Totoschka war vom Heulen des Windes und dem unaufhorlichen Krachen des Donners so entsetzt, da? er in das Hauschen fluchtete und sich unterm Bett verkroch. Elli, die ihren Liebling nicht allein lassen wollte, sturzte ihm nach.
In diesem Augenblick geschah etwas Unbegreifliches:
Das Hauschen drehte sich zwei-, dreimal im Kreise wie ein Karussell und wurde von einem Wirbelwind erf a?t, der es emporhob und forttrug.
In der Tur stand, starr vor Schreck, Elli mit Totoschka im Arm. Was sollte sie tun? Hinausspringen? Dazu war es zu spat, denn das Hauschen flog bereits hoch uber der Erde… Mit wirrem Haar stand Mutter Anna vor dem Keller, streckte die Arme aus und schrie verzweifelt. Aus dem Stall sturzte, von Entsetzen gepackt, Farmer John. Er lief auf die Stelle zu, wo das Hauschen gestanden hatte… Die Eltern starrten lange in den finsteren Himmel, den Blitze immer wieder erhellten…
Der Sturm tobte weiter, und das Hauschen flog, hin und her schaukelnd, durch die Luft. Aufgeregt uber das Treiben, lief Totoschka angstlich klaffend im dunklen Zimmer umher. Elli sa? ratlos auf dem Fu?boden und pre?te die Hande gegen den Kopf. Sie fuhlte sich einsam und verlassen. Der Wind heulte entsetzlich. Es schien, als wurde das Hauschen im nachsten Augenblick zur Erde sturzen und zerschellen. Doch die Zeit verrann, und das Hauschen flog immerfort weiter. Elli kroch aufs Bett und legte sich hin, Totoschka an sich druckend. Unterm Geheul des Windes, der das Hauschen gleichma?ig schaukelte, schlief Elli fest ein.
Erster Teil
Der gelbe Backsteinweg
Elli wurde vom Hundchen geweckt, das ihr mit seiner warmen feuchten Zunge das Gesicht leckte und winselte. Zuerst war ihr, als habe sie einen seltsamen Traum gehabt, den sie sogleich der Mutter erzahlen wollte. Als sie aber die umgeworfenen Stuhle und den Ofen in der Ecke liegen sah, da wu?te sie, da? es kein Traum gewesen war.
Das Madchen sprang aus dem Bett. Das Haus stand unbeweglich da, und die Sonne schien hell zum Fenster herein. Elli lief zur Tur, offnete sie und schrie auf vor Verwunderung.
Der Sturm hatte das Hauschen in ein ungewohnlich schones Land getragen. Ringsum lag eine grune Wiese, an deren Rand Baume mit saftigen Fruchten standen. Da und dort waren Beete mit rosaroten, wei?en und blauen Blumen zu sehen. In der Luft schwirrten kleine Vogel mit herrlichem Gefieder. Auf den Zweigen sa?en goldgrune und rotbauchige Papageien, die mit hohen, wunderlichen Stimmen schrien. Unweit rauschte ein kristall- klarer Bach, in dem sich silbrige Fischlein tummelten.
Wahrend das Madchen unschlussig an der Schwelle stand, tauchten hinter den Baumchen Menschlein auf, wie man sie sich lieblicher und drolliger kaum vorstellen kann. Die Mannchen hatten blaue Samtgewander und enge Beinkleider an und waren nicht gro?er als Elli. Ihre Fu?e staken in hellblauen glanzenden Stiefeln mit Schaftstulpen. Am meisten gefielen Elli aber die spitzen Hute, die oben mit einer Kristallkugel geschmuckt waren und an deren breiten Krempen kleine Schellen klingelten.
Eine alte Frau in wei?em Umhang schritt den drei Mannlein wurdevoll voran. Hut und Gewand funkelten von winzigen Sternchen, und die grauen Haare hingen ihr uber die Schultern.
Hinter den Obstbaumen waren unzahlige kleine Manner und Frauen zu sehen. Sie raunten einander etwas zu und tauschten Blicke, zauderten aber, sich dem Hauschen zu nahern.
Die vier kleinen Gestalten lachelten freundlich und scheu, als sie vor das Madchen traten. Allein die Alte verbarg ihr Erstaunen nicht. Die Mannlein nahmen alle gleichzeitig ihre Hute ab. «Klingling, klingling», tonten die Schellen. Elli gewahrte, da? sich die Kiefern der Mannlein in einem fort bewegten, als ob sie etwas kauten.
Die Alte sprach sie an:
«Sag, liebes Kind, wie bist du in das Land der Kauer gekommen?»
