Glanze strahlte. Er pries die Vorzuge dieser Religion, der »besten«, die durch »den Geist Gottes« je offenbart worden sei. Er sprach von Joseph Smith, der 1830 seinen Prophetenberuf erkannte, die goldenen Tafeln mit den gottlichen Gesetzen des Mormonismus entdeckte und der spater unter ruchloser Morderhand endete. Er schilderte greifbar den Auszug der »Heiligen der letzten Tage«, die zuerst in New York, dann in Illinois, spater in Ohio und endlich in Missouri gesiedelt hatten. Dann verbreitete er sich mit tiefempfundenen, begeisterten Worten uber Brigham Young, den Papst und Vorsitzenden der Kirche, der, allen Muhen, allen Gefahren trotzend, die Gemeinde in die Nachbarschaft des Gro?en Salzsees fuhrte und hier 1847 Neu-Jerusalem grundete.
Verdiente die heilige Stadt denn nicht diesen Namen ebenso wie den Namen Jordan der Flu?, an dessen Ufern sie, etwa zehn Meilen (16 Kilometer) vom Salzsee, erbaut ist? Zur Zeit seiner Bluthe zahlte der Staat ja nicht weniger als hundertfunfundvierzigtausend Glaubige, von denen heute freilich der gro?te Theil nach einem ihnen von Mexiko uberlassenen Gebiete ausgewandert ist. Die Verfolgungen wurden namlich immer schlimmer, denn die Bundesregierung – Herr Inglis au?erte sich daruber freilich nicht – erkannte recht wohl, da? Utah mehr darauf ausging, ganz unabhangig zu werden, als gerade nach den Regeln des Mormonismus zu leben. Darum lie? der General Grant 1871 auch den Papst und die Apostel der Kirche verhaften, stellte das alte Land der Utahs wieder unter die Verwaltungsbehorden der Union und untersagte gleichzeitig im Namen der offentlichen Moral die Polygamie, selbst wo diese sich nur auf eine Doppelehe beschrankte.
Jetzt wird das Neue Zion durch das Fort Douglas in Schach gehalten, das die Bundesregierung drei Meilen (5 Kilometer) ostlich von der. Stadt errichten lie?, um diese zur Einhaltung der Gesetze der nordamerikanischen Republik zu nothigen.
»Hier kommt niemand hinaus!« (S. 277.)
»O, werthe Freunde, rief Robert Inglis in so ergreifendem Tone, da? er den Augen der Frau Titbury Thranen entlockte, hatten Sie nur Brigham Young gekannt, ihn, unseren hochverehrten Papst mit dem uppigen Haar, dem melierten, Wangen und Kinn umrahmenden Barte und mit seinen Luchsaugen, und George Smith, den Vetter des Papstes und Geschichtschreiber der Kirche, ferner Hunter, den Oberbischof, sowie Orson Hyde, den Vorsitzenden der zwolf Apostel, Daniel Wels, den zweiten Rath, und Elisa Snow, eine der geistigen Frauen des Papstes…
– War sie hubsch? fragte sofort Frau Titbury.
– Abscheulich ha?lich, Madame, doch was kommt es bei einer Frau auf Schonheit an?…«
Frau Titbury lie? auf diese Bemerkung ein leichtes Lacheln der Zustimmung sehen.
»In welchem Alter steht denn jetzt der beruhmte Brigham Young? erkundigte sich Herr Titbury.
– In gar keinem, weil er todt ist. Wenn er aber heute noch lebte, war’ er hundertzwei Jahre alt.
– Und Sie, mein Herr, begann Frau Titbury etwas zogernd, sind Sie auch verheiratet?
– Ich… geehrte Frau?… Wozu soll man denn heiraten, wenn die Polygamie abgeschafft ist? Mit einer einzigen Frau hat man mehr Noth als mit funfzig!«
Inglis lachte unbefangen uber seine schlagfertige Antwort und das Ehepaar theilte seine Heiterkeit.
Das Gebiet, das die Zweiglinie von Ogden her durchschneidet, ist flach und durr, mit sandigem und thonigem Boden, der alkalische Salze enthalt, die ihn, ganz wie die gro?e Wuste im Westen des Sees, mit wei?lichen Krystallgebilden bedecken. Hier gedeiht weiter nichts als Thymian, Salbei, Rosmarin neben wildem Buschwerk und gro?e Mengen von gelben Sonnenrosen. Im fernen Osten davon erheben sich Hugelketten, die von den nebeligen Gipfeln der Wahsatchberge uberragt werden.
Genau halb acht Uhr hielt der Zug im Bahnhofe von Great Salt Lake City.
Eine prachtige Stadt, hatte Robert Inglis gesagt, und sicherlich lie? er seine neuen Bekannten nicht eher weiterreisen, als bis sie sie besucht hatten – eine Stadt von funfzigtausend Einwohnern – er ubertrieb hiermit um funftausend – eine prachtige Stadt, im Osten umrahmt von prachtigen Hohenzugen und durch den prachtigen Jordan in bequemer Verbindung mit dem prachtigen Salzsee, eine vor allen anderen gesunde Stadt mit ihren in dichtem Grun versteckten Hausern und Villen, ihren Weinbergen und mit ihren Obstgarten mit Apfel-, Birnen-, Aprikosen-und Pflaumenbaumen, die die schonsten Fruchte der Erde liefern. Und langs der Stra?en prachtige Laden, steinerne Gebaude von prachtigem Aussehen! Hierzu kommen noch ihre Monumentalbauten, prachtige Muster mormonischer Architektur, die prachtige »Residenz«, wo Brigham Young einst wohnte, der prachtige Mormonentempel, das prachtige Tabernakel, ein Wunderwerk der Holzbaukunst, worin achttausend Glaubige Platz finden. Und was gab es fruher fur prachtige Ceremonien, wenn der Papst und die Apostel auf einer prachtigen Tribune sa?en und rund umher eine glaubige Gemeinde, Manner, Frauen und wer wei? wie viele Kinder, die der Vorlesung der von der prachtigen Hand Mormon’s selbst geschriebenen Bibel lauschten! Kurz, hier war nach des Herrn Inglis Aussage alles »prachtig«.
