seine Kinder unabkommlich war.
Reverend Driscoll las aus der Bibel, und Jacob hielt die Grabrede.
»Wir wissen nicht viel uber den Menschen, der hier begraben liegt«, schlo? der junge Zimmermann. »Aber wir wissen, da? er ein guter Mensch war und uns ein guter Freund. Wir werden stets seine Freunde bleiben.«
Der Reverend segnete das Grab und empfahl die Seele des Toten dem Herrn.
In vielen Augen glitzerten Tranen, nicht nur in denen von Frauen.
Der Abschied von Billy fiel den Siedlern schwer. Nur allmahlich zerstreuten sie sich, gingen zu ihren Pferden und Wagen.
Der Reverend folgte auf seinem Rappen dem Wagen von Jacob, Irene, Martin und Urilla. Zuruck zu dem Blockhaus, in dem sie lebten und in dem Driscoll auch schon die vergangene Nacht verbracht hatte.
Mehrmals drehten sich die Menschen auf dem Planwagen um und sahen zuruck zu dem Holzkreuz auf dem Hugel, hinter dem allmahlich die Sonne versank.
Jamie begann zu weinen. Irene druckte ihn sanft an ihre Brust und schaukelte ihn hin und her. Auch sie weinte.
Der Reverend sah durch die hintere Offnung der Plane in den Wagen und starrte die junge Deutsche mit dem seltsamen Blick an, mit dem er sie schon den ganzen Tag uber bedacht hatte.
*
Die Dammerung war langst hereingebrochen, als sie die Farm erreichten, die Martin und Urilla bewirtschaften wollten. Die beiden bedauerten sehr, da? Jacob und Irene nicht in Abners Hope bleiben wollten. Aber sie konnten verstehen, weshalb ihre Freunde nur vorubergehend unter ihrem Dach schliefen. Sie suchten die Menschen, die sie liebten.
Irene wickelte Jamie und legte ihn in das Kinderbett, das Jacob gebaut hatte. Es war schon das zweite; das erste Bettchen, das Jacob auf dem Weg nach Oregon gefertigt hatte, mu?te unterwegs zuruckbleiben, um den Wagen zu entlasten. Dann half Irene Urilla bei der Zubereitung des Abendessens.
Die Manner setzten sich an den groben, aber von Jacob fachmannisch und sauber zusammengezimmerten Holztisch und rauchten teure Zigarren, die der Reverend anbot.
»Hm«, machte Martin anerkennend, als er die um seine Zigarre gewickelte Banderole abstreifte. »Eine Henry Clay. Das Wort des Herrn zu verkunden, scheint einen Mann gut zu ernahren.«
Driscoll lachte kurz.
»Tauschen Sie sich nicht, Mr. Bauer. Vielleicht konnen sich die Geistlichen bei Ihnen in Deutschland von Gottes Wort ernahren. Hier in Oregon hort zwar jeder gern, was der Herr und ich zu sagen haben, schon weil es in der Einsamkeit eine nette Abwechslung ist, aber in den meisten Fallen kann ich froh sein, wenn ich dafur eine warme Mahlzeit und in der Nacht ein Dach uber dem Kopf bekomme.«
Martin ri? ein Streichholz an und blickte den Reverend uber die Flamme hinweg an.
»Und wovon leisten Sie sich so was wie die Zigarren, wenn ich das fragen darf?«
»Durch jede Arbeit, die mir angeboten wird. Ich hacke Holz, helfe bei der Ernte oder stelle meine bescheidenen Fahigkeiten als nicht studierter Arzt unter Beweis.«
»Nicht studierter Arzt?«
Der Reverend zuckte mit den Schultern und blies einen Rauchkringel zur Decke.
»Man lernt eine Menge, wenn man sich lange Zeit in der Wildnis herumtreibt. Richtige Arzte sind hier ebenso selten wie Lehrer, Rechtsanwalte und Gefangnisse.«
»Und wie Geistliche«, fugte Jacob mit einem langen Blick auf Driscoll hinzu.
Der lachte wieder. »Und wie Geistliche. Richtig, Mr. Adler.«
»Ware es nicht lohnender fur Sie, sich an einem festen Ort niederzulassen?« fuhr Jacob fort. »Sie konnten eine Kirche bauen, in die die Menschen regelma?ig kommen. Wenn sie gehen, lassen sie meistens etwas im Klingelbeutel zuruck.«
»In der Tat habe ich schon an so etwas gedacht. Ich hatte es sogar fest vor, als ich kurzlich nach Hoodsville kam. Die Siedlung ist in den letzten Jahren zu einer richtigen kleinen Stadt angewachsen. Mit einem Burgermeister, einem Sheriff und sogar einer Schule, die nur noch einen Lehrer sucht. Dort scheint man eine Kirche und einen Geistlichen gut gebrauchen zu konnen.«
»Warum sind Sie nicht dortgeblieben?«
»Es kam etwas dazwischen, Mr. Adler«, antwortete Driscoll und sah dabei Irene, die Teller mit dampfendem Bohneneintopf auftrug, wieder mit jenem seltsamen Blick an. »Eine Mission, wenn man so will, die ich ubernommen habe.«
Jacob waren die Blicke nicht entgangen, die der Reverend Irene schon den ganzen Tag uber zuwarf. Erst hatte er gedacht, er wurde sich tauschen. Aber aus irgendeinem Grund schien sich Driscoll ganz besonders fur Irene zu interessieren.
