geschafft werden mu?te.
Selbstverstandlich verkundeten die Zeitungen sein Eintreffen. Die Berichterstatter der »Staatszeitung«, die bisher etwas auf ihn gehalten hatten, machten ihm auch einen Besuch. Als sie ihn aber in so elendem Zustande antrafen, verlor er selbst bei ihnen an Werth, und in den Wettagenturen gab es fur ihn keine Nehmer, nicht einmal zum Satze von sieben zu eins.
Dabei rechnete man freilich ohne Kate Titbury, die hier die erste Geige spielte und das auch handgreiflich bewies. Sie behandelte den Rheumatismus ihres Mannes nicht mit Nichtbeachtung, sondern mit Gewalt. Unterstutzt von ihrem Drachen von Dienstmadchen frottierte sie den Rheumatiker mit solcher Kraft, da? dieser daruber fast die Haut von den Beinen einbu?te. Kein Pferd, kein Maulesel war je so energisch gestriegelt worden. Es bedarf naturlich keiner Erwahnung, da? hier weder ein Arzt noch ein Apotheker etwas drein zu reden hatte, und vielleicht befand sich der Patient darum um so besser.
Kurz, dieser Zwischenfall fuhrte nur eine Verzogerung von vier Tagen herbei. Am 23. waren alle Anstalten zur Weiterreise getroffen. Dazu mu?ten dem Geldschranke freilich einige Tausenddollarsscheine entnommen werden, und am Morgen des 24. machten sich Mann und Frau wieder auf den Weg, obwohl sie noch reichlich Zeit hatten, die Mormonenstadt bis zum nachsten entscheidenden Termin zu erreichen.
Die Eisenbahn von hier geht namlich direct nach Omaha; von diesem Punkte aus schlie?t sich die bis Ogden reichende Union Pacific an und dehnt ihre Geleise unter dem Namen Southern Pacific bis San Francisco aus.
Alles in allem erschien es noch als ein Gluck, da? das Titbury’sche Ehepaar nicht nach Californien gewiesen worden war, denn die Reise dahin ware noch um tausend Meilen langer gewesen.
Am Nachmittage des 28. kamen sie in Ogden an – eine wichtige Station, von der sich eine Nebenlinie nach Great Salt Lake City abzweigt.
Hier kam es zu einem Zusammensto? – doch nicht etwa zwischen zwei Zugen – sondern zwischen zweien der Partner, einem Zusammentreffen, das recht eigenthumliche Folgen haben sollte.
An jenem Nachmittage war namlich Max Real auf dem Ruckwege vom Nationalpark ebenfalls in Ogden eingetroffen. Von hier wollte er sich am nachsten Tage, dem 29., nach Cheyenne begeben, um dort den Ausfall des dritten, ihm geltenden Wurfelns zu erfahren. Als er da seelenvergnugt auf dem Bahnsteige des Stationsgebaudes umherwandelte, sah er sich plotzlich Auge in Auge jenem Titbury gegenuber, mit dem er den Leichenzug William I. Hypperbone’s begleitet und wahrend der Verlesung des Testamentes des excentrischen Verstorbenen auf der Buhne des Auditoriums gesessen hatte.
Diesmal hatte sich das Paar weislich gehutet, unter angenommenem Namen zu reisen; es wollte sich nicht wieder Unannehmlichkeiten, wie den in Calais erlebten, aussetzen. Wenn die Ehegatten es auch unterlie?en, sich unterwegs erkennen zu geben, so wollten sie wenigstens in dem von ihnen zu wahlenden Hotel von Great Salt Lake City den richtigen Namen ins Fremdenbuch eintragen. Es erschien ihnen ja unnutz, unterwegs schon als die zukunftigen Erben von sechzig Millionen aufzutreten, und es genugte gewi?, wenn sie das erst in der Hauptstadt von Utah bekannten, wo Titbury, wenn man ihn daraufhin etwa auszubeuten versuchte, sich schon vertheidigen zu konnen hoffte.
Nun vergegenwartige man sich die unangenehme Ueberraschung der blauen Flagge, als diese sich in Gegenwart zahlreicher, dem Zuge entstiegener Personen von der violetten Flagge plotzlich anrufen horte.
»Wenn ich nicht ganz irre, ist das ja Herr Hermann Titbury aus Chicago, mein Mitbewerber im Match Hypperbone, den ich vor mir zu sehen die Ehre habe?…«
Das Ehepaar erzitterte wie Espenlaub. Offenbar hochst verlegen, zum Gegenstand der offentlichen Aufmerksamkeit zu werden, drehte sich Titbury einfach um, als konne er sich nicht im mindesten erinnern, den lastigen Menschen jemals gesehen zu haben, obgleich er ihn ubrigens recht wohl erkannte.
»Ich wei? nicht, mein Herr… antwortete er, haben Sie Ihre Worte etwa zufallig an mich gerichtet?…
– Ah, bitte um Verzeihung, erwiderte der junge Maler, es ist aber doch ganz unmoglich, da? ich mich tauschen sollte. Wir waren zusammen bei dem weltberuhmten Begrabni?… ich bin Max Real… der zuerst abgereist war…
– Max Real?…« wiederholte Frau Titbury, als ob sie diesen Namen zum erstenmale nennen horte.
Der junge Mann fing an, etwas ungeduldig zu werden. »Was da, mein Herr, sind Sie Herr Hermann Titbury aus Chicago oder sind Sie es nicht?
