Lissy Wag noch einmal das Wort an sie richtete.

»Ist denn heute nicht der elfte Mai? fragte diese.

– Gewi?, der elfte, meine Liebe, antwortete sie eifrig und mit heller Stimme; schon seit zwei Tagen sollten wir eigentlich in einem Hotel der schonen Stadt Milwaukee wohnen… wenn, wenn wir nicht durch eine Bronchitis hier an die Scholle gebannt waren.

– Ja, da wir aber den elften Mai haben, fuhr Lissy Wag fort, mu? heute zum sechstenmale gewurfelt worden sein.

– Ganz richtig.

– Nun… und…?

– Und?… Nein, siehst Du, in meinem Leben hab’ ich noch kein so gro?es Vergnugen gehabt!… Komm, Schatz, la? Dich umarmen! Ich wollte Dir eigentlich nicht davon erzahlen, da Du keine Aufregung erfahren sollst. Nun, sei es… es uberwaltigt mich einmal!

– So sprich doch, Jovita!

– Stelle Dir nur vor, meine Liebe, er hat auch neun Augen erhalten, aber aus vier und funf gebildet…

– Welcher er?…

– Nun, der Commodore Urrican…

– O, mir scheint dieser Wurf noch besser zu sein, als…

– Ja wohl, er verweist ihn mit einem Male nach dem dreiundfunfzigsten Felde… also viel weiter als alle ubrigen; er ist aber auch herzlich schlecht.«

Jovita Foley uberlie? sich einem ebenso au?ergewohnlichen wie unerklarlichen Jubilieren.

»Und warum ist er schlecht? fragte Lissy Wag.

– Weil der Commodore damit zum Teufel gejagt ist.

– Zum Teufel?…

– Ja freilich, bis zum au?ersten Ende von Florida.«

Das war in der That das Ergebni? des heutigen Wurfelfalles, und Meister Tornbrock. der gegen Hodge Urrican noch eine etwas gereizte Stimmung bewahrte, verkundete diesen Ausfall mit sichtbarer Befriedigung. Der Commodore freilich mochte ihn wohl mit aufbrausendem Ingrimm vernommen haben, vielleicht hatte er gleichzeitig Turk zuruckhalten mussen, seiner Wuth die Zugel schie?en zu lassen. Etwas Sicheres wu?te Jovita daruber freilich nicht, da sie den Saal des Auditoriums nach der Verkundigung des Meister Tornbrock sofort verlassen hatte.

»Nach dem au?ersten Ende von Florida, rief sie immer wieder. nach dem allerau?ersten Ende von Florida… uber zweitausend Meilen weit von hier!«

Diese Mittheilung erregte ubrigens die Kranke beiweitem nicht in dem Grade, wie ihre Freundin es gefurchtet hatte. Ihr gutmuthiger Charakter lie? sie den Commodore sogar aufrichtig bedauern.

»Nun, und so gleichgiltig nimmst Du die Sache auf? rief ihre ungestume Gefahrtin.

– Ach ja… der arme Mann!« murmelte Lissy Wag.

Der Tag verlief nicht schlecht, wenn auch noch von keiner eigentlichen Genesung die Rede sein konnte. Immerhin waren ernste Complicationen, die ein kluger Arzt stets im Auge behalt, nicht mehr zu furchten.

Vom nachsten Tage, dem 12., an, konnte sich Lissy Wag schon aufrichten, um etwas Nahrung zu nehmen. Da es ihr noch nicht erlaubt war, das Bett zu verlassen, obwohl das Fieber ganz verschwunden war, wurden beiden, vorzuglich Jovita Foley, die Stunden recht lang. Jovita setzte sich also wieder ins Krankenzimmer, und hier sollte nun die Unterhaltung – wenn auch nicht in der Form eines Dialogs, so doch in der eines Monologs – nicht wieder versiegen.

Wovon hatte Jovita Foley aber plaudern sollen, wenn nicht von Wisconsin, ihrer Rede nach dem schonsten und merkwurdigsten Staate der Union. Ihr Guide-book vor Augen, fand sie gar kein Ende. Konnte Lissy Wag auch erst am letzten Tage abreisen und sich dort nur wenige Stunden aufhalten, so mu?te sie Wisconsin ebenso gut kennen, als wenn sie mehrere Wochen daselbst verweilt hatte.

»Denke Dir nur, meine Liebe, sagte Jovita Foley in bewunderndem Tone, da? es fruher nach einem Flusse gleichen Namens Mesconsin hie? und da? es nirgends ein Land giebt, das sich mit ihm vergleichen konnte! Im Norden sieht man noch die Reste jener alten Fichtenwaldungen, die einst sein ganzes Gebiet bedeckten. Daneben besitzt es Thermalquellen, die denen Virginiens uberlegen sind, und ich bin uberzeugt, wenn Deine Bronchitis…..

