«Aber…«

«Tu, was ich dir sage.«

Angstlich trat Jean Louis in den Strahl.

Tracy hielt den Atem an. Die Alarmanlage klingelte immer noch nicht.»Okay. Und jetzt gehen wir ganz langsambis ans Ende dieser Nische.«

«Und dann?«

«Dann rennen wir, so schnell wir konnen.«

Zentimeter fur Zentimeter gingen sie durch die Strahlen auf die Vorhange zu, wo die Strahlen anfingen. Als siebei den Vorhangen waren, holte Tracy tief Luft.»In Ordnung. Wenn ich jetzt sage, laufen wir los.«

Jean Louis schluckte und nickte. Ein Zittern schuttelte seinen schmachtigen Korper.

«Jetzt!«

Tracy wirbelte herum und raste auf die Schlafzimmertur zu. In dem Moment, in dem sie aus dem Strahl traten, ging der Alarm los. Der Krach war ohrenbetaubend.

Tracy sauste in den Speicher und hastete die Leiter hinauf. Jean Louis folgte ihr. Sie liefen ubers Dach, kletterten die mit Efeubewachsene Wand hinunter und rannten auf die Mauer zu, wo die zweite Leiter stand. Sekunden spater waren sie auf dem Dach des Kombis und wieder drunten. Tracy klemmte sich hinters Steuer, Jean Louis nahmblitzschnell auf demBeifahrersitz Platz.

Als der Kombi die Stra?e entlangbrauste, sah Tracy eine dunkle Limousine, die unterBaumen parkte. Die Scheinwerfer erhellten einen Moment lang das Innere des Wagens. Hinterm Lenkrad sa? Jeff Stevens. Ihm zur Seite ein gro?er Dobermann. Tracy lachte schallend auf und warf Jeff eine Ku?hand zu. Der Kombi raste weiter.

Aus der Ferne horte man das Gerausch sich nahernder Polizeisirenen.

26

Biarritz, im au?ersten Sudwesten Frankreichs an der Atlantikkuste gelegen, hat seinen Jahrhundertwende?Glanz zum gro?ten Teil verloren. Trotzdem stromen nach wie vor in der Hochsaison zwischen Juli und September die Reichen Europas hierher, um wenigstens die Sonne und ihre Erinnerungen anbessere Zeiten zu genie?en. Wer kein eigenes Chateau hat, steigt im luxuriosen Hotel du Palais in der Avenue Imperatrice ab, das fruher einmal der Sommersitz Napoleons III. war. Esbefindet sich auf einer Landzunge in geradezu spektakularer Umgebung: Auf der einen Seite ein Leuchtturm und gro?e, zerkluftete Felsen, die aus dem grauen Meer aufsteigen wie vorgeschichtliche Ungeheuer, auf der anderen Seite die holzerne Strandpromenade.

Eines Nachmittags im spaten Augustbetrat dieBarone? Marguerite de Chantilly die Halle des Hotel du Palais. DieBarone? war eine elegante Erscheinung mit kappenartig anliegendem aschblondem Haar. Sie trug ein grun?wei?es Seidenkleid, das ihrebeneidenswerte Figur auf das vorteilhaftestebetonte.

DieBarone? ging zum Concierge.»Meinen Schlussel, bitte«, sagte sie.

«Gewi? doch, Barone?. «Der Concierge uberreichte Tracy den Schlussel und mehrere Zettel — Mitteilungen von Telefongesprachen.

Als Tracy dem Lift zustrebte, wandte sich einbebrillter, zerknittert aussehender Mann von der Vitrine ab, in der Hermes?Krawatten und — Halstucher ausgestellt waren, und stie? mit ihr zusammen. Ihre Handtasche fiel zuBoden.

«Oje«, sagte der Mann.»Das tut mir furchtbar leid. «Er hob

die Handtasche auf.»Entschuldigen Siebitte.«

DieBarone? Marguerite de Chantilly nahm die Handtasche entgegen, nickte dem Mann huldvoll zu und ging weiter.

Ein Liftboy geleitete sie in den Aufzug und lie? sie im dritten Stock aussteigen. Tracy wohnte in der Suite 312, einer Suite mit weitemBlick auf die Stadt und das Meer.

