Eine verschlafene Stimme fragte: »Jesus! Sind Sie eigentlich noch normal? Wann schlafen Sie?«

»Der Fahrer des Lastwagens. Haben Sie ihn uberpruft?«

»Lady, Sie fangen an, mich zu belastigen.«

»Es tut mir leid«, sagte Jennifer, »aber ich mu? es wissen.«

»Die Antwort lautet ja. Er hatte einen hervorragenden Ruf. Es war sein erster Unfall.«

Also ebenfalls eine Einbahnstra?e. »Ich verstehe.« Jennifer dachte intensiv nach.

»Mi? Parker«, sagte Melvin Hutcherson, »tun Sie mir einen gro?en Gefallen, wollen Sie? Falls Sie noch mehr Fragen haben sollten, rufen Sie mich wahrend der Burozeit an.«

»Entschuldigung«, erwiderte Jennifer geistesabwesend. »Schlafen Sie weiter.«

»Herzlichen Dank!«

Jennifer legte auf. Es war Zeit, sich anzuziehen und an die Arbeit zu gehen.

13

Es war drei Wochen her, seit Jennifer mit Adam bei Lutece zu Abend gegessen hatte. Sie versuchte, ihn zu vergessen, aber alles erinnerte sie an Adam: eine zufallige Redewendung, der Hinterkopf eines Fremden, ein Schlips, der dem ahnelte, den er getragen hatte. Es gab eine Menge Manner, die sich mit ihr verabreden wollten. Sie erhielt Antrage von Mandanten, von Anwalten, mit denen sie im Gericht die Klingen gekreuzt hatte, sogar von einem Nachtschnellrichter, aber Jennifer war an keinem von ihnen interessiert. Sie strahlte eine Selbstandigkeit aus, die auf Manner herausfordernd wirkte. Ken Bailey war immer da, aber diese Tatsache linderte ihre Einsamkeit nicht. Es gab nur einen, der das konnte, hol' ihn der Teufel!

Er rief am Montag an. »Ich dachte, ich versuche mein Gluck und erkundige mich, ob Sie zum Mittagessen noch frei sind.« Sie war nicht frei. Sie sagte: »Naturlich bin ich frei.« Sie hatte sich geschworen, freundlich und doch von distanzierter Hoflichkeit zu sein, falls Adam noch einmal anriefe - aber auf keinen Fall wurde sie zu seiner Verfugung stehen. In dem Augenblick, in dem sie seine Stimme horte, verga? sie alle Vorsatze und sagte: Naturlich bin ich frei. Genau das, was sie als Allerletztes hatte sagen wollen.

Sie a?en in einem kleinen Restaurant in Chinatown zu Mittag und unterhielten sich zwei Stunden lang, die wie zwei Minuten schienen. Sie sprachen uber ihren Beruf, Politik und Theater und losten all die komplexen Probleme der Welt, die noch einer Losung bedurften. Adam war brillant, scharfsinnig und faszinierend. Er war aufrichtig daran interessiert, was Jennifer tat, und freute sich mit kindlichem Stolz uber jeden ihrer Erfolge. Mit gutem Grund, dachte Jennifer. Ohne ihn ware ich langst wieder in Kelso, Washington.

Als Jennifer wieder ins Buro zuruckkehrte, wartete Ken Bailey auf sie. »Gut gegessen?«

»Ja, danke.«

»Wird Adam Warner ein Klient?« Sein Ton war zu beilaufig.

»Nein, Ken. Wir sind nur Freunde.« - Das stimmte.

In der nachsten Woche lud Adam Jennifer zum Essen in den privaten Speiseraum seiner Kanzlei ein. Sie war beeindruckt von dem riesigen, hochmodernen Burokomplex. Adam stellte sie verschiedenen Mitgliedern des Unternehmens vor, und Jennifer fuhlte sich wie eine kleine Beruhmtheit, denn sie schienen alles von ihr zu wissen. Sie traf auch Stewart Needham, den Seniorpartner. Er war von distanzierter Hoflichkeit ihr gegenuber, und ihr fiel ein, da? Adam mit seiner Nichte verheiratet war.

Adam und Jennifer speisten in dem walnu?getafelten E?zimmer, das von einem Ober und zwei Kellnern regiert wurde. »Hier werden die Probleme der Partner gelost«, sagte Adam. Jennifer fragte sich, ob er auf sie anspielte. Es fiel ihr schwer, sich auf das Essen zu konzentrieren.

Den ganzen Nachmittag uber dachte sie an Adam. Sie wu?te, da? sie ihn vergessen mu?te und ihn nicht mehr sehen durfte. Er gehorte einer anderen Frau.