– Wie kommen Sie dazu, erhielt er in scharfem Tone zur Antwort, sich anzuma?en, mich hier ausfragen zu wollen?
– Ah, in dieser Weise fassen Sie meine Worte auf! sagte Max Real, indem er den Hut wieder auf den Kopf stulpte. Sie wollen Herr Titbury nicht sein, nicht einer der Sieben, nicht der, der zuerst nach Maine und dann nach Utah geschickt wurde. Na, meinetwegen, das ist ja Ihre Sache. Ich bin und bleibe aber Max Real, der aus Kansas und aus Wyoming zuruckkehrte! Im ubrigen… Guten Abend!«
Da der Zug nach Cheyenne sogleich abgehen sollte, sprang er mit Tommy in einen der Wagen und lie? das Ehepaar verdutzt stehen, das seinem Ingrimm uber die Taugenichtse von Kunstlern nach Belieben Luft machen mochte.
In diesem Augenblick naherte sich ein Herr, der dem kleinen Auftritte mit sichtlichem Interesse gefolgt war. Das etwas gesucht gekleidete, ungefahr vierzigjahrige Individuum hatte so offene Gesichtszuge, da? auch der Argwohnischeste zu ihm Vertrauen fassen mu?te.
»Das war ja, begann er mit einer Verbeugung gegen Frau Titbury, ein recht ungezogener Mensch, der fur seine Rucksichtslosigkeit einen derben Denkzettel verdient hatte. Ich mu?te nur an mich halten, mich nicht in Dinge zu mischen, die mich nichts angingen…
– Ich danke Ihnen, mein Herr, antwortete Titbury, geschmeichelt, sich von einem so vornehmen Herrn vertheidigt zu sehen.
– Doch, bitte sagen Sie mir, fuhr der vornehme Unbekannte fort, war das wirklich Ihr Partner Max Real?…
– Ich glaube, er war es, erwiderte Titbury, obgleich ich ihn kaum kenne.
– Nun, setzte der Fremde hinzu, ich wunsche ihm alles mogliche Mi?geschick, weil er sich unterstanden hat, so hochachtbare Personen wie Sie mit solcher Rucksichtslosigkeit offentlich anzusprechen, und an Ihnen, mein Herr, ist es nun, jenen – und naturlich auch alle ubrigen – in der Partie grundlich zu besiegen!«
Es hatte einer ein ganz ungebildeter Tropf sein mussen, die guten Wunsche eines so hoflichen, so zuvorkommenden Herrn nicht freundlich aufzunehmen, die Theilnahme eines Gentlemans, der sich fur den Erfolg des Herrn und der Frau Titbury so sichtlich interessierte, abzulehnen.
Wer war denn der Mann?… Ein gewisser Robert Inglis aus Great Salt Lake City, der am namlichen Tage dahin zuruckkehren wollte, ein Handelsagent, der von dem Lande, das er viele Jahre nach allen Seiten bereist hatte, grundliche Kenntni? hatte. Nachdem er seinen Namen und Beruf genannt hatte, erbot er sich sehr hoflich, das Titbury’sche Ehepaar zu fuhren und ihm auch ein passendes Hotel nachzuweisen.
Wie hatten sie die guten Dienste des Herrn Robert Inglis abweisen sollen, zumal da dieser erklarte, da? er eine gro?e Summe auf den Sieg des dritten Partners gesetzt habe. Er ergriff das Handgepack der Frau Titbury und brachte es in einen der Waggons, die nach Ogden abgehen sollten. Herr Titbury fuhlte sich sehr angenehm beruhrt, vorzuglich auch, weil Herr Robert Inglis den Galgenstrick von Maler gern nach Gebuhr behandelt gesehen hatte. Im ubrigen konnte er sich nur begluckwunschen, einen so liebenswurdigen Reisegenossen, der ihm auch in der Hauptstadt von Utah als Fuhrer dienen wollte, so unerwartet gefunden zu haben.
Alles lie? sich also aufs beste an. Die Reisenden nahmen zusammen in einem Waggon Platz, und niemals war ihnen die Zeit so schnell vergangen, wie bei dieser, freilich nur funfzig Meilen (80 Kilometer) langen Fahrt.
Herr Inglis war ebenso interessant wie unerschopflich. Der vortrefflichen Dame schien es vorzuglich zu gefallen, da? er das dreiundvierzigste Kind einer Mormonenfamilie war, wohl zu merken, vor der Zeit, wo der Prasident der Vereinigten Staaten die Vielweiberei gesetzlich verboten hatte.
Das darf nicht wundernehmen, da z.B. der Apostel Herbert Kimball, der erste Kirchenrath, bei seinem Ableben dreizehn Frauen und vierundfunfzig Kinder hinterlassen hatte. Hoffen wir nur, da? der Berichterstatter der »Tribune«, Harris T. Kymbale, wenn ihn der Zufall je nach Utah verschlug, sich an seinem Namensvetter kein Beispiel nehmen mochte. Uebrigens schreiben sich beide Namen ja nicht gleich, und au?erdem ist es in Great Salt Lake City verboten, Polygame zu sein, selbst wenn man ein »Koranglaubiger« ware.
Wenn die Unterhaltung den Titburys gefiel, lag es daran, da? man sich einen liebenswurdigeren Erzahler als Herrn Inglis gar nicht denken konnte. Offenbar wunschte er die Zeit zuruck, wo die Mormonenkirche noch in vollem