aus.
»Fur Mi? Lissy Wag? wiederholte er.
– Ja… aus Chicago, antwortete Jovita Foley.
– Die Depesche ist hier, sagte der Beamte, indem er das Telegramm der Adressatin einhandigte.
– Bitte… gieb es mir! rief Jovita Foley. Du brauchtest zu lange Zeit, es zu offnen, und ich konnte wieder einem nervosen Anfalle unterliegen!«
Mit vor Ungeduld zitternden Handen offnete sie das Papier und las darin:
»Lissy Wag, Post Office, Milwaukee, Wisconsin.
Zwanzig durch zweimal zehn; sechsundvierzigstes Feld, Staat Kentucky, Mammuthhohlen.
Tornbrock.«
Dreizehntes Capitel.
Abenteuer des Commodore Urrican.
Am 11. Mai um acht Uhr morgens hatte der Commodore Urrican erfahren, wie viel Augen bei dem ihn angehenden sechsten Wurfeln gefallen waren, und funfundzwanzig Minuten nach neun Uhr dampfte er schon von Chicago ab.
Er hatte, wie man sieht, keine Zeit verloren und durfte auch keine verlieren wegen der Verpflichtung, sich nach Verlauf von vierzehn Tagen am sudlichsten Ende der Halbinsel von Florida zu befinden.
Neun durch vier und funf Augen – einer der besten Wurfe der Spielpartie! Mit einem Sprunge wurde der gluckliche Spieler dadurch nach dem dreiundfunfzigsten Felde versetzt. Freilich war es nach der von William I. Hypperbone beliebten Eintheilung der Landkarte der Staat Florida, der fur jenes Feld galt, derjenige Staat, der in der Nordamerikanischen Republik am weitesten im Sudosten lag.
Die Freunde Hodge Urrican’s – richtiger seine Parteiganger, denn Freunde hatte er eigentlich nicht, wenn auch gewisse Leute gerade auf den Sieg eines so schlecht beleumundeten Mannes hofften – wollten ihn beim Verlassen des Auditoriums begluckwunschen.
»Aber ich bitte Sie, warum denn? antwortete er in dem murrischen Tone, der der Unterhaltung mit ihm einen so eigenen Reiz verlieh. Warum wollen Sie mich mit Ihren Gluckwunschen belasten, wahrend ich erst im Abreisen bin? Das wird fur mich nur eine Gepackuberfracht zur Folge haben!
– Commodore, wendete einer der Anwesenden ein, funf und vier ist ein vortrefflicher Anfang…
– Ein vortrefflicher… freilich… vor allem fur Leute, die gerade in Florida etwas zu thun haben!
– Bedenken Sie, Commodore, da? Sie uber alle Ihre Mitbewerber sofort einen gro?en Vorsprung gewinnen.
– Ich denke, das ist auch nicht mehr als recht und billig, da ich erst als letzter abreisen kann.
– Ja, doch von dem Ihnen zugewiesenen Felde, Herr Urrican, brauchen Sie nur noch beim Wurfeln zehn Augen zu erhalten, um das Endziel zu erreichen, und damit hatten Sie die Partie mit zwei Schlagen entschieden.
– Ja freilich, meine Herren!… Doch wenn ich neun Augen erhielte, ware das auf dem nachstfolgenden Wurf schon unmoglich, und waren es mehr als zehn, so mu?te ich sogar – wer wei?, wie weit? – wieder zuruckgehen.
– Immerhin, Commodore, jeder andere wurde an Ihrer Stelle sehr zufrieden sein.
– Wohl moglich… ich bin es aber nicht!
– Bedenken Sie doch… vielleicht winken Ihnen sechzig Millionen Dollars bei Ihrer Ruckkehr!
– Die hatt’ ich ebensogut eingesackt, wenn das dreiundfunfzigste Feld ein dem unseren benachbarter Staat gewesen ware!«
Das war ja gewi? richtig, doch hatte Urrican, obwohl er es nicht zugeben wollte, den funf anderen Partnern gegenuber einen entschiedenen Vorsprung. Von diesen konnte unbedingt keiner das letzte Feld durch den nachsten Wurf erreichen, was dem Commodore doch durch zehn Augen moglich war.
Hodge Urrican verschlo? sein Ohr nun einmal vor der Stimme der Vernunft, und selbst wenn er nach einem der Nachbarstaaten von Illinois, nach Indiana oder Missouri, gewiesen worden ware, hatte er auf jene Stimme doch nicht gehort.
Murrend und heimlich wetternd war der Commodore Urrican nach seinem Hause in der Randolph Street zuruckgekehrt. Turk, der naturlich mit ihm ging, machte seinem Groll in so heftigen Ausfallen Luft, da? sein Herr ihm Schweigen gebieten mu?te.