Jacob zermarterte sich den Kopf uber diesen Grund, wagte den Reverend aber nicht zu fragen. Vielleicht tauschte er sich doch. Er wollte sich nicht lacherlich machen.
»Eine Mission?« wiederholte er. »Im Auftrag des Herrn?«
»In diesem Fall einmal nicht«, antwortete Driscoll kopfschuttelnd. »Jedenfalls nicht direkt. Ich habe eine Nachricht zu uberbringen, eine sehr traurige Nachricht. Das habe ich einem fahrenden Handler versprochen, den ich oben in Hoodsville traf.«
Irene, die mit den restlichen Tellern kam und sie auf den Tisch stellte, hatte die letzten Worte gehort und fragte: »Sprechen Sie etwa von Mr. Bodeen, Reverend? Er war erst vor ein paar Tagen in Abners Hope.«
Driscoll nickte und sah Irene ernst an.
»Bodeen, ja. Er hat mir erzahlt, da? er hier war und mit Ihnen gesprochen hat, Mi? Sommer.«
Irene war uberrascht. »Er hat mich erwahnt? Weshalb?«
»Vielleicht setzen Sie sich besser hin«, schlug der Mann in Schwarz vor.
»Nein, ich mu? Urilla noch helfen.«
»Sie sollten sich wirklich besser setzen, Mi? Sommer. Bitte!«
Die ernste Stimme und der eindringliche Blick des Reverends duldeten keinen Widerspruch. Zogernd nahm Irene am Tisch Platz. Jacob und Martin wechselten verwunderte Blicke. Keiner konnte dem anderen sagen, um was es dem Reverend ging.
»Also gut, ich sitze«, sagte Irene ein wenig unwirsch. »Was ist mit Mr. Bodeen?«
»Mit ihm ist nichts«, antwortete Driscoll und wirkte zum erstenmal ein wenig unsicher, auf der Suche nach den richtigen Worten. »Er hat mir etwas erzahlt, von Ihnen, Mi? Sommer. Er sagte, Sie suchen einen Mann, einen bestimmten Mann.«
Schlagartig wurde Irene bla?. Ihre Hande umkrampften die Tischplatte aus Kiefernholz.
»Einen Deutschen, wenn ich mich nicht irre. Einen gewissen Carl Dilger.«
»Ja«, keuchte die junge Frau und konnte vor Aufregung kaum atmen. »Wissen Sie etwa, wo Carl ist?«
Als Driscoll nickte, glitt ein frohes Lacheln uber Irenes Gesicht.
»Es gibt wohl keinen Grund, sich zu freuen, Mi? Sommer«, fuhr der Reverend fort. »Jedenfalls nicht, wenn Ihnen an diesem Carl Dilger etwas gelegen ist.«
»Keinen Grund?« echote Irene. »Aber wieso nicht? Ich denke, Sie wissen, wo Carl ist.«
»Ja, das wei? ich.«
»Wo denn? So reden Sie doch endlich, Reverend!«
»Carl Dilger ist tot. Er liegt auf dem Friedhof von Hoodsville.«
In dem gro?en Wohnraum der Blockhutte herrschte Schweigen. Aus der Kuche klapperte das Geschirr, das Urilla eilends abstellte, als sie die letzten Worte des Reverends horte. Sie lief zu den anderen.
»Tot«, sagte Irene leise und schuttelte den Kopf. Dann sah sie auf. Das Flackern in ihren Augen erschreckte Jacob. »Tot? Das kann nicht sein!«
»Leider ist es aber so«, erwiderte Driscoll. »Ich habe vor seinem Grab gestanden. Der Sheriff hat mir gesagt, er sei bei einem Streit erschossen worden. Mr. Bodeen hatte es eilig, weiterzukommen. Ich habe ihm versprochen, nach Abners Hope zu reiten und Sie zu benachrichtigen, Mi? Sommer. Deshalb bin ich hier.«
Irene sagte nichts. Sie sa? still da und starrte den Reverend aus aufgerissenen Augen an. Plotzlich stand sie so heftig auf, da? ihr Stuhl umfiel, rannte zur Tur, ri? sie auf und verschwand in der Dunkelheit.
Jacob druckte die Zigarre in dem Blechnapf aus, der als Aschenbecher diente, sprang ebenfalls auf und