«Der Wind hat mich mit diesem Hauschen hergebracht», erwiderte Elli schuchtern.
«Merkwurdig, sehr merkwurdig!» Die Alte schuttelte den Kopf. «Ich will dir sagen, warum ich mich so wundere. Ich horte namlich, da? die bose Hexe Gingema in ihrem Wahnsinn das Menschengeschlecht vernichten und die Erde mit Ratten und Schlangen bevolkern wollte. Ich mu?te meine ganze Zauberkunst aufbieten…»
«Wieso, gnadige Frau!» rief Elli erschauernd. «Ihr seid eine Zauberin? Aber Mutter hat doch gesagt, da? es keine Zauberer mehr gibt?!»
«Wo lebt deine Mutter denn?»
«In Kansas.»
«Ich hab diesen Namen noch nie gehort», erwiderte die Zauberin. «Aber, was deine Mutter auch sagen mag, hier, in diesem Lande, leben Zauberer und weise Manner. Fruher gab es hier vier Zauberinnen. Zwei von uns, die Zauberin des Gelben Landes, Willina (das bin ich), und die des Rosa Landes, Stella, sind gutig. Die Zauberin des Blauen Landes, Gingema, und die des Violetten Landes, Bastinda, sind bose Hexen. Gingema ist von deinem Hauschen zerdruckt worden, und jetzt gibt es nur noch eine bose Zauberin in unserem Land.»
Elli traute ihren Ohren nicht. Wie sollte sie, ein kleines Madchen, das in seinem Leben nicht einmal einen Spatz getotet hatte, eine bose Hexe vernichtet haben?!
«Sie irren sich, ich habe niemanden getotet», sagte sie.
«Ich beschuldige dich ja gar nicht», erwiderte ruhig die Zauberin. «Um die Menschen zu retten, nahm ich dem Sturm seine verheerende Kraft und gestattete ihm nur, ein einziges
Hauschen zu erfassen und die tuckische Gingema damit zu erschlagen. Ich hatte in meinem Zauberbuch gelesen, da? dieses Hauschen bei Gewitter immer leer steht…»
Elli sagte verwirrt:
«Das stimmt, gnadige Frau. Wenn ein Gewitter ausbricht, verstecken wir uns im Keller. Damals aber lief ich meinem Hundchen ins Haus nach…»
«Eine so unuberlegte Handlung konnte mein Zauberbuch naturlich nicht voraussehen», meinte Willina betrubt. «Also ist dieses kleine Tier an allem schuld…»
«Totoschka, wauwau, wenn Sie gestatten, Madame», mischte sich plotzlich das Hundchen ein. «Ja, es tut mir leid, da? ich an allem schuld bin…»
«Totoschka, du sprichst ja?» rief Elli fassungslos.
«Ich wei? nicht, was mit mir los ist, Elli, aber, wauwau, mir kommen menschliche Worte in den Mund…»
«Ich will dir's erklaren, Elli», sagte Willina. «In diesem Wunderland sprechen nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere, sogar die Vogel. Schau dich um, gefallt dir unser Land?»
«Ja, Frau Zauberin», erwiderte Elli. «Bei uns ist es aber schoner. Wenn Sie unsere Haustiere sehen wurden, unsere buntscheckige Kuh! Nein, Frau Zauberin, ich mochte nicht hierbleiben, ich will nach Hause, zu Vater und Mutter.»
«Das wird kaum gehen», sagte die Zauberin. «Unser Land ist durch eine Wuste und riesige Berge, uber die noch kein Mensch gekommen ist, von der ubrigen Welt getrennt. Ich furchte, mein Liebling, du wirst bei uns bleiben mussen.»
Ellis Augen fullten sich mit Tranen. Die braven Kauer waren gleichfalls sehr betrubt. Sie begannen zu weinen und trockneten sich mit blauen Taschentuchern die Augen. Auch
nahmen sie ihre Hute ab und legten sie vor sich hin, damit die Schellen sie beim Schluchzen nicht storten.
«Und Sie konnen mir auch nicht ein bi?chen helfen?» fragte Elli traurig.
«Ach, ich hab ja ganz vergessen, da? ich mein Zauberbuch bei mir hab. La? mich nachsehen, vielleicht finde ich etwas darin, was dir nutzen kann…»
Willina entnahm den Falten ihres Gewandes ein winziges Buchlein, das so gro? war wie ein Fingerhut. Sie blies darauf, und vor der sprachlosen Elli begann das Buch zu wachsen, bis es zu einem riesigen Band wurde. Er