Siebentes Capitel.

Der Erste reist ab.

Am folgenden Tage zeigte der gro?e Bahnhof von Chicago ein Bild ganz besonderer Belebtheit. Was die Ursache davon war?… Offenbar die Anwesenheit eines Reisenden in Touristentracht mit seinen Malgerathschaften auf dem Rucken und begleitet von einem jungen Neger, der eine leichte Reisetasche und uber die Schultern gehangt einen Rucksack trug. Der junge Mann schickte sich an, den Achtuhr-Vormittagszug zu benutzen.

Der Bundesrepublik fehlt es nicht an Bahnlinien; diese durchziehen ihr Gebiet nach allen Richtungen. Der Buchwerth aller Eisenbahnen der Vereinigten Staaten ubersteigt vierundvierzig Milliarden Mark, und ihr Betrieb erfordert ein Personal von siebenhunderttausend Beamten und Angestellten. In Chicago allein verkehren taglich dreihunderttausend Reisende und im Laufe eines Jahres kommen daselbst zehntausend Tonnen Zeitungen und Briefe zur Beforderung.

Es liegt also auf der Hand, da? jeder der sieben Partner, wohin ihn die Laune der Wurfel auch verschlug, stets schnelle Gelegenheit fand, sich dahin zu begeben. Neben den vielverzweigten Eisenbahnen gab es dazu ja auch noch gro?ere und kleinere Strom-und Seedampfer und Fahrgelegenheiten auf Canalen und Flussen. Gerade Chicago liegt sehr bequem, dahin zu gelangen oder von da wegzureisen.

Max Real, der von seinem Ausfluge am vergangenen Abend heimgekehrt war, verbarg sich noch unter der das Auditorium fullenden Menschenmenge, als die Zahlen vier und vier von Meister Tornbrock verkundigt wurden. Niemand wu?te, da? er anwesend war, keiner hatte von seiner Ruckkehr Kenntni?. Bei der Aufrufung seines Namens entstand denn auch ein beangstigendes Stillschweigen, das aber bald von der schmetternden Stimme des Commodore Urrican unterbrochen wurde.

»Nicht da! rief er von seinem Platze aus.

– Hier!« erschallte es als Antwort.

Vom Beifallsjubel der Menge begru?t, hatte Max Real die Buhne erstiegen.

»Sind Sie bereit, abzureisen? fragte der Vorsitzende des Excentric Club. der sich dem Kunstler naherte.

– Bereit abzureisen und… zu gewinnen!« antwortete der junge Maler lachelnd.

Der Commodore Urrican hatte ihn am liebsten wie ein Papuacannibale mit Haut und Haar verschlungen.

Der liebenswurdige Harris T. Kymbale trat freundlich an ihn heran.

»Gluckliche Reise, Kamerad! sagte er ganz aufrichtig.

– Die wunsche ich auch Ihnen, wenn der Tag kommt, wo Sie Ihr Bundel zu schnuren haben werden!« erwiderte Max Real.

Damit wechselten beide noch einen herzlichen Handedruck.

Man wollte sich den jungen Maler bei seiner Abreise wenigstens angesehen haben.(S. 91.)

Weder Hodge Urrican noch Tom Crabbe, der eine wuthend, der andere stumpfsinnig wie immer, hielt es fur angezeigt, sich den Gluckwunschen des Journalisten anzuschlie?en.

Das Ehepaar Titbury vereinigte sich nur in dem einen Wuniche, da? sich alle ungunstigen Wechselfalle des Spiels auf das Haupt des ersten Abreisenden niedersenken mochten, da? er in den Schacht von Nevada gerathen, sich in das Gefangni? von Missouri verirren mochte, und sollte er auch gleich bis aus Ende seines Lebens darin sitzen bleiben mussen.

An Lissy Wag voruberkommend, verbeugte sich Max Real respectvoll.

»Mein Fraulein, sagte er, Sie werden mir gestatten, Ihnen recht viel Gluck zu wunschen…

– Damit sprechen Sie aber gegen Ihr eigenes Interesse, mein Herr, erwiderte das junge Madchen etwas verwundert.

– Das thut nichts, mein Fraulein, seien Sie uberzeugt, da? ich Ihnen den besten Erfolg wunsche!

– Ich danke Ihnen. Herr Real! antwortete Lissy Wag.

– Ein recht netter Mann, dieser Max Real, flusterte da Jovita Foley ihrer Freundin zu, und noch hubscher von ihm, wenn er, seinem Wunsche entsprechend, Dich wirklich zuerst ans Ziel kommen la?t!«

Nach Schlu? dieser Vorgange entleerte sich allmahlich der Saal des Auditoriums, und das Ergebni? des ersten Wurfes verbreitete sich sofort durch die ganze Stadt.

Der »Match Hypperbone« – wie man allgemein zu sagen pflegte – hatte seinen Anfang genommen.

