die Hauptstadt des Staates bildete, noch von Des Moines, der wirklichen Hauptstadt, an deren Stelle zuerst ein altes, an der Vereinigung des Flusses dieses Namens mit dem Racoon errichtetes Fort stand, und die jetzt eine, von einem dichten Eisenbahnnetz umschlossene Stadt von funfzigtausend Einwohnern geworden ist.
Die Sonne stieg endlich herauf, als der Zug bei Council Bluff, nahe der Grenze des Staates, anhielt, nur drei Meilen von Omaha, einer bedeutenden Stadt von Nebraska, dessen naturliche Grenze der Missouri bildet.
Hier erhob sich einst das »Riff des Rathes«, auf dem sich die Indianerstamme des Fernen Westens versammelten. Von hier gingen auch die Kriegszuge und Handelsexpeditionen aus, die allmahlich nahere Kenntni? uber die von der vielfachen Verzweigung der Felsengebirge bedeckten Gebiete und uber Neumexiko verbreiten sollten.
Max Real sollte diese erste Station der Union Pacificbahn nicht »verpassen«, wie er am Tage vorher schon so viele andere Stadte »verpa?t« hatte.
»Aussteigen! sagte er laut.
– Sind wir denn schon angekommen? fragte Tommy, muhsam die Augen offnend.
– Man ist allemal angekommen, wenn man sich irgendwo befindet.«
Nach dieser nicht mi?zuverstehenden Antwort sprangen beide, der eine den Rucksack auf dem Rucken, der andere eine Reisetasche in der Hand, auf den Bahnsteig hinaus.
Das nachste Dampfboot sollte vom Quai von Omaha erst um zehn Uhr vormittags abgehen. Jetzt war es erst um sechs, es fehlte demnach nicht an Zeit, Council Bluff am linken Ufer des Missouri zu besuchen. Das geschah denn auch nach einem schnell eingenommenen Fruhstuck. Dann wanderten der zukunftige Herr und der zukunftige Sclave zwischen den beiden Bahnstrecken hin, die nach zwei uber den Strom fuhrenden Brucken verlaufen und so zwei Verbindungswege mit der Hauptstadt von Nebraska bilden.
Der Himmel hatte sich aufgeheitert. Die Sonne sandte schon fruhzeitig ihre Strahlenbundel durch die Risse der Wolken, die ein leichter Ostwind uber die Ebene trieb. Wie schon war es, nach vierundzwanzigstundiger Einsperrung im Bahnwagen so freien, elastischen Schrittes dahinzuwandern!
Max Real konnte freilich nicht daran denken, eine Skizze der vor ihm liegenden Landschaft aufzunehmen. Vor seinen Augen dehnte sich ein langes, durres Ufergelande hin, das fur den Pinsel eines Malers ganz und gar nicht verlockend aussah. Der junge Mann ging auch geraden Wegs auf den Missouri zu, auf den gro?en Nebenstrom des Mississippi, der ehemals Mise Souri, Peti Kanoui, d. h. in der Indianersprache der »Schlammige Flu?«, hie? und dessen Lauf von der Quelle an hier schon dreitausend Meilen (etwa 5000 Kilometer) lang war.
Max Real hatte einen Gedanken, der ohne Zweifel weder dem Commodore Urrican noch dem Traineur Tom Crabbe’s, ja nicht einmal Harris T. Kymbale gekommen ware: er wollte sich so viel wie moglich der Neugier des Publicums entziehen. Deshalb hatte er auch schon in Chicago uber den von ihm einzuschlagenden Weg gegen niemand gesprochen. Die Stadt Omaha interessierte sich ja nicht weniger als die ubrigen Stadte fur diese Partie des Edlen Vereinigte Staatenspiels, und hatte sie gewu?t, da? der zuerst Abgereiste diesen Morgen in ihren Mauern weilen sollte, so ware einer so wichtigen Personlichkeit gewi? ein ehrenvoller Empfang bereitet worden.
Es hatte einer freilich taub sein mussen, um das Trappeln… (S. 104.)
Omaha ist eine ziemlich bedeutende Stadt und zahlt, einen Vorort im Suden eingerechnet, reichlich hundertfunfzigtausend Einwohner. Es war der Boom – von Reclus treffend die Periode der Reclame, der Speculation, der Agiotage und gleichzeitig die emsiger Arbeit genannt – der sie, wie manche andre Stadt, mit allem Zubehor von Industrie und Civilisation aus einer Wuste aufwachsen lie?.
Wie hatten die Omahier als geborene Spieler der Versuchung widerstehen konnen, auf den oder jenen Partner zu wetten, den der blinde Zufall durch die Gebiete der Union sendete? Und hier war einer, der sich nicht herablie?, ihnen seine Anwesenheit zu verrathen! Offenbar that Max Real nichts, sich die Gunst seiner Mitburger zu erwerben. Er begnugte sich, in einem bescheidenen Hotel zu speisen, ohne seinen Namen und Stand bekanntzugeben. Es war ja moglich, da? der Zufall ihn noch mehrmals nach Nebraska oder nach den Staaten zuruckfuhrte, wohin der westliche Theil des Grand Trunk verlief. In Omaha nimmt der lange Schienenweg seinen Anfang, der zwischen dieser Stadt und Ogden den Namen Pacific Union, und zwischen Ogden und San Francisco den Namen Southern Pacific fuhrt. Unter den Linien, die Omaha mit New York verbinden, hat der Reisende nur die Qual der Wahl.