Am Abend ging Jennifer mit Ken Bailey ins Theater. Sie sahen Two by Two, die neue Show von Richard Rogers. Sie traten gerade ins Foyer, als ihnen ein aufgeregtes Raunen von der Menge entgegenscholl, und Jennifer drehte sich neugierig um. Eine lange, schwarze Limousine war unter das Vordach gefahren. Ein Mann und eine Frau stiegen aus. »Er ist es!« rief eine Frau, und die Leute drangten sich um den Wagen. Der stammige Chauffeur trat zur Seite, und Jennifer erblickte Michael Moretti und seine Frau. Die Augen der Menge konzentrierten sich auf ihn. Er war eine Art Volksheld, attraktiv genug, um ein Filmstar sein zu konnen, und wagemutig genug, um jedermanns Phantasie zu beschaftigen. Jennifer beobachtete, wie Michael Moretti und seine Frau sich ihren Weg durch die Menge bahnten. Michael ging kaum einen Meter von Jennifer entfernt vorbei, und fur einen Moment trafen sich ihre Augen. Sie bemerkte, da? seine Augen so dunkel waren, da? sie kaum die Pupillen sehen konnte. Ein paar Sekunden spater war er im Zuschauerraum verschwunden.

Jennifer konnte sich nicht mehr auf die Show konzentrieren. Der Anblick von Michael Moretti hatte eine Flut demutigender Erinnerungen zuruckgebracht. Nach dem ersten Akt bat sie Ken, sie nach Hause zu bringen.

Adam rief Jennifer am nachsten Tag an, und Jennifer nahm ihre ganze Kraft zusammen, um sich gegen die erwartete Einladung zu wappnen. Danke schon, Adam, aber ich habe furchtbar viel Arbeit.

Aber Adam sagte nur: »Ich verlasse das Land fur eine Weile.« Es war wie ein Schlag in den Magen. »Wie - wie lange werden Sie fort sein?«

»Nur ein paar Wochen. Ich rufe Sie an, wenn ich zuruck bin.«

»Gut«, sagte Jennifer freundlich. »Gute Reise!« Sie fuhlte sich, als wenn jemand gestorben ware. Sie sah Adam am Strand von Rio, umlagert von halbnackten Madchen, oder in einem Penthouse in Mexiko City, wo er Margaritas mit einer eingeborenen, dunkelhautigen Schonheit trank, oder in einem Schweizer Chalet, auf einem Bett mit... Halt! Jennifer rief sich zur Ordnung. Sie hatte ihn fragen sollen, wohin er fuhr. Vielleicht war es nur eine Geschaftsreise an irgendeinen langweiligen Ort, wo er keine Zeit fur Frauen hatte, vielleicht mitten in der Wuste, wo er vierundzwanzig Stunden am Tag arbeiten mu?te.

Sie hatte die Rede ganz beilaufig darauf bringen sollen. Werden Sie einen langen Flug haben? Sprechen Sie irgendwelche Fremdsprachen? Wenn Sie nach Paris kommen, bringen Sie mir Vervaine-Tee mit. Ich nehme an, solche Blitzreisen sind grauenvoll, nicht? Nehmen Sie Ihre Frau mit? Schnappe ich langsam uber? Ken hatte ihr Buro betreten und starrte sie an. »Du fuhrst Selbstgesprache. Geht es dir gut?«

Nein! wollte Jennifer schreien. Ich brauche einen Arzt. Ich brauche eine kalte Dusche. Ich brauche Adam Warner. Sie sagte: »Danke, es geht schon. Ich bin nur ein bi?chen mude.«

»Warum gehst du heute nicht mal fruh schlafen?« Sie fragte sich, ob Adam Warner heute fruh zu Bett gehen wurde.

Pater Ryan rief an. »Ich habe Connie Garrett besucht. Sie erzahlte, Sie hatten ein paarmal bei ihr vorbeigeschaut.«

»Ja.« Die Besuche dienten dazu, ihre Schuldgefuhle zu betauben, weil sie Connie nicht helfen konnte. Es war frustrierend.

Jennifer sturzte sich in Arbeit, und dennoch schienen die Wochen dahinzuschleichen. Fast jeden Tag war sie im Gericht, und jeden Abend sa? sie uber Akten.

»Tritt kurzer, Jennifer. Du bringst dich noch um«, warnte Ken sie.

Aber Jennifer mu?te sich korperlich und geistig bis an den Rand der Erschopfung bringen. Sie durfte keine Zeit zum Nachdenken haben. Ich bin eine Idiotin, dachte sie. Eine reine, unverfalschte Idiotin. Vier Wochen vergingen, bevor Adam anrief.

»Ich bin gerade zuruckgekehrt«, sagte er. Seine Stimme traf sie wie ein Stromsto?. »Konnen wir uns irgendwo zum Essen treffen?«

»Ja, das ware schon, Adam.« Sie dachte, da? sie das gut formuliert hatte. Ein einfaches Ja, das ware schon, Adam. »Der Oak Room im Plaza?«

»Gut.«

Es war der unromantischste Speisesaal der Welt, voll von mittelalterlichen, wohlhabenden Borsenmaklern und Bankiers.

Lange Zeit war er eines der letzten Reservate der Manner gewesen, aber kurzlich waren seine Turen auch fur Frauen geoffnet worden.

Jennifer war etwas zu fruh dran und erhielt einen Platz zugewiesen. Einige Minuten spater erschien Adam Warner. Jennifer sah die gro?e, schlanke Gestalt auf sich zukommen, und ihr Mund wurde plotzlich trocken. Er sah

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