Als sie die Tur hinter sich abgeschlossen hatte, nahm sie dieblonde Perucke abund massierte ihre Kopfhaut. DieBarone? war eine ihrer schonsten Rollen. Aus Debrett's Peerage andBaronetage und aus dem Gotha konnte man sich Hunderte von Adelstiteln aussuchen: Herzoginnen und Prinzessinnen undBaronessen und Grafinnen aus zwei Dutzend Landern. DieseBucher waren fur Tracy von unschatzbarem Wert, denn sie gaben auch einen Abri? der Familiengeschichte und nannten die Namen der Vater, Mutter und Kinder und die Adressen der Familiensitze. Es war ganz einfach, ein prominentes Adelsgeschlecht auszuwahlen und eine Cousine zweiten oder dritten Grades zu werden — vor allem eine wohlhabende Cousine. Von Titeln und Geld lie?en sich die Leute immerbeeindrucken.

Tracy dachte an den Fremden, der sie am Nachmittag in der Hotelhalle angerempelt hatte, und lachelte.

Am selben Abend um 20 Uhr sa? dieBarone? Marguerite de Chantilly in derBar des Hotel du Palais, als der Mann, der vor einigen Stunden mit ihr zusammengesto?en war, an ihren Tisch trat.

«Verzeihen Sie«, sagte er schuchtern,»ich mu? mich nochmals fur meine Ungeschicklichkeit heute nachmittag entschuldigen.«

Tracy lachelte ihn nachsichtig an.»Aberbitte. Es war doch nur ein Versehen.«

«Sie sind zu gutig. «Er zogerte.»Mir ware wohler, wenn Sie mir erlauben wurden, Sie zu einem Drink einzuladen.«

«Bitte. Wenn Sie wollen.«

Er lie? sich in den Sessel gegenuber von ihr sinken.»Gestatten Sie, da? ich mich vorstelle: Mein Name ist Adolf Zuckerman.«

«Marguerite de Chantilly.«

Zuckerman winkte dem Oberkellner.»Was mochten Sie trinken?«fragte er Tracy.

«Champagner. Das hei?t, wenn es Ihnen nicht zu…«

Zuckerman hobbeschwichtigend die Hand.»Ich kann's mir leisten. Und ich werde mirbald alles leisten konnen, was das Herzbegehrt.«

«Tatsachlich?«Tracy lachelte.»Wie schon fur Sie.«

«Ja.«

Zuckermanbestellte Champagner und wandte sich dann wieder Tracy zu.»Etwas hochst Verbluffendes hat sich in meinem Leben ereignet. Ich sollte eigentlich nicht mit einem fremden Menschen daruber sprechen, aber es ist so aufregend, da? ich es einfach nicht fur michbehalten kann. «Erbeugte sich ein wenig vor und senkte die Stimme.»Ichbin Gymnasialprofessor — oder vielmehr, ich war esbis vor kurzem. Ich habe Geschichte gelehrt. Das ist ganz nett, aber nicht gerade spannend.«

Tracy lauschte mit hoflichem Interesse.

«Das hei?t, es war nicht gerade spannend. Bis vor ein paar Monaten.«

«Darf ich fragen, was vor ein paar Monaten passiert ist, Professor Zuckerman?«

«Ich habe uber die spanische Armada geforscht, nach Anschauungsmaterial gesucht, das das Thema fur meine Schuler interessanter machen konnte. Und dabeibin ich im Museum meiner Heimatstadt auf ein altes Dokument und einige dazugehorige Papiere gesto?en — wei? Gott, wie sie in das dortige Archiv geraten sind. Das Dokument enthielt jedenfalls ausfuhrliche Angaben uber eine Geheimexpedition,

die Philipp II. von Spanien im Jahre 1588 auf die Reise schickte. Eines der Schiffe, das ungemunztes Gold geladen hatte, sank angeblichbei einem Sturm und verschwand spurlos.«

Tracyblickte Zuckerman aufmerksam an.»Es sank angeblich?«

«Genau. In Wirklichkeit, so hei?t es in den Papieren, wurde es vom Kapitan und derBesatzung mit voller Absicht in einer kleinenBucht versenkt. Sie wollten spater wiederkommen und den Schatz heben. Doch das gelang ihnen nicht. Sie wurden von Piraten angegriffen und getotet. Das Dokumentbliebnur erhalten, weil keiner der Piraten lesen und schreiben konnte. Sie wu?ten nicht, was sie da in der Hand hatten. «Zuckermans Stimme zitterte vor Erregung.»Und jetzt…«, er sprach leiser undblickte in die Runde, um sich zu vergewissern, da? niemand lauschte,»… und jetztbesitze ich das Dokument mitsamt einer detaillierten Anleitung, wie man an den Schatz herankommt.«

«Wie schon fur Sie, Professor. «In Tracys Worten schwang eine gewisseBewunderung mit.

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