In Wahrheit lie? sich der gute Mann inde? durch seinen Localpatriotismus zu arger Uebertreibung verleiten. Der Stadt am Gro?en Salzsee gebuhren keine solchen Lobpreisungen. Fur ihre Volkszahl ist sie zu ausgedehnt, und wenn sie einige naturliche Schonheiten besitzt, so weist sie doch keinerlei kunstliche auf. Das beruhmte Tabernakel ist in Wahrheit nur ein ungeheuerer Kasseroldeckel, der flach auf die Erde gelegt ist.
Jedenfalls konnte nicht davon die Rede sein, Great Salt Lake City noch am heutigen Abend zu besichtigen; zunachst galt es ja, ein Hotel aufzusuchen, und da es Titbury darauf ankam, eines mit sehr ma?igen Preisen zu wahlen, schlug sein Fuhrer das au?erhalb der Stadt gelegene Cheap Hotel (fruher
Schon dieser Name allein verfuhrte und beruhigte das Ehepaar. Ihr Gepack lie?en sie auf dem Bahnhofe zuruck, um es holen zu lassen, wenn das Cheap Hotel ihnen gefiele, und folgten dem Herrn Inglis, der den Handkoffer und die Reisedecke der »vortrefflichen, hochachtbaren Dame« mit Gewalt hatte selbst tragen wollen.
Der Weg fuhrte durch die niedriger gelegenen Theile der Stadt, von der die Titburys bei der schon herrschenden tiefen Dunkelheit nichts sehen konnten, hinunter nach dem rechten Ufer eines Flusses, nach der Angabe des Herrn Inglis des Crescent River, und zog sich etwa drei Meilen (funf Kilometer) weit hin.
Die Titburys mochten ihn wohl etwas lang finden; in der Erwartung aber, da? das Hotel um so billiger sein werde, je weiter es von der Stadt lage, fiel es ihnen gar nicht ein, sich daruber zu beklagen.
Halb neun Uhr endlich und, wegen des bedeckten Himmels, in vollstandiger Finsterni? langten die Reisenden vor einem Hause an, dessen Aussehen sie jetzt nicht zu beurtheilen vermochten.
Bald darauf fuhrte sie der Gastwirth – ein Mann mit recht wildem Gesichtsausdruck – in ein Zimmer des Erdgeschosses, das wei? ausgetuncht und nur mit einem Bett, einem Tische und zwei Stuhlen ausgestattet war. Das genugte ihnen jedoch vollstandig, und sie bedankten sich noch bei Herrn Inglis, der sich mit dem Versprechen, sie am kommenden Morgen abzuholen, verabschiedete.
Sehr ermudet, und nachdem sie etwas von den in der Reisetasche mitgefuhrten Mundvorrathen verzehrt hatten, legten sich Herr und Frau Titbury zu Bett. Bald Seite an Seite eingeschlafen, traumten sie davon, da? die Vorhersage des freundlichen Herrn Inglis in Erfullung ging und sie durch den Ausfall des nachsten Wurfelns um zwanzig Felder vorwarts kamen.
Sie erwachten nach erquickender Ruhe erst gegen acht Uhr und erhoben sich langsam, da sie ja nichts anderes vorhatten, als ihren Fuhrer zu erwarten, um mit ihm die Stadt zu besuchen. Die Neugierde trieb sie dazu freilich nicht im geringsten, doch glaubten sie, das Anerbieten des Herrn Inglis, ihnen die Merkwurdigkeiten der gro?en Mormonenstadt zu zeigen, nicht abschlagen zu durfen.
Um neun Uhr war noch niemand da. Fertig zum Ausgehen, sahen Herr und Frau Titbury zum Fenster hinaus, das nach der Landstra?e vor dem Cheap Hotel zu lag.
Diese Stra?e, so hatte ihnen ihr zuvorkommender Cicerone gesagt, war die alte »Emigrants road«, die sich am Crescent River hinzog. Hier rollten einst die gro?en Frachtwagen mit allerlei Waaren hin, die nach den Lagern der Pionniere bestimmt waren und die der Bull-waker (der Ochsentreiber) fuhrte… zu jener Zeit, wo man noch mehrere Monate brauchte, von New York aus die westlichen Gebiete der Union zu erreichen.
Cheap Hotel mu?te recht vereinzelt liegen, denn als sich Herr Titbury zum Festern hinausbog, gewahrte er kein Haus, weder auf dieser, noch auf der anderen Seite des Flusses. Nur eine dunkle Masse grunenden Fichtenwaldes zog sich an den Abhangen eines hohen Berges hinaus.
Auch um zehn Uhr hatte sich noch niemand blicken lassen. Herr und Frau Titbury singen an ungeduldig zu werden, und auch der Hunger machte sich bei ihnen fuhlbar.