Sein Herr?… Hodge Urrican war also Turk’s Herr, obgleich Amerika einestheils die Aufhebung der Sclaverei verkundigt hatte, und anderntheils Turk trotz seines sonnengebraunten Gesichtes doch nicht als Neger gelten konnte?
War dieser also ein Diener des alten Seebaren?… Ja und nein.
Erstens bezog Turk, wenn er auch in Diensten beim Commodore stand, keinerlei Gehalt oder Lohn. Wenn er Geld brauchte – das war immer nur wenig – so verlangte er solches, und es wurde ihm gegeben. Man hatte ihn eher einen »Gesellschafter« nennen konnen, wie man ahnlich von derartigen Damen im Gefolge von Furstinnen spricht. Die gesellschaftliche Kluft, die Hodge Urrican und Turk trennte, gestattete es inde? nicht, letzteren als Standesgenossen seines Herrn anzusehen.
Turk – sein richtiger Name – war ein fruherer Seemann von der Bundesmarine, der immer, als Schiffsjunge, Leicht-und Vollmatrose und als Bootsmann, also von unten auf, in staatlichem Dienste gefahren war. Stets befand er sich dabei, was hier betont werden mag, auf denselben Schiffen wie Hodge Urrican, der im Laufe der Zeit Cadett, Officier, Capitan und schlie?lich Commodore wurde. Beide kannten sich also grundlich, und Turk war so ziemlich der einzige Mensch, mit dem der hitzkopfige Offizier sich noch leidlich vertragen konnte. Das erklart sich vielleicht dadurch, da? jener noch aufbrausender war als dieser, dessen Streitigkeiten er zu den seinigen machte, und da? er stets bereit war, denen ubel mitzuspielen, die nicht das Gluck hatten, ihm zu gefallen.
Bei den verschiedensten Fahrten befand sich Turk haufig in personlicher Dienstleistung bei Hodge Urrican, der seine Eigenschaften zu schatzen wu?te und dem er endlich unentbehrlich geworden war. Als der Commodore dann das Alter erreicht hatte, wo er aus dem activen Dienste scheiden mu?te, ging auch Turk, dessen Capitulationszeit abgelaufen war, von der Marine ab, begab sich zu seinem fruheren Vorgesetzten und trat unter den uns bekannten Verhaltnissen in dessen Dienste. Jetzt versah er schon seit drei Jahren in dem Hause der Randolph Street den Posten eines Verwalters, der nichts zu verwalten hatte, oder also etwa den eines Ehren- Aufsehers.
Bisher sagten wir noch nicht – und keiner mochte das vermuthet haben – da? Turk eigentlich der sanftmuthigste, rucksichtsvollste und friedliebendste Mensch war, mit dem sich jedermann leicht vertragen konnte. Schon an Bord war er jedem Streite abhold, betheiligte sich nie an den Raufereien zwischen den Matrosen und erhob nie die Hand gegen irgend jemand, selbst wenn er seine Glaschen Wisky oder Gin, ohne sie angstlich zu zahlen, genossen hatte, und hielt sich immer stramm wie eine gut segelnde Fregatte mit sechzig Geschutzen.
Es konnte deshalb auffallend erscheinen, da? er, ein so ruhiger, friedfertiger Mann, den argsten Hitzkopf der Welt jetzt an Heftigkeit ubertraf oder diesen doch zu ubertreffen sich den Anschein gab.
Turk bewahrte aber einmal fur den Commodore trotz dessen Ungeselligkeit eine aufrichtige Zuneigung. Er glich sozusagen einem der getreuen Hunde, die nur noch wuthender bellen, wenn ihr Herr auf jemand bose wird. Wenn der Hund dabei aber nur seiner Natur gehorcht, so verleugnete Turk die seine vollstandig, und doch hatte die Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit noch lauter und ingrimmiger als Hodge Urrican aufzutreten, der Sanftmuth seines Charakters keinen Eintrag gethan. Sein Zorn war nur Blendwerk, er spielte eine Rolle, freilich ganz vortrefflich, denn er hatte sich mit der Zeit in diese vollig eingelebt.
Er that also alles rein aus Liebe zu seinem Herrn und in der Absicht, diesen zu zahmen, indem er ihn uberbot, und durch die Folgen, die sein – Turk’s – Jahzorn haben konnte, zu erschrecken. Bemuhte sich Hodge Urrican namlich, Turk zu besanftigen, so wurde er schlie?lich selbst dadurch ruhiger. Sprach der eine davon, einem, dem er ubel wollte, tuchtig die Wahrheit zu sagen, so war der andere schon bereit, den Betreffenden zu ohrfeigen, und ihn todt auf dem Platze zu lassen, wenn der Commodore diesen blos mit einer Ohrfeige bedrohte. Dann bemuhte sich der Commodore, Turk Vernunft beizubringen, und auf diese Weise verhinderte der brave Diener oft Auftritte, die fur seinen Herrn nicht ohne Nachtheil abgelaufen waren.