Calais, Maine, am 19. Mai 1897.
Der Gerichtsschreiber
Walter Hoek.«
Hermann Titbury hatte sich also, nicht ohne langes, bis zum 19. Mai anhaltendes Widerstreben zur Zahlung dieser Summe entschlie?en mussen. Als dann die Identitat des dritten Partners zweifellos festgestellt und nachgewiesen war, da? es Herr und Frau Titbury waren, die unter dem Namen Herr und Frau Field reisten, hatte der Richter R. T. Ordak dem Verurtheilten nach dreitagiger Hast die weitere Strafe erlassen.
Es war auch die hochste Zeit.
An diesem Tage, dem 19., hatte der Notar Tornbrock zum sechstenmale gewurfelt und dem betreffenden Spieler telegraphisch nach Calais daruber Nachricht gegeben.
Beleidigt, da? sich einer der Theilnehmer am Match Hypperbone in ihrer Stadt unter falschem Namen verborgen hatte, zeigten sich die Bewohner des Ortes jenem wenig entgegenkommend und lachelten sogar uber sein Mi?geschick. Waren sie zuerst hoch erfreut gewesen, da? in Maine vom seligen Hypperbone Calais als entscheidender Punkt ausgewahlt worden war, so konnten sie es letzt der blauen Flagge nicht verzeihen, sie von ihrem Eintreffen nicht benachrichtigt zu haben. Die Folge davon war denn auch, da? der richtige Name des Partners, als er nun bekannt geworden war, keinerlei Aufsehen verursachte. Sobald der Gefangni?warter ihn in Freiheit gesetzt hatte, schlug Hermann Titbury den Weg nach seinem Gasthause ein. Doch kein Mensch gab ihm das Geleit, keiner wendete bei seinem Voruberkommen nach ihm den Kopf um. Das wurdige Ehepaar liebte auch das Zujubeln der Menge, woruber Harris T. Kymbale sich so sehr freute, ganz und gar nicht und hatte nur den einen Wunsch, Calais so bald wie moglich zu verlassen.
Es war jetzt neun Uhr morgens und somit fehlten noch drei Stunden bis zu dem Augenblicke, wo Titbury im Postamte erscheinen mu?te. Beim Thee und kalten Braten ihres Fruhstucks beschaftigten sich die Ehegatten auch damit, uber ihre Geldverhaltnisse ins Reine zu kommen.
»Wieviel haben wir seit unserer Abfahrt von Chicago schon ausgegeben? fragte der Gatte.
– Achtundachtzig Dollars und siebenunddrei?ig Cents, antwortete die Gattin.
Da las sie denn mit immer schwacher werdender Stimme… (S. 267.)
– Wirklich… so viel?…
– Und dabei haben wir unterwegs kein Geld zum Fenster hinausgeworfen.«
Wer kein Titbury’sches Blut in den Adern hatte, hatte im Gegentheil erstaunen mussen, da? die bisherigen Ausgaben nicht mehr betrugen. Dazu kamen freilich noch die dreihundert Dollars Strafgelder, womit der der Titbury’schen Casse widerfahrene Aderla? schon zu einem recht ausgiebigen wurde.
»Und wenn uns die Depesche, die wir von Chicago erhalten sollen, nur nicht etwa verpflichtet, nach dem anderen Ende des Landes zu reisen! seufzte Herr Titbury.
– Wir mu?ten uns aber doch dazu entschlie?en, erklarte Frau Titbury mit Entschiedenheit.
– Ich verzichtete lieber auf die ganze Geschichte…
– Schon wieder! rief die rechthaberische Matrone. Ich rathe Dir, lass’ es das letztemal sein, da? Du davon sprichst, auf die Aussicht, sechzig Millionen Dollars zu gewinnen, voreilig zu verzichten!«
Endlich vergingen die drei Stunden, und zwanzig Minuten vor zwolf Uhr stellte sich das Ehepaar im Schalterraume des Postamtes ein und wartete hier ungeduldig der Dinge, die da kommen sollten. Au?er den beiden Titburys hatte sich kaum ein halbes Dutzend Neugieriger mit hier eingefunden.
Welcher Unterschied gegenuber dem Andrange zur Zeit, wo die anderen Partner zu gleichem Zwecke in Fort Riley, in Austin, in Santa-Fe, in Milwaukee und in Key West vor den Schaltern der Telegraphenbureaus standen!
»Ein Telegramm fur Herrn Hermann Titbury aus Chicago,« rief jetzt der Beamte.
Die angerufene Personlichkeit erbla?te in dem Augenblicke, wo sich ihr weiteres Schicksal entscheiden sollte. Die Beine des Mannes knickten zusammen und seine Zunge unterlag einer Halblahmung, so da? er augenblicklich nicht sprechen konnte.
»Hier! antwortete Frau Titbury, die ihren Mann an den Schultern schuttelte.
