Wieder nickte der Fremde und sagte: »Der Herr hat mich gerade noch rechtzeitig kommen lassen. Dieses Tier in Menschengestalt hatte schon seine Waffe auf die Frau gerichtet.«

»Und Billy?« fragte Irene, die neben dem Halbblut in die Knie gegangen war.

»Das war auch dieses Tier. Der Mischling wollte der Frau helfen.«

»Was ist mit Billy?« erkundigte sich Jacob.

»Er ist tot«, sagte Irene leise.

Jacob mu?te sich zusammenrei?en. Wahrend der langen Reise und auch hier in Oregon hatte sich der junge Halbindianer als wahrer Freund erwiesen. Selbstlos hatte er den Treck uber die Rocky Mountains gefuhrt, und selbstlos hatte er beim Aufbau der Siedlung geholfen. Nie hatte er etwas fur seine Dienste verlangt. Ein Platz zum Schlafen und drei Mahlzeiten am Tag genugten ihm. Jacob hatte ihn gemocht. Der Gedanke, da? dieses junge Leben so sinnlos ausgeloscht worden war, erfullte ihn mit Trauer und Zorn.

»Wer sind Sie uberhaupt, Mister?« fragte Sam Kelley den Fremden. »Sie haben sich uns noch nicht vorgestellt.«

»Verzeihung«, sagte der Hagere mit einem dunnen Lacheln auf den schmalen Lippen, wobei er den Hut abnahm und sich leicht verneigte. Er enthullte dabei dichtes schwarzes Haupthaar, das von grauen Strahnen durchzogen war. »Ich bin Reverend Blake Driscoll, unterwegs im Auftrag des Herrn, um seinem Wort in diesem wilden Land Gehor zu verschaffen.«

»Ein Reverend«, sagte der schwarze Schmied ein wenig unglaubig und zeigte auf den Revolver an der Hufte des Schwarzgekleideten. »Ich dachte immer, das Arbeitsmittel Ihres Berufsstands sei die Bibel.«

»Die naturlich auch. Und druben im Osten mag sie auch genugen.« Driscoll klopfte auf das Lederholster. »Hier im Westen braucht man leider das hier. Solange nicht alle Menschen auf das Wort des Herrn horen, ist ein Narr, wer sich allein darauf verla?t.«

»Klingt wie eine gesunde Einstellung«, gab Kelley zu.

»Vor allem ist es eine lebenserhaltende Einstellung«, erwiderte der Reverend und wandte sich um.

»Halt!« rief Jacob scharf. »Wohin wollen Sie?«

»Mein Pferd holen. Es steht noch irgendwo hinter den Wagen. Als ich die Schusse horte, die das Halbblut getroffen haben, bin ich aus dem Sattel gestiegen und habe mich vorsichtig angeschlichen.«

»Wohl auch eine lebenserhaltende Ma?nahme?« meinte Sam Kelley.

Wieder grinste der Reverend. »Genau.«

Er verschwand zwischen den Wagen.

»Ein komischer Heiliger«, knurrte Sam, der ihm nachblickte.

»Wir konnen froh sein, da? er dazugekommen ist«, sagte Martin, der noch immer seine weinende Braut in den Armen hielt. »Sonst ware es Urilla schlecht ergangen.«

Jacob und auch Sam stimmten ihm zu.

Das Pferd, mit dem der Reverend zuruckkehrte, hatte nicht besser zu ihm passen konnen. Ein gro?er knochiger Rappe, mit einer dreieckigen Blasse direkt uber den Augen. Die untere Spitze des hellen Dreiecks stie? zwischen die Augen vor.

Unter den Siedlern entstand Unruhe. Vier Personen drangten sich zum Ort des Geschehens durch: Black Joe Haslip und seine Gefahrten. Eine Alkoholwolke begleitete die rauhen Manner der Berge.

Black Joe fiel neben seinem toten Gefahrten auf die Knie. Unglaubig starrte er die Leiche an.

Dann hob er den Kopf. Forschend blickten seine Augen in die Runde.

Das schwarze Gestrupp in seinem breiten Gesicht zerteilte sich. Seine Lippen zitterten wie seine dunkle Stimme, als er fragte: »Wer hat das getan?«

»Ich«, antwortete Driscoll, der sein pechschwarzes Pferd mit der linken Hand am Zugel hielt.

Langsam richtete sich der Mountain Man zu seiner ganzen beeindruckenden Gro?e auf und bellte: »Das ist Ihr Todesurteil, Mister!«

Seine Hand zuckte an die rechte Hufte, hatte aber den Kolben seines Revolvers noch nicht einmal beruhrt, als der Reverend schon seinen Webley Longspur in der Rechten hielt. Der Hahn klickte metallisch, und die dunkle Mundung zeigte auf Haslip.

