Arata verstummte und griff wieder zu seinem Brot. Rumata blickte ihm dabei auf die Finger, an denen die Nagel fehlten. Don Reba hatte sie ihm zwei Jahre zuvor hochstpersonlich mit einer eigenen Spezialvorrichtung ausgerissen. Du wei?t noch nicht alles, dachte Rumata. Du beruhigst dich noch mit dem Gedanken, da? nur du als einziger zur Niederlage verurteilt seist. Du wei?t noch nicht, wie hoffnungslos deine ganze Sache ist. Du wei?t noch nicht, da? der Feind nicht so sehr au?erhalb deiner Soldaten zu suchen ist als in ihnen selbst. Moglicherweise gelingt es dir, den Schwarzen Orden zu beseitigen, und die Welle des Bauernaufstands tragt dich auf den Thron von Arkanar. Du machst die Schlosser der Feudalherrn dem Erdboden gleich, ertrankst die Barone in der Bucht, und das aufstandische Volk erweist dir, dem gro?en Befreier, alle Ehren, und du wirst gut und weise sein – der einzige gute und weise Mensch in deinem ganzen Konigreich, und in deiner Gute verteilst du Grund und Boden unter deinen Mitkampfern, aber was soll deinen Mitkampfern das Land ohne Leibeigene? Und das Rad beginnt wieder in die andere Richtung zu schwingen. Und es geht noch glimpflich ab, wenn du einen normalen Tod sterben kannst und nicht mitansehen mu?t, wie aus den Reihen deiner treuen Mitkampfer von gestern neue Grafen und Barone hervortreten. Das ist alles schon dagewesen, mein guter Arata, auf der Erde und auch auf deinem Planeten.

»Ihr schweigt?« fragte Arata. Er schob den Teller von sich und wischte mit dem Armel seiner Kutte die Brosel vom Tisch. »Ich hatte einmal einen Freund«, sagte er. »Ihr werdet wahrscheinlich von ihm gehort haben – Waga Koleso. Wir haben zusammen begonnen. Dann wurde er ein Bandit, ein finsterer Konig der Nacht. Ich habe ihm den Verrat nie verziehen, und er wu?te das. Er hat mir dann noch viel geholfen – aus Furcht oder aus Eitelkeit –, aber so oder anders, er wollte nicht mehr umkehren: Er hatte seine eigenen Ziele. Vor zwei Jahren haben mich seine Leute an Don Reba ausgeliefert …« Er blickte auf seine verstummelten Finger und ballte sie zur Faust. »Und heute in der Fruh habe ich ihn im Hafen von Arkanar erwischt … In unserer Sache kann es keine halben Freundschaften geben. Ein halber Freund – das ist immer ein halber Feind!« Er erhob sich und zog seine Kapuze uber die Augen. »Ist das Gold am selben Platz wie gewohnlich, Don Rumata?«

»Ja«, sagte Rumata langsam. »Wie gewohnlich.«

»Dann gehe ich. Ich danke Euch, Don Rumata.« Er ging fast unhorbar durch das Herrenzimmer und verschwand hinter der Tur. Unten im Vorhaus klirrten leise die Riegel.

Im »Besoffenen Barenlager« war es verhaltnisma?ig sauber, man hatte den Boden sorgfaltig gefegt und den Tisch kraftig geschrubbt, und in den Ecken lagen Buschel von Waldgrasern und Lavendel. Vater Kabani sa? recht ordentlich auf einer Bank in der Ecke. Er war vollig nuchtern und ruhig, und seine gewaschenen Hande ruhten auf den Knien. Wahrend sie warteten, bis Budach einschlief, unterhielten sie sich uber alles mogliche. Budach, der neben Rumata am Tisch sa?, verfolgte mit einem gutigen Lacheln das leichtsinnige Gesprach der edlen Dons und fuhr von Zeit zu Zeit heftig zusammen, wenn er gerade wieder eingenickt war. Seine hohlen Wangen gluhten von der doppelten Dosis Tetraluminal, die man ihm unbemerkt ins Essen gemischt hatte. Der alte Mann war sehr erregt und konnte nur schwer in den Schlaf finden. Don Hug bog vor Ungeduld ein Kamelhufeisen unter dem Tisch hin und her, sein Gesicht bewahrte jedoch den Anschein frohlicher Ungezwungenheit. Rumata zerbroselte ein Stuck Brot und verfolgte mit mudem Interesse, wie Don Kondor langsam die Galle uberlief. Der Staatssiegelbewahrer war uberaus nervos, da er zur au?erordentlichen Nachtkonferenz der zwanzig Negozianten zu spat gekommen war. Die Konferenz war dem Umsturz in Arkanar gewidmet, und er sollte den Vorsitz fuhren.

»Meine teuren Freunde!« sagte schlie?lich Dr. Budach mit klangvoller Stimme, erhob sich und fiel sogleich auf Rumata. Rumata fa?te ihn vorsichtig um die Schultern. »Fertig?« fragte Don Kondor.

»Bis zum Morgen wird er nicht aufwachen«, sagte Rumata, nahm Budach in die Arme und trug ihn auf das Lager Vater Kabanis. Vater Kabani sagte neidisch:

»Um den Doktor kummert man sich also, um den alten Kabani aber nicht. Nun schon, meine Herren!«

»Ich habe eine Viertelstunde Zeit«, sagte Don Kondor auf russisch. »Mir reichen auch funf Minuten«, antwortete Rumata. Er konnte nur mit Muhe seine Gereiztheit verbergen. »Und ich habe Ihnen schon fruher soviel daruber gesagt, da? auch eine Minute ausreicht. In voller Ubereinstimmung mit der Basistheorie des Feudalismus«, sein wutender Blick traf Don Kondor genau in die Augen, »ist das ein ganz gewohnliches Auftreten der Burger gegen die Barone«, er lenkte seinen Blick nun auf Don Hug, »mundete aber dann in eine provokante Intrige des Heiligen Ordens und fuhrte schlie?lich zur Umwandlung Arkanars in eine Basis feudal-faschistischer Aggression. Wir zerbrechen uns hier den Kopf und versuchen die komplizierte, widerspruchige und ratselhafte Figur unseres Lichten Adlers Don Reba in eine Reihe mit Richelieu, Oliver Necker, Tokugawa ledschasu und Monk zu zwangen – und er erweist sich als ein kleiner unbedeutender Strolch und Dummkopf. Er verriet und verkaufte alles, was ihm unter die Finger geriet, verfing sich in seinen eigenen Netzen, wurde von Todesangsten befallen und warf sich zu seiner Errettung dem Heiligen Orden in die Hande. In einem halben Jahr schneidet man ihm die Gurgel durch, der Orden aber bleibt. Die Folgen fur die Kustenlander und schlie?lich fur das ganze Reich wage ich einfach nicht mir vor Augen zu fuhren. Eins steht jedenfalls fest, unsere ganze zwanzigjahrige Arbeit innerhalb der Grenzen des Reiches ist nun beim Teufel. Unter dem Heiligen Orden gibt es kein Zuruck. Aller Voraussicht nach ist Budach der letzte Mensch, den ich retten kann. Sonst wird man keinen mehr retten konnen. Ich bin zu Ende!«

Don Hug zerbrach schlie?lich das Hufeisen und schleuderte die beiden Halften in eine Ecke.

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