– Sehr schon; wir haben uns aber doch wohl nach Milwaukee zu begeben?

– Ganz recht… nach Milwaukee, der bedeutendsten Stadt des Staates, deren Namen in alter Indianersprache soviel wie »Schones Land« bedeute – einer Stadt von zweimalhunderttausend Einwohnern, darunter viele Deutsche. Man nennt sie wohl auch das deutsch-amerikanische Athen. Ach, wenn wir schon dort waren, welch reizende Spaziergange gab’ es da an den hohen Ufern, wo sich langs des Milwaukeeflusses prachtige Hauserreihen erheben, vornehme und saubere Stadttheile… durchweg aus milchwei?en Backsteinen erbaut, wonach die Stadt einen besondern Namen bekommen hat… nun… Du errathst ihn nicht?

– Nein, Jovita.

– Cream City, meine Liebe, die Sahnestadt!… Da konnte man sein Wei?brod hubsch eintauchen! Ach, warum mu? diese verwunschte Bronchitis uns hindern, sofort dahin zu gehen!«

Wisconsin hat ubrigens noch manche andere Stadte, die zu besuchen Beide Zeit gehabt hatten, wenn sie gleich am 9. hatten abreisen konnen, z. B. Madison, das auf einer Landenge, fast einer Brucke, zwischen dem Mendota und dem Mononasee, die miteinander in Verbindung stehen, erbaut ist; ferner andere Orte mit auffallenden Namen, wie Fond du Lac am Southern Foxflusse, dessen Umgebung von artesischen Brunnen so durchlochert ist, da? sie einen wahren Schaumloffel bildet. Dann eine hubsche Ortschaft, Eau Claire, mit einem silberhellen Bergflusse, der ihren Namen rechtfertigt. Endlich den Winnebagosee, die Green Bay, den Ankerplatz der Zwolf Apostel vor der Ashlandbai, und den Teufelssee, eine der naturlichen Schonheiten dieses wunderbaren Wisconsin.

Mit lauter Stimme las Jovita Foley die Seiten aus ihrem Reisefuhrer ab und berichtete dabei uber die verschiedenen Entwickelungsperioden des Landes, das fruher einmal der Wohnsitz von Indianerstammen war, dann von Franco-Canadiern, zur Zeit als es noch Badger State (Dachsland) hie?, sozusagen neu entdeckt und colonisiert wurde.

Am fruhen Morgen des 13. war die Neugier der gro?en Menge in Chicago so gut wie verdoppelt. Die Tageszeitungen hatten die Gemuther bis zum hochsten Grade in Spannung versetzt. Im Saale des Auditoriums wimmelte es von Neugierigen ebenso wie an jenem Tage, wo das Testament William I. Hypperbone’s offentlich verlesen wurde. Um acht Uhr fruh sollte ja zum siebentenmale gewurfelt werden, und zwar fur die geheimni?volle und rathselhafte Personlichkeit, die man nur unter den Buchstaben X. K. Z. kannte.

Lissy Wag und Jovita Foley lehnten im Fenster… (S. 190.)

Vergeblich hatten sich viele bemuht, das Incognito dieses Partners zu entschleiern. Die gewandtesten Berichterstatter, die scharfsten Spurnasen der Localchronik waren daran gescheitert. Mehrmals glaubten sie schon, eine Fahrte entdeckt zu haben, doch immer erwies sich diese als falsch. Anfangs glaubte man allgemein, der Entseelte habe mittelst des dem Testamente angefugten Codicills einen seiner Collegen aus dem Excentric Club als Siebenten an dem gro?artigen Match betheiligen wollen. Man nannte wohl auch den Namen Georges B. Higginbotham, der Betreffende widersprach aber mit Bestimmtheit jener schon weitverbreiteten Vermuthung.

Wurde hieruber eine Frage an Meister Tornbrock gerichtet, so erklarte dieser, da? auch er nichts weiteres wisse und keinen anderen Auftrag habe als den, an die Postamter der Orte, wo sich der »Mann mit der Maske« – wie man zu sagen pflegte – aufzuhalten verpflichtet sei, das Ergebni? des Wurfelns zu telegraphieren.

Inzwischen erwartete man, und vielleicht nicht ohne Grund, da? der Herr X. K. Z. an diesem Morgen auf den Aufruf derselben Buchstaben antworten werde. Das hatte die Massenansammlung veranla?t, von der nur ein kleiner Theil ein Platzchen vor der Buhne erlangen konnte, worauf der Notar und die Mitglieder des Excentric Club erschienen. Zu Tausenden drangten sich die Leute noch in den benachbarten Stra?en und in den schattigen Gangen des Lake-Park.

Die Neugier erfuhr eine vollkommene Enttauschung. Maskiert oder nicht – jedenfalls tauchte kein Individuum

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату