestanden. Nunbekam sie einen Wadenkrampf im linkenBein. Es war so schmerzhaft, da? sie am liebsten geschrien hatte. Aber siebliebreglos im Zentrum der Strahlen stehen. Dann horte sie ein Klicken. Der Safe war offen.
«Magnifique!«rief Jean Louis.»Das ist ja 'ne richtigeBank! Willst du alles haben?«
«Nur die Juwelen. Die Moneten kriegst du.«
«Merci.«
Tracy horte, wie Jean Louis den Safe ausraumte. Ein paar Sekunden spater naherte er sich ihr.
«Toll!«sagte er.»Aber wie kommen wir hier raus, ohne den Strahl zu unterbrechen?«
«Gar nicht«, antwortete Tracy.
Er starrte sie an.»Was?«
«Stell dich vor mich.«