Im Laufe des Abends vollendete Max Real seine Reisevorbereitungen, die ihm keine Schwierigkeiten machten, und am folgenden Morgen umarmte er zum Abschied seine Mutter, unter dem Versprechen, ihr moglichst oft zu schreiben. Dann verlie? er die Nr. 3997 der Halsted Street mit dem getreuen Tommy, und zehn Minuten vor Abgang des gewahlten Zuges trafen beide zu Fu? auf dem Bahnhofe ein.

Da? das Schienennetz um die Stadt Chicago nach jeder Richtung hin ausstrahlt, wu?te Max Real schon langst; er konnte also zwischen den zwei oder drei Bahnlinien, die von hier nach Kansas fuhren, leicht die ihm passendste wahlen. Kansas grenzt zwar nicht an Illinois, wird von diesem aber nur durch den Staat Missouri geschieden. Die von dem jungen Maler zuruckzulegende Strecke betrug auch nur funfhundertfunfzig bis sechshundert (amerikanische) Meilen, je nachdem er die eine oder die andere Linie vorzog.

»Ich kenne Kansas noch nicht, sagte er fur sich, und das ist ja eine Gelegenheit, die, amerikanische Wuste’, wie man das Land fruher nannte, in Augenschein zu nehmen. Unter den dortigen Ansiedlern befinden sich obendrein nicht wenige franzosische Canadier… ich werde da also unter Landsleuten sein. denn es ist mir ja nicht verwehrt, den Weg nach dem Orte, wo ich bleiben soll, nach Belieben zu wahlen.«

Nein, das war nicht verboten. Auch der darum befragte Meister Tornbrock hatte sich in diesem Sinne ausgesprochen. William I. Hypperbone’s hinterlassene Vorschrift bestimmte nichts weiter, als da? er sich nach Fort Riley in Kansas zu begeben habe, und da? er dort am vierzehnten Tage nach der Abreise eingetroffen sein musse, um durch Telegramm die Augenzahl des zweiten, ihn betreffenden Wurfes, des achten in der Spielpartie, mitgetheilt zu erhalten. Unter den funfzig Staaten, die auf der Karte in der uns bekannten Weise geordnet waren, gab es nicht mehr als drei, wohin und nach dem darin bestimmten Orte die Partner sich so schnell als moglich zu begeben hatten, da sie dort moglicherweise schon durch die nachste Entscheidung der Wurfel abgelost werden konnten, das waren Louisiana, das neunzehnte Kartenfeld mit dem Gasthause, Nevada, das einunddrei?igste Feld mit dem Schachte, und Missouri, das zweiundfunfzigste Feld mit dem Gefangnisse.

Max Real konnte nun gar nicht besser thun, als seinem Bestimmungsorte auf dem »Schulerwege«, wie man in Frankreich sagt, zuzustreben. Ein Hitzkopf, wie der Commodore Urrican, oder ein Geizhals, wie Hermann Titbury, wurde freilich nicht so viel Geduld und Geld daran setzen, gemachlich zu reisen. Solche Leute begaben sich mit Volldampf moglichst schnell, und ohne unterwegs auch etwas sehen zu wollen, nach ihrem Reiseziele.

Max Real hatte sich folgenden Weg ausgewahlt: Statt unmittelbar nach Kansas City, schrag von Osten nach Westen durch Illinois und Missouri zu fahren, wollte er den Grand Trunk benutzen, den Schienenweg, der bei einer Lange von dreitausendsiebenhundertsechsundachtzig Meilen von New York nach San Francisco – »von Ocean zu Ocean«, sagt man in Amerika – hinfuhrt. Eine weitere Fahrt von etwa funfhundert Meilen sollte ihn nach Omaha an der Grenze von Nebraska bringen, und von da wollte er sich auf einem der Dampfer, die den Missouri hinabfahren, nach der Hauptstadt von Kansas begeben. Endlich wurde er, als Tourist und als reisender Kunstler, am bestimmten Tage in Fort Riley eintreffen.

Als Max Real den Bahnhof betrat, fand er da viele Neugierige versammelt. Ehe sie gro?e Summen an die von heute ab geltende Partie wagten, wollten die Wettenliebhaber mit eigenen Augen den Ersten sehen, der sich auf die Reise machte. Obwohl bisher noch keine Wetteinsatze, die nach gro?erer oder geringerer Wahrscheinlichkeit des Erfolgs zu bemessen waren, angenommen wurden, wollte man sich den jungen Maler bei seiner Abreise doch wenigstens angesehen haben. Flo?te sein Auftreten Vertrauen ein?… War er in »guter Form«?… Konnte man ihn als Favorit ansehen, obwohl die Moglichkeit, da? er mehrfache Einsatze zahlen mu?te, die Befurchtung erweckte, ihn unterwegs aufgehalten zu sehen?

Max Real hatte, wir mussen es gestehen, nicht das Gluck – doch was kummerte er sich darum! – seinen Mitburgern zu gefallen, schon weil er alle seine Malgerathschaften bei sich trug. Jonathan, ein praktischer Mann,

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