– Das ist der berechtigte Empfanger dieser Depesche? fragte der Beamte.
– Das will ich meinen!… Ob er es ist! rief Frau Titbury.
– Ob ich es bin! meldete sich endlich der dritte Partner. Erkundigen Sie sich nur bei dem Richter Ordak!… Es hat mir schon mehr als genug gekostet, mich wegen meiner Identitat nicht weiter drangsalieren zu lassen!«
In dieser Beziehung konnte also kein Zweifel obwalten. Das Telegramm wurde daraufhin der Frau Titbury ausgehandigt und von dieser erbrochen, denn der zitternden Hand ihres Mannes ware das unmoglich gewesen.
Da las sie denn mit immer schwacher werdender Stimme, die bei den letzten Worten fast ganz versagte:
»Hermann Titbury, zwei Augen durch eins und eins. Great Salt Lake City, Utah. Tornbrock.«
Das Ehepaar wurde durch die schlecht verhehlten Spotteleien der ubrigen Anwesenden beinahe ohnmachtig. Sie mu?ten sich auf einer Bank des Vorraumes niederlassen.
Das erstemal durch eins und eins nach dem zweiten Felde tief im Staate Maine geschickt zu sein, und das zweitemal, wieder durch eins und eins, nach dem vierten Felde im fernen Utah gehen zu sollen… vier Augen durch zweimaliges Wurfeln… das war doch gar zu arg! Und obendrein sollten die Pechvogel, die sich zuerst von Chicago nach dem einen Ende der Union begeben hatten, nun fast deren anderes Ende im fernen Westen aufsuchen!
Nach einigen Minuten gewi? verzeihlicher Schwache raffte Frau Titbury sich wieder auf, wurde wieder das entschlossene Mannweib, das die Zugel fuhrte, packte ihren Gatten am Arme und schleppte ihn nach dem Gasthause Sandy Bar.
Nein, das war doch ein gar zu ausgesprochenes Pech! Welchen Vorsprung hatten schon die anderen Partner, Tom Crabbe, Max Real, Harris T. Kymbale und Lissy Wag, vom Commodore Urrican ganz zu schweigen! Sie flogen wie Hafen ubers Feld, und sie… sie krochen wie Schnecken dahin!… Zu den Tausenden von Meilen zwischen Chicago und Calais kamen nun fur sie wiederum zweitausendzweihundert Meilen, die Strecke von Calais bis zur Great Salt Lake City…
Entschlossen sich die Titburys jetzt nicht zum Austritt aus dem Match, so durften sie sich, wollten sie in Chicago einige Tage rasten, in Calais nicht langer aufhalten, da ihnen, sich nach Utah zu begeben, nur der Zeitraum vom 19. Mai bis zum 2. Juni zur Verfugung stand. Und da Frau Titbury nicht zustimmte, die Partie aufzugeben, verlie? das Ehepaar Calais noch am namlichen Tage mit dem ersten geeigneten Zuge, begleitet von den Gluckwunschen der ganzen Einwohnerschaft fur… fur die anderen Partner.
Nach einem solchen Ungluck sank der Curs des dritten Partners, wenn dieser uberhaupt einen gehabt hatte, jedenfalls auf einen lacherlich tiefen Stand hinunter. Die blaue Flagge wurde nicht mehr zur »Classe« gerechnet; sie konnte unmoglich »placiert« werden.
Das ungluckselige Paar brauchte sich uber den jetzt einzuschlagenden Reiseweg nicht erst den Kopf zu zerbrechen, denn das war derselbe, auf dem sie nach Maine gekommen waren. In Chicago angelangt, standen ihnen dann die Zuge der Union Pacific zur Verfugung, die uber Omaha, Granger und Ogden nach der Hauptstadt von Utah laufen.
Am Nachmittage wurde die kleine Stadt befreit von der Gegenwart der wenig sympathischen Leute, die hier eine so traurige Rolle gespielt hatten Man hoffte, da? die Wechselfalle des Edlen Vereinigte Staatenspiels sie nicht noch einmal hierher verschlugen, und sie selbst hegten naturlich denselben Wunsch.
Nach achtundvierzig Stunden trafen die beiden Titburys in Chicago ein; sie fuhlten sich aber recht erschopft von den Anstrengungen der Reise, denen ihr Alter nicht mehr recht gewachsen war und die ihrer Lebensgewohnheit ganz und gar nicht entsprachen. Sie mu?ten sich sogar einige Tage ausschlie?lich in ihrem Hause in der Robey Street aufhalten. Herr Titbury hatte namlich gerade einen Anfall von Rheumatismus der Funfzigjahrigen erlitten, den er gewohnlich mittels… Nichtbeachtung behandelte – eine billige Behandlungsweise, die seines filzigen Geizes wurdig war.
Jetzt versagten ihm aber die Beine thatsachlich den Dienst, so da? er vom Bahnhofe nach seinem Hause