»Ich wurde die Hand da wegnehmen, Mister, sonst gibt es hier bald noch einen Toten«, sagte Driscoll scharf. »Aber das werde nicht ich sein!«

Zogernd gehorchte Black Joe, wahrend sein Blick Hilfe bei seinen Gefahrten suchte.

»Das gilt auch fur euch«, fuhr der Reverend mit einem schnellen Schwenk seiner Waffe auf die drei anderen Trapper fort. »Vielleicht erwischt mich einer von euch, aber zwei bis drei nehme ich garantiert mit!«

Trotz der Scharfe, die in der Stimme des Reverends lag, klang sie kein bi?chen erregt. Driscoll schien vielmehr vollig ruhig zu sein und erweckte den Eindruck eines Mannes, der sich solch einer Situation nicht zum erstenmal gegenubersah.

Jacob und die anderen Siedler verwunschten es, da? sie ihre Waffen abgelegt hatten. Die Trapper waren bewaffnet. Falls sie sich zum Kampf entschlossen, konnte es in dem dichten Gedrange zu einem Blutbad kommen, auch an den umstehenden Frauen und Kindern.

Aber die Manner aus den Bergen zogerten, ihrem Anfuhrer zu Hilfe zu kommen. Driscolls Gewandtheit im Umgang mit der Waffe hatte sie unsicher gemacht. Trotz des reichlich genossenen Alkohols schienen sie nicht so leichtfertig zu sein, ihr Leben fur eine Sache in Gefahr zu bringen, die keine ausreichende Aussicht auf Erfolg bot.

Als Haslip merkte, da? er von seinen Gefahrten keine Hilfe zu erwarten hatte, sah er Jacob und Sam Kelley an.

»Wollen Sie mir nicht helfen? Dieser Bastard hat Timmy ermordet!«

»Wenn hier einer ein Bastard war, dann dieser Timmy«, entgegnete der Reverend kuhl. »Er hat zuerst geschossen und das Halbblut umgebracht. Dann wollte er die Frau dort toten, nachdem er versucht hat, sie zu vergewaltigen.«

Black Joes Augen wanderten von dem toten Billy Calhoun zu Martin und Urilla.

Die rothaarige Frau hatte sich inzwischen ein wenig beruhigt und sagte mit noch immer tranenerstickter Stimme: »Das stimmt.«

In Black Joes Gesicht arbeitete es. Sein ganzer Korper erbebte unter dem Zorn, der ihn erfullte. Aber angesichts der Waffe, die auf ihn gerichtet war, beherrschte er sich.

Er sah wieder seine Gefahrten an.

»Holt die Pferde und helft mir, Timmy aufzuladen. Wir haben hier nichts mehr verloren.«

Die drei Manner wandten sich ab und kehrten wenige Minuten spater mit Reit- und Packtieren zuruck. Wortlos legten sie ihren toten Gefahrten uber sein Pferd, sa?en dann selbst auf und ritten in die inzwischen uber das Tal hereingebrochene Nacht hinaus.

Die Siedler blickten ihnen nach, bis ihr Hufgetrappel verklungen war.

Erst dann entspannte Reverend Driscoll den Hahn seines Webley und schob den Revolver zuruck ins Holster.

*

Hier ruht Billy Calhoun (gest. am 12. Dez. 1863) Er war der Sohn zweier Welten und trug von jeder das Beste in sich.

Er zeigte uns den Weg ins Gelobte Land.

Moge der Herr ihm den Weg zum ewigen Frieden zeigen.

So lautete die eingeritzte und mit dunkler Farbe ubermalte Aufschrift auf dem schlichten und doch schonen Holzkreuz, das Jacob gefertigt hatte und das jetzt auf Billy Calhouns Grab stand.

Fur das Grab hatten die Auswanderer einen kleinen, von Kiefern bestandenen Hugel ausgewahlt, von dem aus man einen herrlichen Blick uber das grune Tal am Ostrand der Cascade Range hatte. Das erschien ihnen angemessen fur den Mann, ohne den sie vielleicht niemals hier angekommen waren.

Obwohl der Halbindianer den Weg uber die Rockies nur einmal zuvor bewaltigt hatte, war er stets ein verla?licher Fuhrer gewesen und - wichtiger noch - ein treuer Freund. Er hatte es den Auswanderern nicht vergessen, da? sie ihn in ihrer Mitte aufgenommen hatten, obwohl er ihnen ein Pferd stehlen wollte. Und sie wurden ihn nie vergessen.

Fast die gesamte Bevolkerung von Abners Hope versammelte sich am Nachmittag des Tages, an dem die todlichen Schusse gefallen waren, zur Beerdigung. Zu Hause blieb nur, wer wegen Krankheit oder der Sorge fur

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