Max Real spazierte also unerkannt durch die hervorragendsten Quartiere dieser Stadt, deren Stra?en, ganz wie die des benachbarten Council Bluff, an ein Schachbrett erinnern, so regelma?ig und rechtwinklig liegen die von ihnen gebildeten vierundfunfzig Felder aneinandergereiht.
Um zehn Uhr kehrte der junge Maler mit Tommy durch den nordlichen Theil der Stadt nach dem Missouri zuruck und ging am Quai bis zur Landungsstelle des Dampfers hinunter.
Der »Dean Richmond« lag zur Abfahrt bereit. Seine Kessel schnauften wie ein Betrunkener, sein Balancier wartete nur auf den Befehl, sich uber dem Spardeck in Bewegung zu setzen. Die Zeit eines Tages sollte fur den »Dean Richmond« ausreichen, die hundertfunfzig Meilen (250 Kilometer) bis Kansas City zuruckzulegen.
Max Real und Tommy nahmen ihre Platze auf dem Oberdeck des Hintertheils ein.
Hatten die Passagiere gewu?t, da? hier ein Theilnehmer an der beruhmten Partie mit ihnen auf den Wogen des Missouri bis Kansas City fahren wollte, das hatte einen begeisterten Empfang gegeben! Max Real bewahrte aber auch hier das strengste Incognito, und Tommy hatte es nicht gewagt, ihn zu verrathen.
Um zehn Uhr zehn Minuten wurden die Sorrtaue losgeworfen, die machtigen Schaufeln der Rader peitschten das Wasser und der Dampfer glitt in der Stromung des Flusses hin, worauf zahlreiche Bimssteinstucke schwammen, die an den Quellen in den Schluchten der Felsengebirge losgerissen worden waren.
Langs der flachen, grunenden Ebenen von Kansas bieten die Ufer des Missouri nirgends den malerischen Anblick, den ihnen stromaufwarts vielfache Anhaufungen von Felsen verleihen. Hier wird der gelbliche Strom nicht mehr von Katarakten, Barren oder Schleusen unterbrochen, auch nicht durch Wirbel und Stromschnellen gestort. Schon angeschwellt durch die Wassermassen vieler, aus fernen Gegenden Canadas kommender Zuflusse, gewinnt er hier durch zahlreiche Nebenflusse, deren wichtigster der Yellowstone River ist, bedeutend an Breite.
Der »Dean Richmond« glitt hurtig inmitten der Flottille von kleineren Dampfern und Segelfahrzeugen hin, die die untere Stromstrecke beleben, denn die obere, stromaufwarts liegende Strecke ist kaum schiffbar, da sie im Winter vom Eise verschlossen und in der Hitze des Sommers nahezu trocken gelegt wird.
Das Schiff gelangte zunachst nach Platte City, an dem Flusse, der dem Staate einen seiner Namen giebt, denn er hei?t auch der Nebraska. Offenbar richtiger ist aber der Name Platte, denn er windet sich zwischen flachen, grasbestandenen und fast waldlosen Gebieten hin und hat auch nur geringe Tiefe. Funfundzwanzig Meilen weiter hin lief der Dampfer Nebraska City an, den Platz, der den eigentlichen Hafen von Lincoln, der Hauptstadt des Staates, bildet, obgleich diese noch um etwa zwanzig Meilen westlich von dem Strome liegt.
Im Laufe des Nachmittags konnte Max Real in der Hohe von Atchinson einige Skizzen aufs Papier werfen und auch einen hubschen Punkt in der Nahe von Leavenworth, wo der Missouri mit einer der schonsten Brucken seines ganzen Verlaufs uberspannt ist. Hier war es, wo 1827 ein Fort zum Schutze des Landes gegen wilde Indianerstamme errichtet wurde.
Kurz vor Mitternacht kamen der junge Maler und Tommy in Kansas City an. Sie hatten nun noch zwolf Tage ubrig, das Fort Riley zu erreichen, wohin sie sich gema? der Bestimmung William I. Hypperbone’s zu begeben hatten.
Zunachst suchte Max Real ein gutes Hotel auf, wo er nach vierundzwanzigstundiger Eisenbahn-und vierzehnstundiger Dampferfahrt eine ruhige Nacht verbrachte.
Der folgende Tag wurde dem Besuche der Stadt gewidmet, eigentlich der zwei Stadte, denn es giebt zwei Kansas, am rechten und am linken Ufer des Missouri, der hier eine enge Schleife bildet. Durch den Kansas River getrennt, gehort aber die eine Stadt zum Staate Kansas, die andre zum Staate Missouri. Die zweite ist bei weitem bedeutender, sie hat hundertdrei?igtausend Einwohner, wahrend die erstere deren nur achtunddrei?igtausend zahlt. Lagen beide in dem namlichen Staate, so wurden sie thatsachlich nur ein einziges Gemeinwesen bilden.
Uebrigens lag es auch in Max Real’s Absicht, weder in dem Kansas von Kansas, noch in dem Kansas von Missouri langer als vierundzwanzig Stunden zu verweilen. Die beiden Stadte gleichen sich wie zwei Damenbretter,